Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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zur Ablegung des Zeugnisses. Die Treueverpflich- 
tung „ist juristisch in ihrer negativen Richtung 
von Bedeutung, d. h. sie involviert die Rechts- 
pflicht zur Unterlassung von Handlungen, welche 
auf die Beschädigung des Staats hinzielen“. In 
erster Linie gehören hierher der Hochverrat (Reichs- 
und Landeshochverrat) und der Landesverrat 
(§§ 80/93 St.G.B.); sodann feindliche Hand- 
lungen gegen befreundete Staaten (88 102/104 
St.G.B.). Auf der Pflicht zu persönlicher Treue 
und Pietät gegen den Kaiser und den Landesherrn 
wie gegen die andern bundesfürstlichen Personen 
beruhen endlich die Vorschriften des Strafgesetz- 
buchs über Beleidigung des Landesherrn und von 
Bundesfürsten (88§ 94/101 St.G.B.). 
4. Erwerb und Verlust der staats= und 
reichsbürgerlichen Rechte. Wie schon aus den 
Erörterungen über die rechtliche Natur des Staats- 
und Reichsbürgerrechts hervorgeht, wird dasselbe 
ohne weiteres mit der Staats-- und Reichsangehö- 
rigkeit erworben. Insbesondere ist im Gesetz vom 
1. Juni 1870 hervorgehoben, daß auch die durch 
Naturalisation bzw. Aufnahme erworbene Staats- 
bzw. Reichsangehörigkeit alle damit verbundenen 
Rechte und Pflichten begründet. Damit ist aber 
noch nicht gesagt, daß das bloße Reichs= und 
Staatsbürgerrecht immer und unter allen Um- 
ständen genüge, um sämtliche darin eingeschlossenen 
Befugnisse auch ausüben zu können, wie ja auch 
auf dem Gebiet des Privatrechts nicht jeder trotz 
Rechtsfähigkeit in vollem Maß handlungsfähig 
ist. Namentlich werden, worauf schon hingewiesen 
ist, für die Ausübung der sog. politischen Rechte 
noch besondere Eigenschaften verlangt, wie z. B. 
männliches Geschlecht, ein bestimmtes Alter, Besitz 
der bürgerlichen Ehrenrechte u. dgl. mehr. In 
einzelnen Staaten treten noch weitere Erfordernisse 
hinzu; so z. B. Staatsangehörigkeit von längerer 
Dauer (in Preußen drei Jahre, Art. 74 der 
Verf .Urk.) und Bürgereid (Hansestädte, Bayern), 
welch letzterer früher sogar verschiedentlich Vor- 
bedingung auch anderer Rechte (Grunderwerbs- 
berechtigung, Befugnis zum selbständigen Betrieb 
eines Gewerbes) war. Solche besondern Erforder- 
nisse kennt das deutsche Reichsrecht nicht. 
Der Verlust der staats= und reichsbürgerlichen 
Rechte knüpft sich an den Verlust der Staatsan- 
gehörigkeit. Während man aber die staatsbürger- 
lichen Rechte in dem hier erörterten weiteren Sinn 
nicht teilweise erwirbt, kann man sie teilweise ver- 
lieren. So hat die Verurteilung zur Zuchthaus- 
strafe die dauernde Unfähigkeit in dem deutschen 
Heer und der kaiserlichen Marine sowie die 
dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher 
Amter (darunter Geschworenen= und Schöffenamt) 
von Rechts wegen zur Folge und bewirkt die Ab- 
erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte den dauern- 
den Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den 
Verurteilten hervorgegangenen Rechte und die 
Unfähigkeit, während der im Urteil bestimmten 
Zeit politische Rechte sowie auch gewisse weitere 
Staatsangehörigkeit ufw. 
  
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öffentlichrechtliche Befugnisse auszuüben, ohne daß 
im übrigen die Eigenschaft als Reichs= und Staats- 
bürger und die damit verknüpften Befugnisse ver- 
loren gingen (vgl. z. B. §§ 33/35 St.G.’B., 
§ 1032 Abs. 3 Z.P.O., auch § 93 a Gew.O.). 
5. Schutz der staats= und reichsbür- 
gerlichen Rechte. Insoweit man mit Laband 
u. a. in den sog. bürgerlichen Rechten und den 
Grundrechten überhaupt keine subjektiven Rechte, 
in den letzteren insbesond lgemeine Redens- 
arten erkennt, kann natürlich von einem Rechts- 
schutz keine Rede sein. Aber gerade jene sog. „bür- 
gerlichen“ Rechte, die sich überall in den Gesetzen 
normiert finden, sind — wohl ohne Ausnahme 
läßt sich das sagen — mit Rechtsschutz ausgestattet, 
indem sie unter den Schutz der Rechtsprechung der 
ordentlichen oder der Verwaltungsgerichte gestellt 
sind oder wenigstens den Schutz genießen, der auf 
dem Beschwerdeweg zu erlangen ist. Sämtliche 
staats-- und reichsbürgerlichen Rechte aber, mögen 
sie Namen haben, wie sie wollen, genießen Rechts- 
schutz, den Schutz nämlich, den die Verfassungen 
selber genießen: Verfassungseid des Staatsober- 
haupts, Minister-, Reichskanzlerverantwortlichkeit, 
Petitionsrecht, Recht der Reichs= und Landesver- 
tretungen. Eine andere Frage ist, ob dieser Schutz 
auch als vollkommen oder auch nur als ausreichend 
bezeichnet werden kann. Das ist allerdings nicht 
der Fall. Soll von einem Zweig des Staats- 
lebens gesagt werden können, daß er rechtlich gut 
geordnet sei, so müssen dafür neben den allgemeinen 
verfassungsmäßigen Garantien besondere Ver- 
anstaltungen getroffen sein, welche selbst dem 
Staat, d. h. seiner Behördenorganisation gegen- 
über alle Rechte zur Durchführung zu bringen be- 
fähigt sind. Die Konstituierung von unabhängigen 
Organen mit dieser Machtfülle und von dem un- 
beschränkten Recht, dieselben zur Wahrung jeden 
staatsbürgerlichen Rechts anzurufen, erscheint als 
eine der Hauptaufgaben für den Ausbau unseres 
Verfassungslebens. 
Im übrigen sind die Staatsbürger schon jetzt 
in dieser Beziehung insoweit geschützt, als der 
Mißbrauch der Amtsgewalt unter Strafe gestellt 
(ogl. Abschnitt 28 des St.G.B. 8§ 331 ff) und 
der Widerstand gegen die Staatsgewalt erlaubt 
ist, wenn deren Vertreter, die Beamten, welche zur 
Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen usw. der 
Gerichte und Verwaltungsbehörden berufen sind, 
nicht in der rechtmäßigen Ausübung ihres Amts 
handeln (§ 113 St.G. B.). Außerdem sind dann 
auch noch gewisse Verbrechen und Vergehen in 
Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher 
Rechte besonders mit Strafe bedroht (vgl. 8§ 105 
bis 109 St.G.B.), nämlich: 1) als Verbrechen 
das gewaltsame Unternehmen gegen eine inländische 
gesetzgebende Versammlung oder einzelne ihrer 
Mitglieder; 2) als Vergehen gewisse das öffent- 
liche Wahl- und Stimmrecht der Inländer betref- 
fende Handlungen, und zwar a) Verhinderung an 
der Ausübung desselben, b) Fälschung der öffent-
	        
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