Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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aber kann die Strafverfolgung nur auf Antrag 
der Antragsberechtigten oder (gegen Beamte) mit 
Ermächtigung der Behörde oder (gegen Abgeord- 
nete) des Reichstags oder Landtags eintreten. 
Ist aber die Anklage einmal erhoben, so ist 
sie ebenso wie in Frankreich der Disposition der 
Staatsanwaltschaft insofern entzogen, als sie nicht 
mehr zurückgezogen werden kann und das Gericht 
weder an die Beweisanträge noch an sonstige An- 
träge der Staatsanwaltschaft gebunden ist, also 
auch trotz des Freisprechungsantrags strafen kann. 
Die deutsche Strafprozeßordnung befolgt also bis 
zur Anklage das Akkusationsprinzip und behandelt 
die Strafverfolgung als Parteisache (actio popu- 
laris), nach erhobener Anklage aber befolgt sie das 
Inquisitionsprinzip und legt dem Gericht die Ver- 
pflichtung auf, die Strafverfolgung als Rechts- 
sache zu behandeln. Nach der österreichischen Straf- 
prozeßordnung ist das Akkusationsprinzip streng 
durchgeführt. Ebenso in England. Wenn sonach 
die Staatsanwaltschaft prozessualisch einen der 
Partei ähnlichen Charakter hat und die deutsche 
Strafprozeßordnung, abweichend von der franzö- 
sischen, die sog. „Waffengleichheit“ zwischen Staats- 
anwaltschaft und Verteidigung durchgeführt hat, 
so unterliegt die Staatsanwaltschaft doch weder 
der Disziplin des Vorsitzenden, noch kann ihr Ver- 
treter (wegen Verdachts der Parteilichkeit, wie ein 
Richter) vom Angeklagten abgelehnt werden. Hat 
die Staatsanwaltschaft einerseits mehr Rechte wie 
die Partei im Prozeß, so fehlen ihr aber auch 
anderseits Parteirechte, wie sich aus vorstehendem 
ergibt. In der Verhandlung hat die Staatsanwalt- 
schaft das Interesse des Staats zu vertreten, das 
ebensosehr die Freisprechung des Unschuldigen wie 
die Verurteilung des Schuldigen erheischt. Sie 
hat deshalb von vornherein neben den belastenden 
auch die entlastenden Tatumstände zu ermitteln 
und die Freisprechung des Angeklagten zu bean- 
tragen sowie bei seiner Verurteilung Rechtsmittel 
zu seinen Gunsten einzulegen, wenn sie zur Über- 
zeugung seiner Unschuld gelangt ist. 
Das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft 
schließt die Gefahr des Mißbrauchs in sich, und 
zwar sowohl durch die Erhebung ungerechtfertigter 
Anklagen wie durch das Unterlassen der Erhebung 
gerechtfertigter. Die Erhebung ungerechtfertigter 
Anklagen ist nicht ganz zu vermeiden; für die 
Nachteile, die sie dem von ihr Betroffenen zufügt, 
so durch die Untersuchungshaft, die Kosten der 
Verteidigung und sonstige Auslagen, hat der Staat 
einzutreten. Gelungen ist es jedoch, die staatliche 
Pflicht einer Entschädigung der unschuldig in Unter- 
suchungshaft gezogenen Personen zur gesetzlichen 
Anerkennung zu bringen (Gesetz betr. die Ent- 
schädigung für unschuldig erlittene Untersuchungs- 
haft vom 14. Juli 1904). Zur Verhinderung der 
Nichterhebung gerechtfertigter Anklagen hat sich 
das in Deutschland geltende Rekursverfahren als 
zu eng erwiesen, weil dessen Einlegung auf den 
Verletzten beschränkt ist, die Praxis aber zu einer 
  
Staatsanwaltschaft. 
  
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einengenden Auslegung des Begriffs „Verletzter“ 
hinneigt. 
Bei der Reform des Strafprozesses spielt die 
Frage, ob das Anklagemonopol beibehalten werden 
soll oder nicht, eine wichtige Rolle. In den alten 
Rechten wird das Strafrecht von zivilrechtlichen 
Momenten beherrscht. Dort kann auf die Strafe 
verzichtet werden. Entwickelt sich aber der Staat 
zum Rechtsstaat, so treten diese Erwägungen in 
den Hintergrund. Das Recht auf Strafe wird zu 
einer Rechtspflicht des Staats. Er muß deshalb 
auch für die Rechtsverfolgung Sorge tragen. Im 
Inquisitionsprozeß war der Richter die Straf- 
verfolgungsbehörde. Zur Wahrung der richter- 
lichen Objektivität wurde im modernen Strafpro= 
zeß die Strafverfolgung vom Richteramt getrennt. 
Das Ergebnis der Trennung ist die heutige 
Staatsanwaltschaft. Sie ist ein dem Justizmini- 
sterium unterstelltes Verwaltungsorgan, für das 
als solches bis zu einem gewissen Grad auch Zweck- 
mäßigkeitsgründe bei der Strafverfolgungspflicht 
anerkannt sind. Das Anklagemonopol ist ein Aus- 
fluß des absolutistischen Staatsgedankens. Es will 
die Untertanen möglichst weitgehend schützen. Dieser 
an sich wohlmeinende Wille ist auch heute noch als 
leitender Grundsatz ins Auge zu fassen. In den 
minder wichtigen Sachen aber (z. B. Sachbeschä- 
digung, erschwerte Körperverletzung usw.), wo 
nicht die Gesamtheit, sondern nur einzelne in ihren 
Rechtsgütern verletzt sind, muß diesen das Recht 
zugebilligt werden, darüber zu entscheiden, ob sie 
eine Strafverfolgung wünschen oder nicht. Im 
Interesse der einheitlichen Strafverfolgung, im 
Interesse des Ansehens der Gesetze und der Rechts- 
pflege muß am Legalitätsprinzip, d. h. der staat- 
lichen Verfolgungspflicht strafbarer Handlungen 
festgehalten werden. Wären Zweckmäßigkeits- 
gründe (Opportunitätsprinzip) für die Entschlie- 
Pßung der Staatsanwaltschaft maßgebend, so würde 
in kurzem ihr der Vorwurf der Parteilichkeit ge- 
macht, dadurch das Ansehen der Justiz unter- 
graben, die Einheitlichkeit der Strafverfolgung 
aufgehoben und der Laxheit in der Verfolgung 
Tür und Tor geöffnet. Die Freunde des Oppor- 
tunitätsprinzips gehen nicht so weit, zu fordern, 
daß die Strafverfolgung überhaupt nur durch 
Zweckmäßigkeitserwägung bestimmt werden soll. 
Maßgebend für sie ist die Interessenkollision. Es 
mag öfters vorkommen, daß öffentliche und in- 
dividuelle Interessen zusammenstoßen. Wenn in 
einem solchen Fall jedesmal es dem Ermessen der 
Staatsanwaltschaft überlassen wäre, ob Anklage 
erhoben werden soll oder nicht, so würden sich bald 
die obengenannten Folgen zeigen. Nur dort, wo 
vorwiegend Privatinteressen in Frage kommen, 
hat das Opportunitätsprinzip seine Berechtigung. 
In voller Straffheit ist das Legalitätsprinzip 
auch heute nicht durchgeführt. So entscheidet die 
Staatsanwaltschaft, ob eine Sache in tatsächlicher 
Beziehung als aufgeklärt anzusehen ist und stellt 
im Verneinungsfall das Verfahren ein. Sie ent-
	        
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