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berechtigt und dem omnipotenten Staat gegenüber
vollständig rechtlos war. Allerdings geht eine an-
dere Meinung (Jellinek) dahin, daß „der Unter-
schied zwischen der Stellung des antiken und mo-
dernen Individuums im Staat“ „seiner juristischen
Seite nach nur darin" liege, „daß die Freiheit des
letzteren innerhalb der Gesetze vom Staat aus-
drücklich anerkannt ist, während sie beim ersteren
so selbstverständlich war, daß sie niemals einen
gesetzgeberischen Ausdruck fand“. Auch in dem
Patrimonialstaat und namentlich dem Lehnstaat
des Mittelalters konnte von einem Staatsbürger-
recht nicht die Rede sein. Hier kommen zwar häufig
Zusicherungen von Untertanenrechten vor; aber sie
haben nur den Charakter von Verleihungen von
Klassenprivilegien. Erst als mit der Zersetzung der
feudalen Staatsform des Mittelalters und der
Ausbildung der Landeshoheit in den einzelnen
Territorien die Umgestaltung der innern Formen
des Staatslebens ihren Anfang nahm, bildete sich
der Begriff des Staatsbürgertums aus. Die viel-
gliederige, ständische Abstufung der Bevölkerung
machte der Dreiteilung in Adel, Bürgerstand und
Bauernstand Platz und mit der theoretischen Über-
tragung der Verhältnisse der städtischen Gemeinde
auf die Gesamtheit der Untertanen (Staatsange-
hörigen) als Staats= und Landesgemeinde wurde
es seit dem 16. Jahrh. gebräuchlich, auch den Na-
men der vollberechtigten Mitglieder der Stadtge-
meinde, der Bürger, auf die vollberechtigten Mit-
glieder der Staatsgemeinde als Staatsbürger zu
übertragen. Dabei handelte es sich allerdings zu-
nächst darum, das Aufgehen der bis dahin be-
standenen Stände in das allgemeine Staatsbürger-
tum sowie die Gleichheit seiner Mitglieder vor dem
Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Subjektive Be-
rechtigungen gegenüber der Staatsgewalt, insbe-
sondere Teilnahme an Funktionen der letzteren,
fanden nicht statt, wenigstens nicht in dem abso-
lutistischen Staat der Folgezeit; hier gab es nur
„Untertanen“. Seine volle Ausbildung hat das
Staatsbürgerrecht erst mit der Entwicklung des
Verfassungsstaats der neueren Zeit erhalten, in-
soweit als erst in diesem den Staatsangehörigen
neben den ihnen dem Staat gegenüber obliegenden
Pflichten gemäß verfassungsrechtlichen Bestim-
mungen auch gewisse Rechte, insbesondere aktive
Beteiligung am Staatsleben, anerkannt sind.
II. Staats- und Reichsangehörigkeit.
1. Erwerb. Wie schon angedeutet, richten sich
die Voraussetzungen für den Erwerb der Staats-
angehörigkeit in jedem unabhängigen Staat nach
dessen eignen Gesetzen. Es kann darum nicht über-
raschen, zu finden, daß diese nicht selten bedeutend
voneinander abweichen. Zwar begegnet man über-
all dem Grundsatz, daß die Staatsangehörigkeit
durch Abstammung, Verheiratung und Verleihung
erworben werde, aber die Einzelbestimmungen
führen in wesentlichen Punkten zu sehr verschiede-
nen Ergebnissen. So bildet es die Regel, daß die
ehelichen Kinder die Staatsangehörigkeit des Va-
Staatsangehörigkeit usw.
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ters erwerben, auch wenn sie im Ausland geboren
sind. Viele Staaten aber (Dänemark, die südame-
rikanischen Republiken) erkennen die Kinder ihrer
Untertanen nur dann als Staatsangehörige an,
wenn sie im Inland geboren sind. Noch größer
ist die Verschiedenheit in Beantwortung der Frage,
wie die Kinder eines Ausländers die Staatsange-
hörigkeit ihres Geburtslandes erwerben können.
Eine Gruppe von Staaten (Deutschland, OÖster-
reich-Ungarn, Schweiz u. a.) läßt die Tatsache der
inländischen Geburt ohne jeglichen Einfluß auf
diese Erwerbsmöglichkeit sein; diese Staaten be-
handeln vielmehr die im Inland gebornen Kinder
von Ausländern wie jeden zugezogenen Ausländer.
In andern Staaten (Dänemark, Frankreich, Nie-
derlande, Schweden, Vereinigte Staaten von
Amerika, die südamerikanischen Republiken u. a.)
erwirbt das Kind von Ausländern durch die Ge-
burt im Inland die Staatsangehörigkeit des Ge-
burtslands von selbst. Indessen auch hier wieder
mit Unterschied. Uneingeschränkt gilt der Grund-
satz z. B. im Oranje-Freistaat und in San Do-
mingo; in Schweden dagegen nur für die zweite
und in Monaco für die dritte im Inland geborne
Generation. Manche Staaten (Frankreich, Groß-
britannien, Italien, Luxemburg, Niederlande,
Portugal, Schweden u. a.) gestehen den im In-
land gebornen Kindern ausländischer Eltern die
inländische Staatsangehörigkeit zu, räumen ihnen
aber das Recht ein, nach erlangter Großjährigkeit
für die Staatsangehörigkeit der Eltern zu optieren.
Umgekehrt verfolgen andere Staaten wieder (Bel-
gien, Griechenland, Rußland, Spanien, Japan
u. a.) den Grundsatz, den im Inland gebornen
Kindern ausländischer Eltern zunächst die Staats-
angehörigkeit der Eltern anzuerkennen, ihnen aber
nach erlangter Großjährigkeit das Recht einzu-
räumen, für die Staatsangehörigkeit ihres Ge-
burtsstaats zu optieren. Und auch diese mitge-
teilten Grundsätze sind nicht überall konsequent
durchgeführt. — Was dann die Erwerbung der
Staatsangehörigkeit durch Verheiratung anlangt,
so besteht überall der Grundsatz, daß die Verhei-
ratung für eine Ehefrau die Staatsangehörigkeit
des Mannes begründet. Aber darüber gehen wieder
die Gesetzgebungen auseinander, wie sich die Staats-
angehörigkeit der Witwe gestaltet. In manchen
Staaten (Italien, Portugal, Schweiz, Rußland)
kann die Witwe eines Ausländers nach ihrer Wahl
ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederer-
langen, in andern (Belgien, Frankreich, Nieder-
lande, Ungarn, Griechenland u. a.) nur dann, wenn
sie in ihrem Geburtsland wohnt und erklärt, dort
wohnen zu bleiben. — Auch die Voraussetzungen
für die Verleihung der Staatsangehörigkeit (Natu-
ralisation) sind nicht einheitlich geregelt. Überall
wird natürlich verlangt, daß der Ausländer darum
nachsucht. Dazu erfordern aber die meisten Staaten
einen sehr verschieden bemessenen Zeitraum, wäh-
rend dessen der Aufzunehmende bereits im Inland
gewohnt haben muß, so z. B. ein Jahr Portugal;