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scheidet auch, ob gewisse im Ausland begangene
Delikte im Inland verfolgt werden sollen, in
andern Sachen, ob die Verfolgung im öffentlichen
Interesse liegt (z. B. Beleidigungs. Im Entwurf
zur neuen Strafprozeßordnung ist für die Über-
tretungen sowie für eine Reihe anderer Delikte, so
Bedrohung, Hausfriedensbruch u. dgl., das Op-
portunitätsprinzip vorgesehen; wo der Staats-
anwalt an der Nichtverfolgung kein Interesse hat,
soll den Verletzten der Weg der Privatklage offen
stehen. Eine solche weitere Durchbrechung des
Legalitätsprinzips wäre nur zu begrüßen.
Im Zivilprozeß ist die Tätigkeit der
Staatsanwaltschaft nach der deutschen Zivilprozeß-
ordnung eine sehr geringfügige. Nur noch in
Ehesachen (§ 606 ff), in Entmündigungssachen
6 645 ff), bei Rechtsstreitigkeiten, welche die
Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern
und Kindern zum Gegenstand haben (§ 640 ff)
und im Aufgebotsverfahren bei Todeserklärung
(§974) ist eine Mitwirkung der Staatsanwalt-
schaft vorgesehen. In der Regel wird sie dabei
nur nötig, wenn die Klage gegen die Staats-
anwaltschaft erhoben wird. Die Entwürfe der
Zivilprozeßordnung hatten die obligatorische Mit-
wirkung der Staatsanwaltschaft in Ehesachen vor-
gesehen. Von der Justizkommission des Reichs-
tags wurde die Mitwirkung ganz abgelehnt und
erst in der zweiten Lesung wurde sie fakultativ ein-
geführt. Zum Zweck der Durchführung ist die
Staatsanwaltschaft von allen Terminen von Amts
wegen in Kenntnis zu setzen. Sie kann jeder Ver-
handlung beiwohnen. Ihre ideale Aufgabe soll
die Verteidigung der Ehe sein. Im Interesse der
Aufrechterhaltung der Ehe soll der Staatsanwalt
die Möglichkeit haben, das wahre Sachverhältnis
aufzuklären und es dem Gericht zu unterbreiten.
Er muß seine Darlegung in der mündlichen Ver-
handlung in Gegenwart der Parteien machen.
Dadurch erhält er jedoch nicht eine eigne Partei-
rolle. Er kann deshalb auch nicht den Rechtsstreit
betreiben oder Rechtsmittel gegen das Urteil des
Gerichts einlegen. Nur wenn es sich um nichtige
Ehen handelt, z. B. im Fall der Doppelehe, kann
der Staatsanwalt als Kläger auftreten und die
Klage auf Nichtigkeit der Ehe gegen die beiden
Ehegatten erheben und betreiben. In den deut-
schen Schutzgebieten findet eine Mitwirkung der
Staatsanwaltschaft in Ehesachen nicht statt. Bei
nichtigen Ehen ist jedoch durch das Konsular-
gerichtsbarkeitsgesetz vom 7. April 1900 vor-
gesehen, daß der Konsul einer zur Rechtsanwalt-
schaft zugelassenen Person, oder einem achtbaren
Gerichtseingesessenen oder sonst im Bezirk wohn-
haften Deutschen oder Schutzgenossen die Ver-
richtungen der Staatsanwaltschaft übertragen kann
(642 K.G.G. und § 2u. 3 des Schutzgebietgesetzes).
Diesemsteht dann dieselbe Befugnis zu, die die Zivil-
prozeßordnung dem Staatsanwalt gegeben hat.
Zweifellos ist der Gedanke, den Staatsanwalt
zum Verteidiger der Ehe zu machen, nur anzu-
Staatsbankrott — Staatsbürgerliche Erziehung.
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erkennen. Die Ehe ist die Grundlage des Staats,
der Keim seiner Existenz. Dem sittlichen Wesen
der Ehe entspricht die im Christentum ihr gege-
bene Unauflöslichkeit, Einheit und Heiligkeit. Der
christliche Staat hat alle Veranlassung, sein Fun-
dament zu schützen. Es ist jedoch eine bekannte
Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft diese ihr im
Zivilprozeß zugedachte Aufgabe, soweit es sich um
Aufrechterhaltung der Ehe handelt, so gut wie
nicht erfüllt. Das Betreiben der Ehesachen liegt
in Wirklichkeit ganz in den Händen der Parteien.
Dem Gericht selbst ist die Möglichkeit der Auf-
klärung durch eignes initiatives Eingreifen nur
indirekt möglich.
Die administrative Tätigkeit der Staats-
anwaltschaft als Organ der Justizaufsicht war in
Frankreich eine sehr bedeutende. Der Justiz=
minister als Organ der Justizhoheit verkehrte mit
den Gerichten durch das ministere public. Das-
selbe hatte über den Gang der Rechtspflege und
über die Personalien regelmäßig zu berichten,
vermittelte den Verkehr der Gerichte untereinander
(bei Requisitionen u. dgl.) und war Aussichts-
instanz über die Friedensrichter, über die Sub-
alternbeamten, über die Anwälte (avouss, nicht
aber über die Advokaten), über die Notare, Ge-
richtsvollzieher, überhaupt über die sog. mini-
steriellen Beamten.
Heute ist der Staatsanwaltschaft die Aufsicht
über die Gerichte überall ganz entzogen. Im
Deutschen Reich ist ihr nur noch, wo ein ehren-
gerichtliches Verfahren gegen Rechtsanwälte in
Frage steht, eine Mitwirkung durch die Rechts-
anwaltsordnung übertragen. Sie hat die Ver-
sfolgung gegen den Rechtsanwalt zu leiten, Anklage
zu erheben und diese vor dem Ehrengericht und
Ehrengerichtshof zu vertreten. Letzteres ist die
Aufgabe der Staatsanwaltschaft des Oberlandes-
gerichts und Reichsgerichts.
Literatur. v. Lilienthal, Abschn. Strafprozeß=
recht, in Birkmeyers Enzyklopädie der Rechtswissen-
schaft (21905); v. Holtzendorff, Die Umgestaltung
der St. (1865); Gneist, Vier Fragen zur Straf-
prozeßordnung (1874); v. Marck u. Kloß, Die St.
bei den Land= u. Amtsgerichten (21903); Otto, Die
preuß. St. (1899); Wulffen, Die St. u. Kriminal-
polizei in Deutschland (1908); Damarka, St. (1909).
LEggler.]
Staatsbankrott s. Staatsschulden.
Staatsbeamte (. d. Art. Amt, Beamte.
Staatsbetrieb s. d. Artt. Monopol, Staats-
sozialismus.
Staatsbürgerliche Erziehung. I. Be-
griffsbestimmung und Notwendigkeit des
staatsbürgerlichen Anterrichts. Ende der
1880er und Anfang der 1890er Jahre machte sich
in Deutschland eine Bewegung geltend, die für
die Volksschule Unterricht in Bürgerkunde und
Volkswirtschaft forderte; doch trat sie bald hinter
den eifrigen Erörterungen zurück, welche der viel-
umstrittenen künstlerischen Erziehung galten. Um