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reits vieles von dem geboten, namentlich im Ge-
schichts= und Geographieunterricht, was man jetzt
als neues Fach verlangt. Doch läßt sich nicht
leugnen, daß der bisherige Brauch meist auf Ver-
mittlung eines Gesinnungsunterrichts hinauslief,
während die Forderung der staatsbürgerlichen Er-
ziehung auch auf positives Wissen abzielt. Der
Schüler soll wirkliche Einsicht in Wesen, Zweck
und Lebensbedingungen des Staats erhalten. Zwei
allgemeine Voraussetzungen haben dabei zu gelten:
daß auch dieser Erziehungsstoff eine religiöse Durch-
dringung erfahre, und daß er in allen politischen
Fragen unbedingte Neutralität beobachte. Die
Notwendigkeit der religiösen Fundierung ist leicht
einzusehen, wenn man bedenkt, daß der neue Unter-
richt dem künftigen Staatsbürger den Weg zu
einer religiös orientierten Berufs= und Lebens-
führung weisen soll, die durch einen auf mehr oder
weniger materialistischer Grundlage — selbst in
den sog. Realien wird diese sich fühlbar machen! —
aufgebauten Unterricht nicht erreicht werden kann.
Ganz besonders gilt das von der Volksschule, für
die man als Ergänzung der staatsbürgerlichen Er-
ziehung gewisse Ubungen zur staatsbürgerlichen
Gewöhnung (nach Kerschensteiners Ausführungen)
im Auge hatz in diesen sollen die Außerungen des
Gemeinschaftlichkeits= und Verantwortlichkeitsge-
fühls, der Hilfsbereitschaft, der Einordnung in das
Ganze, des Mitgefühls, der Freigebigkeit, der Rück-
sichtnahme, der Selbstaufopferung, der Hochachtung
jeder Arbeit usw., die man durch abstrakte Be-
lehrung nicht gewinnt, geübt werden. Daf die ge-
nannten Tugenden aber gerade im Christentum
ihren Hauptnährboden haben, bedarf keiner wei-
teren Begründung. „Die höheren Sanktionen, deren
der Staat durchaus bedarf, können, wie dies schon
Plato klar war, keineswegs aus dem bloßen poli-
tischen Bewußtsein entspringen. Erst Christus, der
über dem Reich des Cäsar und über der Welt des
individuellen Egoismus ein höheres Reich der
inmeren Freiheit begründet, gibt damit die höchsten
Motive und Sanktionen auch für die Hingebung
an die soziale Lebensgemeinschaft. Scheinbar ent-
zieht er den Menschen gänzlich dem Staat, indem
er ihn auf das Werk der innersten Erlösung von
der Selbstsucht konzentriert, aber gerade dadurch
erhält auch der Gehorsam gegenüber der staat-
lichen Ordnung ganz neue Motive aus den Tiefen
der geistigen Persönlichkeit; der Staat nimmt
etwas Geistiges in sich auf und wird dadurch be-
fähigt, alle seine Ordnungen zu erweitern und zu
vertiefen“ (F. W. Foerster in „Autorität und Frei-
heit“ 106). — Auch die mit aller Entschiedenheit
zu fordernde rückhaltlose Neutralität des staats-
kundlichen Unterrichts versteht sich eigentlich von
selbst; denn nichts wäre verhängnisvoller, als un-
mündige Kinder und halbreife Jünglinge schon im
Sinn einer politischen Partei dressieren zu wollen.
Die traurigen Folgen, welche die von der Sozial-
demokratie systematisch betriebene parteipolitische
Jugendverhetzung nach sich zieht, werden ja täglich
Staatsbürgerliche Erziehung.
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offenkundiger. Darum erklärte auch die schon er-
wähnte „Vereinigung für staatsbürgerliche Er-
ziehung“ in ihren ersten Aufrufen ausdrücklich, daß
sie sich von jeder parteipolitischen Tendenz fern-
halten wolle; nichtsdestoweniger meinte der eine
von ihren beiden Hauptbegründern (ogl. „Ethische
Kultur“ vom 1. Dez. 1909) in einflußreicher Ver-
sammlung, daß „die sog. staatsbürgerliche Er-
ziehung zu einem Agitationsmiltel gegen Sozial-
demokratie und Zentrum auszubilden“ sei. Diese
Absicht scheint tatsächlich in weiteren Kreisen leben-
dig zu sein; wird doch heute schon ohne eigentlichen
staatskundlichen Unterricht in den Geschichtsstunden
vieler niederer und höherer Lehranstalten so Un-
glaubliches in alldeutschem und kulturkämpferischem
Fanatismus geleistet, daß von objektiver historischer
Wahrheit vielfach keine Rede mehr sein kann, na-
mentlich wenn es gilt, die katholische Kirche zu
verdächtigen und zu verleumden. — Dieses Ver-
fahren würde schon gegen die vernünftige Grund-
tendenz des richtig verstandenen staatskundlichen
Unterrichts verstoßen. Diese kann nämlich nicht
darauf hinauslaufen, den Schüler durch Beibrin-
gung eines bestimmten Quantums von abfrag-
barem Wissen über die Staatseinrichtungen zu
einem „Fertigen“ zu machen; die Hauptsache wird
immer sein müssen, in ihm Verständnis und Emp-
fänglichkeit für das staatliche und wirtschaftliche
Leben der Gegenwart zu wecken, damit er einer-
seits reif werde für die Beurteilung der Staats-
aufgaben und anderseits ein Gefühl der Verant-
wortlichkeit empfinde, das ihn zu rechter Erfüllung
seiner Bürgerpflichten antreibe. Das Wissen allein
würde noch keinerlei Garantien dafür bieten, daß
die viel beklagte staatsbürgerliche Lauheit gerade der
besitzenden Klassen durch den neuen Unterricht ver-
mindert oder gar beseitigt würde.
Um nunmehr auch auf Einzelheiten etwas ein-
zugehen, sei bemerkt, daß der staatskundliche Un-
terricht sich zunächst natürlich auf Darlegung der
gegenwärtigen Verhältnisse zu erstrecken hat, d. h.
er muß ungefähr das einschließen, was man jetzt
meist Bürgerkunde neunt: nämlich eine Erläute-
rung unserer Staatsverfassung, unserer Verwal-
tungs= und Gerichtsorganisation, unseres Finanz-
und Heerwesens, einiger Hauptpunkte aus unserem
wirtschaftlichen Leben und der sozialen Gesetzgebung
usw. Je nach der Fassungskraft der betreffenden
Schülergattung und -stufe sollte dieser Unterricht
sich von seinen primitivslen Anfängen in der
Volksschule bis zur vollsten Ausgestaltung in der
Oberprima der Mittelschulen durch den gesamten
Schulorganismus hindurchziehen. Höher als diese
einfache Schilderung der tatsächlichen Zustände
steht natürlich die Einführung in die geschichtlich-
genetische Entwicklung, die einerseits das Werden
der Staats-, Wirtschafts= und Gesellschaftsformen
darlegt, anderseits die Mannigfaltigkeit der Er-
scheinungen auf gewisse Begriffe zurückzuführen
strebt. Das wird im eigentlichen Sinn nicht vor
Untersekunda möglich sein — allerdings auch hier