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aber kann die Strafverfolgung nur auf Antrag
der Antragsberechtigten oder (gegen Beamte) mit
Ermächtigung der Behörde oder (gegen Abgeord-
nete) des Reichstags oder Landtags eintreten.
Ist aber die Anklage einmal erhoben, so ist
sie ebenso wie in Frankreich der Disposition der
Staatsanwaltschaft insofern entzogen, als sie nicht
mehr zurückgezogen werden kann und das Gericht
weder an die Beweisanträge noch an sonstige An-
träge der Staatsanwaltschaft gebunden ist, also
auch trotz des Freisprechungsantrags strafen kann.
Die deutsche Strafprozeßordnung befolgt also bis
zur Anklage das Akkusationsprinzip und behandelt
die Strafverfolgung als Parteisache (actio popu-
laris), nach erhobener Anklage aber befolgt sie das
Inquisitionsprinzip und legt dem Gericht die Ver-
pflichtung auf, die Strafverfolgung als Rechts-
sache zu behandeln. Nach der österreichischen Straf-
prozeßordnung ist das Akkusationsprinzip streng
durchgeführt. Ebenso in England. Wenn sonach
die Staatsanwaltschaft prozessualisch einen der
Partei ähnlichen Charakter hat und die deutsche
Strafprozeßordnung, abweichend von der franzö-
sischen, die sog. „Waffengleichheit“ zwischen Staats-
anwaltschaft und Verteidigung durchgeführt hat,
so unterliegt die Staatsanwaltschaft doch weder
der Disziplin des Vorsitzenden, noch kann ihr Ver-
treter (wegen Verdachts der Parteilichkeit, wie ein
Richter) vom Angeklagten abgelehnt werden. Hat
die Staatsanwaltschaft einerseits mehr Rechte wie
die Partei im Prozeß, so fehlen ihr aber auch
anderseits Parteirechte, wie sich aus vorstehendem
ergibt. In der Verhandlung hat die Staatsanwalt-
schaft das Interesse des Staats zu vertreten, das
ebensosehr die Freisprechung des Unschuldigen wie
die Verurteilung des Schuldigen erheischt. Sie
hat deshalb von vornherein neben den belastenden
auch die entlastenden Tatumstände zu ermitteln
und die Freisprechung des Angeklagten zu bean-
tragen sowie bei seiner Verurteilung Rechtsmittel
zu seinen Gunsten einzulegen, wenn sie zur Über-
zeugung seiner Unschuld gelangt ist.
Das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft
schließt die Gefahr des Mißbrauchs in sich, und
zwar sowohl durch die Erhebung ungerechtfertigter
Anklagen wie durch das Unterlassen der Erhebung
gerechtfertigter. Die Erhebung ungerechtfertigter
Anklagen ist nicht ganz zu vermeiden; für die
Nachteile, die sie dem von ihr Betroffenen zufügt,
so durch die Untersuchungshaft, die Kosten der
Verteidigung und sonstige Auslagen, hat der Staat
einzutreten. Gelungen ist es jedoch, die staatliche
Pflicht einer Entschädigung der unschuldig in Unter-
suchungshaft gezogenen Personen zur gesetzlichen
Anerkennung zu bringen (Gesetz betr. die Ent-
schädigung für unschuldig erlittene Untersuchungs-
haft vom 14. Juli 1904). Zur Verhinderung der
Nichterhebung gerechtfertigter Anklagen hat sich
das in Deutschland geltende Rekursverfahren als
zu eng erwiesen, weil dessen Einlegung auf den
Verletzten beschränkt ist, die Praxis aber zu einer
Staatsanwaltschaft.
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einengenden Auslegung des Begriffs „Verletzter“
hinneigt.
Bei der Reform des Strafprozesses spielt die
Frage, ob das Anklagemonopol beibehalten werden
soll oder nicht, eine wichtige Rolle. In den alten
Rechten wird das Strafrecht von zivilrechtlichen
Momenten beherrscht. Dort kann auf die Strafe
verzichtet werden. Entwickelt sich aber der Staat
zum Rechtsstaat, so treten diese Erwägungen in
den Hintergrund. Das Recht auf Strafe wird zu
einer Rechtspflicht des Staats. Er muß deshalb
auch für die Rechtsverfolgung Sorge tragen. Im
Inquisitionsprozeß war der Richter die Straf-
verfolgungsbehörde. Zur Wahrung der richter-
lichen Objektivität wurde im modernen Strafpro=
zeß die Strafverfolgung vom Richteramt getrennt.
Das Ergebnis der Trennung ist die heutige
Staatsanwaltschaft. Sie ist ein dem Justizmini-
sterium unterstelltes Verwaltungsorgan, für das
als solches bis zu einem gewissen Grad auch Zweck-
mäßigkeitsgründe bei der Strafverfolgungspflicht
anerkannt sind. Das Anklagemonopol ist ein Aus-
fluß des absolutistischen Staatsgedankens. Es will
die Untertanen möglichst weitgehend schützen. Dieser
an sich wohlmeinende Wille ist auch heute noch als
leitender Grundsatz ins Auge zu fassen. In den
minder wichtigen Sachen aber (z. B. Sachbeschä-
digung, erschwerte Körperverletzung usw.), wo
nicht die Gesamtheit, sondern nur einzelne in ihren
Rechtsgütern verletzt sind, muß diesen das Recht
zugebilligt werden, darüber zu entscheiden, ob sie
eine Strafverfolgung wünschen oder nicht. Im
Interesse der einheitlichen Strafverfolgung, im
Interesse des Ansehens der Gesetze und der Rechts-
pflege muß am Legalitätsprinzip, d. h. der staat-
lichen Verfolgungspflicht strafbarer Handlungen
festgehalten werden. Wären Zweckmäßigkeits-
gründe (Opportunitätsprinzip) für die Entschlie-
Pßung der Staatsanwaltschaft maßgebend, so würde
in kurzem ihr der Vorwurf der Parteilichkeit ge-
macht, dadurch das Ansehen der Justiz unter-
graben, die Einheitlichkeit der Strafverfolgung
aufgehoben und der Laxheit in der Verfolgung
Tür und Tor geöffnet. Die Freunde des Oppor-
tunitätsprinzips gehen nicht so weit, zu fordern,
daß die Strafverfolgung überhaupt nur durch
Zweckmäßigkeitserwägung bestimmt werden soll.
Maßgebend für sie ist die Interessenkollision. Es
mag öfters vorkommen, daß öffentliche und in-
dividuelle Interessen zusammenstoßen. Wenn in
einem solchen Fall jedesmal es dem Ermessen der
Staatsanwaltschaft überlassen wäre, ob Anklage
erhoben werden soll oder nicht, so würden sich bald
die obengenannten Folgen zeigen. Nur dort, wo
vorwiegend Privatinteressen in Frage kommen,
hat das Opportunitätsprinzip seine Berechtigung.
In voller Straffheit ist das Legalitätsprinzip
auch heute nicht durchgeführt. So entscheidet die
Staatsanwaltschaft, ob eine Sache in tatsächlicher
Beziehung als aufgeklärt anzusehen ist und stellt
im Verneinungsfall das Verfahren ein. Sie ent-