1423
lichen Wahlen, c) Kauf oder Verkauf von Wahl-
stimmen.
Literatur. Die verschiedenen Lehrbücher des
Staatsrechts, wie Laband, Meyer, Rönne, Seydel,
Schulze u. die Art. Staats= bzw. Reichsangehörig-
keit in den verschiedenen staatswissenschaftlichen
Wörterbüchern. Ferner Rehm, Allg. Staatslehre,
in Marquardsens Handbuch des öffentl. Rechts;
Schmidt, Allg. Staatslehre, im Hand= u. Lehrbuch
der Staatswissenschaften von Heckel; Jellinek, Sy-
stem der subjektiven öffentlichen Rechte (1892) u.
Besprechung dieses Buchs von Tezner, in der Zeit-
schrift für das Privat= u. öffentliche Recht der Ge-
genwart von Grünhut Bd XXI (1894) 107 ff;
Jellinek, Recht des modernen Staats (1905). Eine
Anzahl von Muffätzen in Hirths Annalen des Deut-
schen Reichs, so v. Seydel (1876, 1881, 1883, 1898,
1899, 1900), v. Martitz (1875), Landgraff (1870),
Rehm (1892), Bauer (1892). Seydel, Grundzüge
einer allg. Staatslehre (1873); Kletke, Das nord-
deutsche Bundesindigenat in seinen rechtlichen Kon-
sequenzen (1871); Gerber, Grundzüge des Staats-
rechts u. Über öffentliche Rechte (1852); Cahn,
Das Reichsgesetz über die Erwerbung u. den Ver-
lust der Reichs= u. Staatsangehörigkeit vom 1. Junie
1870 C1896. Welstein.
Staatsanwaltschaft. Staatsanwaltschaft
ist diejenige Behörde, welche im Namen des Staats
die Strafverfolgung zu betreiben und eine Mit-
wirkung im Zivilprozeß auszuüben hat. Weder
das römische noch das germanische Recht kennt eine
der heutigen Staatsanwaltschaft analoge Behörde,
weil ihnen der Gedanke einer Verletzung der öffent-
lichen Ordnung durch strafbare Handlungen fern
lag. Im kanonischen Recht findet sich bei den
geistlichen Gerichten regelmäßig ein promotor
oder fiscalis, welcher im öffentlichen Interesse als
Ankläger auftritt.
Die heutige Staatsanwaltschaft hat ihren Ur-
sprung in Frankreich. Bei den Parlamenten, d.i.
den ständigen Vertretungen, welche in den ver-
schiedenen Kronländern die Rechtspflege ausübten,
bildete sich zur Betreibung der fiskalischen Ange-
legenheiten, namentlich der häufigen Konfiskationen
und Geldbußen, seit dem 14. Jahrh. eine ständige
Prozeßvertretung der Könige aus, sog. procureurs
du roi, deren Kompetenz bei zunehmender Zen-
tralisation wuchs und schon in den Ordonnanzen
Karls VIII. (1493) und Ludwigs XII. (1498)
im wesentlichen die Stellung des heutigen mini-
stere public erreichte mit bureaukratischer Unter-
ordnung der bei den Untergerichten fungierenden
procureurs unter den bei den Parlamenten (spä-
teren Cours d’appel) fungierenden procureur
zénéral. Die große Revolution von 1789 be-
seitigte zwar mit dem Königtum dessen Vertreter,
aber nicht das Institut selbst. Napoleon I. organi-
sierte das ministeère publie durch den Code
instruction criminelle vom 17. Nobv. 1808
und die Loi d’organisation vom 20. April 1810
in der Art, wie es noch heute in Frankreich be-
steht, als willfähriges Werkzeug des gerade herr-
schenden Regimes, als wesentlichen Faktor der
Staatsanwaltschaft.
1424
Rechtspflege im Straf= und Zivilprozeß und als
Aussichts= und Verwaltungsorgan des Justiz-
ministers. Gleichwohl läßt sich nicht behaupten,
daß die Ehrenhaftigkeit des französischen Richter-
standes und die Unabhängigkeit der Gerichte durch
das ministere public gelitten habe; wohl aber
liefert die französische Rechtsprechung zahlreiche
Belege dafür, daß in schwierigen Straf= und Zivil-
fragen die gründlichen Konklusionen des ministere
public, zumal in den höheren Instanzen, wesent-
6 zu einer guten Rechtsprechung beigetragen
aben.
Dem Beispiel Frankreichs bei Einrichtung der
Staatsanwaltschaft folgten Italien, Belgien, Hol-
land und die linksrheinischen deutschen Länder, wo#
das französische Recht sich erhielt, teilweise auch die
süddeutschen Staaten und Preußen durch Verord-
nung vom 28. Juni 1844 in Ehesachen. Nach
1848 wurde in ganz Deutschland, als im Straf-
verfahren die Offentlichkeit und Mündlichkeit und
die Schwurgerichte eingeführt wurden, die Staats-
anwaltschaft als Anklagebehörde eingeführt. Auch
England hat 1879 eine öffentliche Anklagebehörde
unter Leitung eines Director of public perse-
cutions eingeführt, die subsidiär einschreiten soll,
wenn die Privatanklage dem öffentlichen Interesse
nicht genugtut. Der öffentliche Ankläger bleibt
dort aber ebenso wie in Nordamerika an den Be-
griff der Parteistellung prozessualisch gebunden.
Bei Kodifikation der deutschen Prozeßgesetze in
den 1870er Jahren ergab sich die Unmöglichkeit
einer streng einheitlichen Reglung der Staats-
anwaltschaft aus der Selbständigkeit der höchsten
Justizverwaltungsstellen in den einzelnen deutschen
Staaten. Daher ist nur beim Reichsgericht die
Staatsanwaltschaft rechtlich und administrativ in
ihrem Wirkungzkreis einheitlich, d. h. durch Reichs-
gesetz geregelt. Das Amt der Staatsanwaltschaft
wird beim Reichsgericht durch einen Oberreichs-
anwalt und die Reichsanwälte ausgeübt. Sie
werden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser
ernannt und können jederzeit durch kaiserliche Ver-
fügung pensioniert werden. Sie sind Reichsbeamte.
Die Leitung und Aussicht über sie steht dem Reichs-
kanzler zu. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf die
staatsanwaltschaftlichen Verrichtungen in den an
das Reichsgericht gelangenden Strafsachen. Ihnen
obliegt die Strafverfolgung bei Hoch= und Landes-
verrat, der gegen Kaiser und Reich gerichtet ist;
es steht ihnen eine Mitwirkung in gewissen an das
Reichsgericht gelangenden Zivilsachen zu. Auch
in den vom Reichsgericht oder dem Ehrengerichts-
hof für Rechtsanwälte zu entscheidenden Diszipli-
narsachen müssen sie mitwirken. In den oben er-
wähnten Hoch= und Landesverratsprozessen haben
alle Beamten der Staatsanwaltschaft im ganzen
Reich den Anweisungen des Oberreichsanwalts
Folge zu leisten, während sonst im allgemeinen
der Oberreichsanwalt nicht der Vorgesetzte der
staatsanwaltschaftlichen Beamten der Bundes-
staaten ist.