Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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berechtigt und dem omnipotenten Staat gegenüber 
vollständig rechtlos war. Allerdings geht eine an- 
dere Meinung (Jellinek) dahin, daß „der Unter- 
schied zwischen der Stellung des antiken und mo- 
dernen Individuums im Staat“ „seiner juristischen 
Seite nach nur darin" liege, „daß die Freiheit des 
letzteren innerhalb der Gesetze vom Staat aus- 
drücklich anerkannt ist, während sie beim ersteren 
so selbstverständlich war, daß sie niemals einen 
gesetzgeberischen Ausdruck fand“. Auch in dem 
Patrimonialstaat und namentlich dem Lehnstaat 
des Mittelalters konnte von einem Staatsbürger- 
recht nicht die Rede sein. Hier kommen zwar häufig 
Zusicherungen von Untertanenrechten vor; aber sie 
haben nur den Charakter von Verleihungen von 
Klassenprivilegien. Erst als mit der Zersetzung der 
feudalen Staatsform des Mittelalters und der 
Ausbildung der Landeshoheit in den einzelnen 
Territorien die Umgestaltung der innern Formen 
des Staatslebens ihren Anfang nahm, bildete sich 
der Begriff des Staatsbürgertums aus. Die viel- 
gliederige, ständische Abstufung der Bevölkerung 
machte der Dreiteilung in Adel, Bürgerstand und 
Bauernstand Platz und mit der theoretischen Über- 
tragung der Verhältnisse der städtischen Gemeinde 
auf die Gesamtheit der Untertanen (Staatsange- 
hörigen) als Staats= und Landesgemeinde wurde 
es seit dem 16. Jahrh. gebräuchlich, auch den Na- 
men der vollberechtigten Mitglieder der Stadtge- 
meinde, der Bürger, auf die vollberechtigten Mit- 
glieder der Staatsgemeinde als Staatsbürger zu 
übertragen. Dabei handelte es sich allerdings zu- 
nächst darum, das Aufgehen der bis dahin be- 
standenen Stände in das allgemeine Staatsbürger- 
tum sowie die Gleichheit seiner Mitglieder vor dem 
Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Subjektive Be- 
rechtigungen gegenüber der Staatsgewalt, insbe- 
sondere Teilnahme an Funktionen der letzteren, 
fanden nicht statt, wenigstens nicht in dem abso- 
lutistischen Staat der Folgezeit; hier gab es nur 
„Untertanen“. Seine volle Ausbildung hat das 
Staatsbürgerrecht erst mit der Entwicklung des 
Verfassungsstaats der neueren Zeit erhalten, in- 
soweit als erst in diesem den Staatsangehörigen 
neben den ihnen dem Staat gegenüber obliegenden 
Pflichten gemäß verfassungsrechtlichen Bestim- 
mungen auch gewisse Rechte, insbesondere aktive 
Beteiligung am Staatsleben, anerkannt sind. 
II. Staats- und Reichsangehörigkeit. 
1. Erwerb. Wie schon angedeutet, richten sich 
die Voraussetzungen für den Erwerb der Staats- 
angehörigkeit in jedem unabhängigen Staat nach 
dessen eignen Gesetzen. Es kann darum nicht über- 
raschen, zu finden, daß diese nicht selten bedeutend 
voneinander abweichen. Zwar begegnet man über- 
all dem Grundsatz, daß die Staatsangehörigkeit 
durch Abstammung, Verheiratung und Verleihung 
erworben werde, aber die Einzelbestimmungen 
führen in wesentlichen Punkten zu sehr verschiede- 
nen Ergebnissen. So bildet es die Regel, daß die 
ehelichen Kinder die Staatsangehörigkeit des Va- 
Staatsangehörigkeit usw. 
  
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ters erwerben, auch wenn sie im Ausland geboren 
sind. Viele Staaten aber (Dänemark, die südame- 
rikanischen Republiken) erkennen die Kinder ihrer 
Untertanen nur dann als Staatsangehörige an, 
wenn sie im Inland geboren sind. Noch größer 
ist die Verschiedenheit in Beantwortung der Frage, 
wie die Kinder eines Ausländers die Staatsange- 
hörigkeit ihres Geburtslandes erwerben können. 
Eine Gruppe von Staaten (Deutschland, OÖster- 
reich-Ungarn, Schweiz u. a.) läßt die Tatsache der 
inländischen Geburt ohne jeglichen Einfluß auf 
diese Erwerbsmöglichkeit sein; diese Staaten be- 
handeln vielmehr die im Inland gebornen Kinder 
von Ausländern wie jeden zugezogenen Ausländer. 
In andern Staaten (Dänemark, Frankreich, Nie- 
derlande, Schweden, Vereinigte Staaten von 
Amerika, die südamerikanischen Republiken u. a.) 
erwirbt das Kind von Ausländern durch die Ge- 
burt im Inland die Staatsangehörigkeit des Ge- 
burtslands von selbst. Indessen auch hier wieder 
mit Unterschied. Uneingeschränkt gilt der Grund- 
satz z. B. im Oranje-Freistaat und in San Do- 
mingo; in Schweden dagegen nur für die zweite 
und in Monaco für die dritte im Inland geborne 
Generation. Manche Staaten (Frankreich, Groß- 
britannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, 
Portugal, Schweden u. a.) gestehen den im In- 
land gebornen Kindern ausländischer Eltern die 
inländische Staatsangehörigkeit zu, räumen ihnen 
aber das Recht ein, nach erlangter Großjährigkeit 
für die Staatsangehörigkeit der Eltern zu optieren. 
Umgekehrt verfolgen andere Staaten wieder (Bel- 
gien, Griechenland, Rußland, Spanien, Japan 
u. a.) den Grundsatz, den im Inland gebornen 
Kindern ausländischer Eltern zunächst die Staats- 
angehörigkeit der Eltern anzuerkennen, ihnen aber 
nach erlangter Großjährigkeit das Recht einzu- 
räumen, für die Staatsangehörigkeit ihres Ge- 
burtsstaats zu optieren. Und auch diese mitge- 
teilten Grundsätze sind nicht überall konsequent 
durchgeführt. — Was dann die Erwerbung der 
Staatsangehörigkeit durch Verheiratung anlangt, 
so besteht überall der Grundsatz, daß die Verhei- 
ratung für eine Ehefrau die Staatsangehörigkeit 
des Mannes begründet. Aber darüber gehen wieder 
die Gesetzgebungen auseinander, wie sich die Staats- 
angehörigkeit der Witwe gestaltet. In manchen 
Staaten (Italien, Portugal, Schweiz, Rußland) 
kann die Witwe eines Ausländers nach ihrer Wahl 
ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederer- 
langen, in andern (Belgien, Frankreich, Nieder- 
lande, Ungarn, Griechenland u. a.) nur dann, wenn 
sie in ihrem Geburtsland wohnt und erklärt, dort 
wohnen zu bleiben. — Auch die Voraussetzungen 
für die Verleihung der Staatsangehörigkeit (Natu- 
ralisation) sind nicht einheitlich geregelt. Überall 
wird natürlich verlangt, daß der Ausländer darum 
nachsucht. Dazu erfordern aber die meisten Staaten 
einen sehr verschieden bemessenen Zeitraum, wäh- 
rend dessen der Aufzunehmende bereits im Inland 
gewohnt haben muß, so z. B. ein Jahr Portugal;
	        
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