Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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reits vieles von dem geboten, namentlich im Ge- 
schichts= und Geographieunterricht, was man jetzt 
als neues Fach verlangt. Doch läßt sich nicht 
leugnen, daß der bisherige Brauch meist auf Ver- 
mittlung eines Gesinnungsunterrichts hinauslief, 
während die Forderung der staatsbürgerlichen Er- 
ziehung auch auf positives Wissen abzielt. Der 
Schüler soll wirkliche Einsicht in Wesen, Zweck 
und Lebensbedingungen des Staats erhalten. Zwei 
allgemeine Voraussetzungen haben dabei zu gelten: 
daß auch dieser Erziehungsstoff eine religiöse Durch- 
dringung erfahre, und daß er in allen politischen 
Fragen unbedingte Neutralität beobachte. Die 
Notwendigkeit der religiösen Fundierung ist leicht 
einzusehen, wenn man bedenkt, daß der neue Unter- 
richt dem künftigen Staatsbürger den Weg zu 
einer religiös orientierten Berufs= und Lebens- 
führung weisen soll, die durch einen auf mehr oder 
weniger materialistischer Grundlage — selbst in 
den sog. Realien wird diese sich fühlbar machen! — 
aufgebauten Unterricht nicht erreicht werden kann. 
Ganz besonders gilt das von der Volksschule, für 
die man als Ergänzung der staatsbürgerlichen Er- 
ziehung gewisse Ubungen zur staatsbürgerlichen 
Gewöhnung (nach Kerschensteiners Ausführungen) 
im Auge hatz in diesen sollen die Außerungen des 
Gemeinschaftlichkeits= und Verantwortlichkeitsge- 
fühls, der Hilfsbereitschaft, der Einordnung in das 
Ganze, des Mitgefühls, der Freigebigkeit, der Rück- 
sichtnahme, der Selbstaufopferung, der Hochachtung 
jeder Arbeit usw., die man durch abstrakte Be- 
lehrung nicht gewinnt, geübt werden. Daf die ge- 
nannten Tugenden aber gerade im Christentum 
ihren Hauptnährboden haben, bedarf keiner wei- 
teren Begründung. „Die höheren Sanktionen, deren 
der Staat durchaus bedarf, können, wie dies schon 
Plato klar war, keineswegs aus dem bloßen poli- 
tischen Bewußtsein entspringen. Erst Christus, der 
über dem Reich des Cäsar und über der Welt des 
individuellen Egoismus ein höheres Reich der 
inmeren Freiheit begründet, gibt damit die höchsten 
Motive und Sanktionen auch für die Hingebung 
an die soziale Lebensgemeinschaft. Scheinbar ent- 
zieht er den Menschen gänzlich dem Staat, indem 
er ihn auf das Werk der innersten Erlösung von 
der Selbstsucht konzentriert, aber gerade dadurch 
erhält auch der Gehorsam gegenüber der staat- 
lichen Ordnung ganz neue Motive aus den Tiefen 
der geistigen Persönlichkeit; der Staat nimmt 
etwas Geistiges in sich auf und wird dadurch be- 
fähigt, alle seine Ordnungen zu erweitern und zu 
vertiefen“ (F. W. Foerster in „Autorität und Frei- 
heit“ 106). — Auch die mit aller Entschiedenheit 
zu fordernde rückhaltlose Neutralität des staats- 
kundlichen Unterrichts versteht sich eigentlich von 
selbst; denn nichts wäre verhängnisvoller, als un- 
mündige Kinder und halbreife Jünglinge schon im 
Sinn einer politischen Partei dressieren zu wollen. 
Die traurigen Folgen, welche die von der Sozial- 
demokratie systematisch betriebene parteipolitische 
Jugendverhetzung nach sich zieht, werden ja täglich 
Staatsbürgerliche Erziehung. 
  
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offenkundiger. Darum erklärte auch die schon er- 
wähnte „Vereinigung für staatsbürgerliche Er- 
ziehung“ in ihren ersten Aufrufen ausdrücklich, daß 
sie sich von jeder parteipolitischen Tendenz fern- 
halten wolle; nichtsdestoweniger meinte der eine 
von ihren beiden Hauptbegründern (ogl. „Ethische 
Kultur“ vom 1. Dez. 1909) in einflußreicher Ver- 
sammlung, daß „die sog. staatsbürgerliche Er- 
ziehung zu einem Agitationsmiltel gegen Sozial- 
demokratie und Zentrum auszubilden“ sei. Diese 
Absicht scheint tatsächlich in weiteren Kreisen leben- 
dig zu sein; wird doch heute schon ohne eigentlichen 
staatskundlichen Unterricht in den Geschichtsstunden 
vieler niederer und höherer Lehranstalten so Un- 
glaubliches in alldeutschem und kulturkämpferischem 
Fanatismus geleistet, daß von objektiver historischer 
Wahrheit vielfach keine Rede mehr sein kann, na- 
mentlich wenn es gilt, die katholische Kirche zu 
verdächtigen und zu verleumden. — Dieses Ver- 
fahren würde schon gegen die vernünftige Grund- 
tendenz des richtig verstandenen staatskundlichen 
Unterrichts verstoßen. Diese kann nämlich nicht 
darauf hinauslaufen, den Schüler durch Beibrin- 
gung eines bestimmten Quantums von abfrag- 
barem Wissen über die Staatseinrichtungen zu 
einem „Fertigen“ zu machen; die Hauptsache wird 
immer sein müssen, in ihm Verständnis und Emp- 
fänglichkeit für das staatliche und wirtschaftliche 
Leben der Gegenwart zu wecken, damit er einer- 
seits reif werde für die Beurteilung der Staats- 
aufgaben und anderseits ein Gefühl der Verant- 
wortlichkeit empfinde, das ihn zu rechter Erfüllung 
seiner Bürgerpflichten antreibe. Das Wissen allein 
würde noch keinerlei Garantien dafür bieten, daß 
die viel beklagte staatsbürgerliche Lauheit gerade der 
besitzenden Klassen durch den neuen Unterricht ver- 
mindert oder gar beseitigt würde. 
Um nunmehr auch auf Einzelheiten etwas ein- 
zugehen, sei bemerkt, daß der staatskundliche Un- 
terricht sich zunächst natürlich auf Darlegung der 
gegenwärtigen Verhältnisse zu erstrecken hat, d. h. 
er muß ungefähr das einschließen, was man jetzt 
meist Bürgerkunde neunt: nämlich eine Erläute- 
rung unserer Staatsverfassung, unserer Verwal- 
tungs= und Gerichtsorganisation, unseres Finanz- 
und Heerwesens, einiger Hauptpunkte aus unserem 
wirtschaftlichen Leben und der sozialen Gesetzgebung 
usw. Je nach der Fassungskraft der betreffenden 
Schülergattung und -stufe sollte dieser Unterricht 
sich von seinen primitivslen Anfängen in der 
Volksschule bis zur vollsten Ausgestaltung in der 
Oberprima der Mittelschulen durch den gesamten 
Schulorganismus hindurchziehen. Höher als diese 
einfache Schilderung der tatsächlichen Zustände 
steht natürlich die Einführung in die geschichtlich- 
genetische Entwicklung, die einerseits das Werden 
der Staats-, Wirtschafts= und Gesellschaftsformen 
darlegt, anderseits die Mannigfaltigkeit der Er- 
scheinungen auf gewisse Begriffe zurückzuführen 
strebt. Das wird im eigentlichen Sinn nicht vor 
Untersekunda möglich sein — allerdings auch hier
	        
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