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gründende Vertrag. Bei dem Staatenstaat be-
halten die dem Oberstaat untergebenen Staaten
ihre Selbständigkeit nach innen, haben ihm aber
gegen Angriffe von außen Heeresfolge und außer-
dem für ihre Verteidigung Tribut zu leisten. In
dem Verhältnis des Oberstaats zum Unterstaat
steht das osmannische Reich zu seinen christlichen
und mohammedanischen Vassallenstaaten, das eng-
lische Indien zu seinen seine Oberhoheit anerken-
nenden Nachbarstaaten. Für das Abendland ist
diese Kategorie der Staatenverbindung bedeu-
tungslos.
Literatur. Arndt in Birkmeyers Enzyklo-
pädie (21905); Jellinek, Recht des modernen Staats
(21905); Brie, Theorie der S. (1886); Rosin,
Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre nach den
polit. Reden u. Schriftstücken des Fürsten Bismarck
(1897); Rehm, Allg. Staatslehre (1907, Samm-
lung Göschen); Schmidt, Allg. Staatslehre (2 Bde,
1901/03); Ebers, Die Lehre vom Staatenbund
(1910); Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs
(1901); v. Seydel, Vorträge aus dem allg. Staats-
recht (19083). [Spahn.)
Staatsamt s. d. Art. Amt, Beamte.
Staatsangehörigkeit; Staatsbür-
gerrecht. I. Allgemeines. Obgleich Staats-
angehörigkeit und Staatsbürgerrecht grundlegende
Begriffe für die staatsrechtliche Stellung der ein-
zelnen Persönlichkeit sind, ist der Gebrauch dieser
Ausdrücke durchaus kein genauer; sie werden häufig
als gleichbedeutend gebraucht. Eine schärfere Unter-
scheidung verbindet aber mit dem Wort Staats-
angehörigkeit nur den Begriff der tatsächlichen
Zugehörigkeit zu einem Staat, der Eigenschaft
einer Person als Mitglied des den Staat bilden-
den Volks im Gegensatz zum Staatsfremden, zum
Ausländer. Die Staatsangehörigkeit kann also
mit der Zugehörigkeit zu einer Nation zusammen-
fallen, aber auch davon verschieden sein, je nach-
dem sich eine Nation restlos zu der Einheit eines
Staatsvolks zusammengefügt hat oder nicht. Das
Wort Staatsbürgerrecht dagegen weist auf
einen Rechtsbegriff hin. Es bedeutet den Inbegriff
von Rechten und Pflichten, die, durch Verfassung
und Gesetz unmittelbar begründet, dem Staatsange-
hörigen in seinem Verhältnis zu dem Staat als
solchem, als dem Inhaber aller Staatsgewalt, im
Gegensatz zu ihm als Subjekt von Privatrechten,
zustehen, so daß Staatsbürger die öffentlich-recht-
liche Stellung des Staatsangehörigen bezeichnet.
Insoweit demnach Staatsbürgerrecht nichts anderes
bedeutet als den rechtlichen Inhalt der Staats-
angehörigkeit, als den Inbegriff der Rechte und
Pflichten, welche jedem Staatsangehörigen schon
wegen dieser seiner Eigenschaft zukommen, hat sich
die Gewohnheit gebildet, Staatsangehörigkeit und
Staatsbürgerrecht für gleichbedeutend zu gebrau-
chen. Wird man unter dem angegebenen Gesichts-
punkt diesen Sprachgebrauch nun auch tolerieren
können, so darf doch keinenfalls übersehen werden,
daß sich aus dem Begriff der Staatsangehörigkeit
allein nicht ohne weiteres Rechte, subjektive Be-
Staatsamt — Staatsangehörigkeit ufw.
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rechtigungen des Staatsangehörigen dem Staat
als solchem gegenüber, ergeben, daß vielmehr die
staatsbürgerlichen Rechte lediglich Wirkungen sind,
welche das positive Staatsrecht des einzelnen
Staats mehr oder minder mit der Staatsange-
hörigkeit zu verknüpfen für gut findet. (Vgl. dazu
noch Abschnitt II, 1.) Welche Grundsätze der Staat
hierbei zu befolgen hat, wie weit er insbesondere
bei Abgrenzung der gegenseitigen Rechte und
Pflichten zwischen Staat und Staatsangehörigen
die sog. natürlichen Rechte der Untertanen zu re-
spektieren für verpflichtet erachtet werden muß,
zeigt die Lehre vom Naturrecht und vom Staat
und von den Grenzen der Staatsgewalt (val. dies.
Art.). Hier haben wir es nur mit dem positiven
Staatsrecht zu tun. Auf die Formulierung der
hierher gehörigen Rechtsnormen haben die je-
weiligen Anschauungen über den Staat, über die
natürlichen Menschenrechte, über Zweck und Um-
fang der Staatsgewalt, am letzten Ende der Kul-
turzustand des betreffenden Volks entscheidenden
Einfluß. Es bedarf daher keiner weiteren Erörte-
rung darüber, daß Staatsangehörigkeit und
Staatsbürgerrecht in den verschiedenen Staaten
und zu verschiedenen Zeiten sowohl den Voraus-
setzungen als dem rechtlichen Inhalt nach durchaus
ungleichmäßig sich gestalten können und, wie die
Geschichte lehrt, sich in der Tat auch sehr ungleich-
mäßig entwickelt haben. Die überall aus den Ur-
anfängen der Geschichte bezeugte Tatsache, daß
der Fremde rechtlos war, läßt mit Recht darauf
chließen, daß der Einheimische als solcher eine
gewisse rechtliche Stellung einnehmen mußte. Es
ist auch nicht an dem, daß, wie die landläufige
Anschauung besagt, in der altorientalischen Despo-
tie und Theokratie von der staatsbürgerlichen Stel-
lung der Staatsangehörigen keine Rede gewesen
sei. Die fortschreitende Kenntnis des altorientali-
schen Rechts läßt vielmehr bereits jetzt mit einiger
Sicherheit feststellen, daß auch in solchen Staaten
durchgebildete Rechtsordnungen bestanden, die we-
nigstens für einen Teil des Volks, wenn auch nicht
für das gesamte Volk ohne Ausnahme, eine gewisse
öffentlich-rechtliche Stellung schufen, also eine
solche Rechtsstellung, die in einem gewissen Grad,
soweit es sich nämlich nicht um die aktive Teil-
nahme an Funktionen der Staatsgewalt handelt,
mit unserem Staatsbürgerrecht vergleichbar war.
Allerdings ist dabei festzuhalten, daß in jenen
Zeiten der Herrscher als persönlicher Inhaber des
Staats und der Staatsgewalt galt, dem gegenüber
das Individuum an eine Geltendmachung und
Durchsetzung seines staatsbürgerlichen Rechts nicht
denken konnte. Jedenfalls aber behielten die Rechte
ihre Geltung gegenüber den übrigen Staatsange-
hörigen. Nach der gemeinen Meinung war sogar
in dem antiken Staat der Griechen und Römer
die öffentlich-rechtliche Stellung des Individuums
eine minder gesicherte als in dem altorientalischen,
da dort der Staatsangehörige vollständig im
Staat aufging, nur um des letzteren willen existenz-
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