Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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lichen Wahlen, c) Kauf oder Verkauf von Wahl- 
stimmen. 
Literatur. Die verschiedenen Lehrbücher des 
Staatsrechts, wie Laband, Meyer, Rönne, Seydel, 
Schulze u. die Art. Staats= bzw. Reichsangehörig- 
keit in den verschiedenen staatswissenschaftlichen 
Wörterbüchern. Ferner Rehm, Allg. Staatslehre, 
in Marquardsens Handbuch des öffentl. Rechts; 
Schmidt, Allg. Staatslehre, im Hand= u. Lehrbuch 
der Staatswissenschaften von Heckel; Jellinek, Sy- 
stem der subjektiven öffentlichen Rechte (1892) u. 
Besprechung dieses Buchs von Tezner, in der Zeit- 
schrift für das Privat= u. öffentliche Recht der Ge- 
genwart von Grünhut Bd XXI (1894) 107 ff; 
Jellinek, Recht des modernen Staats (1905). Eine 
Anzahl von Muffätzen in Hirths Annalen des Deut- 
schen Reichs, so v. Seydel (1876, 1881, 1883, 1898, 
1899, 1900), v. Martitz (1875), Landgraff (1870), 
Rehm (1892), Bauer (1892). Seydel, Grundzüge 
einer allg. Staatslehre (1873); Kletke, Das nord- 
deutsche Bundesindigenat in seinen rechtlichen Kon- 
sequenzen (1871); Gerber, Grundzüge des Staats- 
rechts u. Über öffentliche Rechte (1852); Cahn, 
Das Reichsgesetz über die Erwerbung u. den Ver- 
lust der Reichs= u. Staatsangehörigkeit vom 1. Junie 
1870 C1896. Welstein. 
Staatsanwaltschaft. Staatsanwaltschaft 
ist diejenige Behörde, welche im Namen des Staats 
die Strafverfolgung zu betreiben und eine Mit- 
wirkung im Zivilprozeß auszuüben hat. Weder 
das römische noch das germanische Recht kennt eine 
der heutigen Staatsanwaltschaft analoge Behörde, 
weil ihnen der Gedanke einer Verletzung der öffent- 
lichen Ordnung durch strafbare Handlungen fern 
lag. Im kanonischen Recht findet sich bei den 
geistlichen Gerichten regelmäßig ein promotor 
oder fiscalis, welcher im öffentlichen Interesse als 
Ankläger auftritt. 
Die heutige Staatsanwaltschaft hat ihren Ur- 
sprung in Frankreich. Bei den Parlamenten, d.i. 
den ständigen Vertretungen, welche in den ver- 
schiedenen Kronländern die Rechtspflege ausübten, 
bildete sich zur Betreibung der fiskalischen Ange- 
legenheiten, namentlich der häufigen Konfiskationen 
und Geldbußen, seit dem 14. Jahrh. eine ständige 
Prozeßvertretung der Könige aus, sog. procureurs 
du roi, deren Kompetenz bei zunehmender Zen- 
tralisation wuchs und schon in den Ordonnanzen 
Karls VIII. (1493) und Ludwigs XII. (1498) 
im wesentlichen die Stellung des heutigen mini- 
stere public erreichte mit bureaukratischer Unter- 
ordnung der bei den Untergerichten fungierenden 
procureurs unter den bei den Parlamenten (spä- 
teren Cours d’appel) fungierenden procureur 
zénéral. Die große Revolution von 1789 be- 
seitigte zwar mit dem Königtum dessen Vertreter, 
aber nicht das Institut selbst. Napoleon I. organi- 
sierte das ministeère publie durch den Code 
instruction criminelle vom 17. Nobv. 1808 
und die Loi d’organisation vom 20. April 1810 
in der Art, wie es noch heute in Frankreich be- 
steht, als willfähriges Werkzeug des gerade herr- 
schenden Regimes, als wesentlichen Faktor der 
Staatsanwaltschaft. 
  
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Rechtspflege im Straf= und Zivilprozeß und als 
Aussichts= und Verwaltungsorgan des Justiz- 
ministers. Gleichwohl läßt sich nicht behaupten, 
daß die Ehrenhaftigkeit des französischen Richter- 
standes und die Unabhängigkeit der Gerichte durch 
das ministere public gelitten habe; wohl aber 
liefert die französische Rechtsprechung zahlreiche 
Belege dafür, daß in schwierigen Straf= und Zivil- 
fragen die gründlichen Konklusionen des ministere 
public, zumal in den höheren Instanzen, wesent- 
6 zu einer guten Rechtsprechung beigetragen 
aben. 
Dem Beispiel Frankreichs bei Einrichtung der 
Staatsanwaltschaft folgten Italien, Belgien, Hol- 
land und die linksrheinischen deutschen Länder, wo# 
das französische Recht sich erhielt, teilweise auch die 
süddeutschen Staaten und Preußen durch Verord- 
nung vom 28. Juni 1844 in Ehesachen. Nach 
1848 wurde in ganz Deutschland, als im Straf- 
verfahren die Offentlichkeit und Mündlichkeit und 
die Schwurgerichte eingeführt wurden, die Staats- 
anwaltschaft als Anklagebehörde eingeführt. Auch 
England hat 1879 eine öffentliche Anklagebehörde 
unter Leitung eines Director of public perse- 
cutions eingeführt, die subsidiär einschreiten soll, 
wenn die Privatanklage dem öffentlichen Interesse 
nicht genugtut. Der öffentliche Ankläger bleibt 
dort aber ebenso wie in Nordamerika an den Be- 
griff der Parteistellung prozessualisch gebunden. 
Bei Kodifikation der deutschen Prozeßgesetze in 
den 1870er Jahren ergab sich die Unmöglichkeit 
einer streng einheitlichen Reglung der Staats- 
anwaltschaft aus der Selbständigkeit der höchsten 
Justizverwaltungsstellen in den einzelnen deutschen 
Staaten. Daher ist nur beim Reichsgericht die 
Staatsanwaltschaft rechtlich und administrativ in 
ihrem Wirkungzkreis einheitlich, d. h. durch Reichs- 
gesetz geregelt. Das Amt der Staatsanwaltschaft 
wird beim Reichsgericht durch einen Oberreichs- 
anwalt und die Reichsanwälte ausgeübt. Sie 
werden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser 
ernannt und können jederzeit durch kaiserliche Ver- 
fügung pensioniert werden. Sie sind Reichsbeamte. 
Die Leitung und Aussicht über sie steht dem Reichs- 
kanzler zu. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf die 
staatsanwaltschaftlichen Verrichtungen in den an 
das Reichsgericht gelangenden Strafsachen. Ihnen 
obliegt die Strafverfolgung bei Hoch= und Landes- 
verrat, der gegen Kaiser und Reich gerichtet ist; 
es steht ihnen eine Mitwirkung in gewissen an das 
Reichsgericht gelangenden Zivilsachen zu. Auch 
in den vom Reichsgericht oder dem Ehrengerichts- 
hof für Rechtsanwälte zu entscheidenden Diszipli- 
narsachen müssen sie mitwirken. In den oben er- 
wähnten Hoch= und Landesverratsprozessen haben 
alle Beamten der Staatsanwaltschaft im ganzen 
Reich den Anweisungen des Oberreichsanwalts 
Folge zu leisten, während sonst im allgemeinen 
der Oberreichsanwalt nicht der Vorgesetzte der 
staatsanwaltschaftlichen Beamten der Bundes- 
staaten ist.
	        
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