Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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11879|; Freudenthal, Die Volksabstimmung bei 
Gebietsabtretungen und Eroberungen (18911; 
Keilborn, System 112). Zur Erwerbung der Ge- 
bietshoheit über das abgetretene Gebiet wird dann 
die Besitzübergabe und Übernahme erfordert. Ein- 
zelne Teile des Staatsgebiels können verloren 
gehen entweder durch Naturereignisse, z. B. durch 
Abschwemmung, oder durch rechtliche Akte, Ab- 
tretung, von Erfolg begleiteten Abfall der Be- 
völkerung, Aufgabe der Gebietshoheit (Dereliktion). 
Daß zum Staatsgebiet auch das Erdinnere ge- 
hört, ist niemals bezweifelt worden. Die Hoheits- 
macht hat hier wie das Privatrecht an der Aus- 
übungsunmöglichkeit ihre Grenze gefunden. Be- 
züglich der Erdschätze haben jedoch die Gesetz- 
gebungen in weitem Umfang das Hoheitsrecht mit 
Eigentums (Monopol)rechten ausgestattet. 
Luftschiffe und Funkentelegraphie haben in 
neuester Zeit dem Hoheitsrecht an der Luft über 
dem Staatsgebiet eine erhöhte Bedeutung gegeben. 
Wenn auch die Luftwelle nach wie vor als in nie- 
mandes Recht stehend anzuerkennen ist, so ist doch 
dieser römische Satz bezüglich des Luftraums nicht 
mehr anzuerkennen. Soweit überhaupt ein ver- 
nünftiges Interesse geht, ist ein Staatshoheits- 
recht an dem Luftraum begründet. 
[Rulf, rev. Coermann.) 
Staatsgerichtshof s. Garantien, staats- 
rechtliche (Bd II, Sp. 399 f), Staatsministerium; 
vgl. auch Ausnahmegerichte. 
Staatsgewalt. 1. Staatsgewalt ist die 
mit dem Staat notwendig gegebene und in ihm 
vorhandene befehlende, ordnende und ausführende 
Macht. Sie ist Gewalt des Staats, d. h. sie 
kommt dem Staat als Ganzem, den in ihm zum 
Gemeinschaftsleben verbundenen Personen in ihrer 
organisierten Gesamtheit zu; nicht Gewalt über den 
Staat. Sie besteht aber ihrem Begriff nach nicht 
in der Summe der physischen Macht, welche aus 
dem Zusammentreten der Einzelkräfte erwächst, 
sondern in der aus der Natur des Staats stam- 
menden Befugnis, zu befehlen, anzuordnen und 
mit Hilfe physischer Machtmittel ins Werk zu 
setzen, was von dem Bestand, der Aufrechterhaltung 
und der Förderung der Interessengemeinschaft 
verlangt wird. Betätigen kann sie sich nur durch 
Personen, welche als Vertreter des Staatsganzen 
und im Namen desselben die Befehle erlassen, die 
Anordnungen treffen und über die erforderlichen 
Mittel verfügen, um den einen wie den andern 
gegenüber dem widerstrebenden Willen einzelner 
Nachdruck zu verschaffen und Ausführung zu sichern. 
Diese sind die Träger der Staatsgewalt, wobei 
es für den Begriff gleichgültig ist und von der 
Einrichtung des besondern Staats abhängt, ob die 
Gewalt in der Hand eines Einzigen oder in der 
einer verbundenen Mehrheit von Personen liegt. 
Träger der Staatsgewalt ist also dasselbe, was in 
d. Art. Staat bei der Erörterung des Staatsbegriffs 
als anerkannte Autorität oder als oberstes Organ 
des Gemeinschaftslebens bezeichnet und von dessen 
  
Staatsgerichtshof — Staatsgewalt. 
  
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Vorhandensein der staatliche Charakter eines zu 
dauernder Interessengemeinschaft verbundenen 
Menschheitskomplexes abhängig gemacht wurde. 
Aber auch das oberste Organ läßt sich nicht aus 
dem Organismus loslösen; es lebt nur durch das 
Leben des Ganzen. Die Gewalt, welche der Träger 
der Staatsgewalt von Rechts wegen ausübt, ist 
nicht die seine, sondern die des Staats, den er 
vertritt und für den er tätig ist. Das erste dem 
Begriff nach ist, wie in d. Art. Staat ausgeführt 
wurde, der in der sittlichen Ordnung begründete 
Zweck, den die menschliche Vernunft erkennt und 
anerkennt, nachdem schon vorher Umstände, Be- 
dürfnisse und Neigungen zu seiner Verwirklichung 
getrieben haben; das zweite die damit naturnot- 
wendig verbundene Gewalt; das dritte der Träger 
oder das oberste Organ dieser letzteren. Eines 
fordert das andere: weil der Staat sein soll, be- 
darf es eines Trägers für die in seinem Wesen 
eingeschlossene Staatsgewalt; weil der Staat in 
der sittlichen Ordnung gründet, haben die Träger 
der Staatsgewalt die Macht, nicht nur von außen 
zu zwingen, sondern im Gewissen zu verpflichten. 
Das eben besagt das Wort des Apostels (Röm 
13, 1): Es ist keine Gewalt, außer von Gott. 
Mit dieser Quelle sind daher auch die Grenzen 
der Staatsgewalt bezeichnet. Sie darf sich keine 
Ziele setzen, welche mit dem Sittengesetz nicht ver- 
einbar sind, und auch in der Verfolgung erlaubter 
Zwecke sich nicht unsittlicher Mittel bedienen. Sie 
ist bedingt durch den Staatszweck, kann daher, 
allgemein gesprochen, nur vorschreiben, was durch 
diesen gefordert und mit ihm vereinbar ist. Das 
besagt aber nicht, daß jeder Bürger seine Gehor- 
samsleistung davon abhängig machen dürfte, ob das 
Vorgeschriebene in jedem Fall seinem Dafürhalten 
nach diesen Bedingungen entspricht oder nicht, viel- 
mehr fordert umgekehrt der Bestand und die Auf- 
rechterhaltung des Staats, daß sich die Bürger 
so lange den Anordnungen der Obrigkeit unter- 
werfen, als diese nicht offensichtlich den Interessen 
der Gesamtheit widerstreiten oder ein besseres 
Recht des einzelnen oder der Familie verletzen (s. d. 
Art. Staat); denn alsdann gilt, wie in dem Fall 
eines direkt unsittlichen Gebots, daß die Pflicht 
des Gehorsams nicht weiter reicht als das Recht 
des Befehlens. Nichts ist hiernach irriger als die 
Behauptung, die Zurückführung der Staatsgewalt 
auf göttliche Einrichtung führe zum Absolutismus 
oder zur Vergötterung der irdischen Machthaber. 
Das Christentum lehrt, daß man Gott mehr ge- 
horchen müsse als den Menschen. Th. Hobbes 
dagegen, der Vater des modernen Staatsabsolutis= 
mus, zählt die Berufung auf das Gewissen zu den 
Dingen, die den Staat mit Auflösung bedrohen; 
kein Bürger soll dazu das Recht haben. Da nun 
aber die Möglichkeit besteht, daß die Staatsgewalt 
mißbraucht werde, und tatsächlich oft genug miß- 
braucht worden ist, so sind in der Neuzeit fast über- 
all Einrichtungen getroffen, um einen derartigen 
Mißbrauch zu verhindern oder zu erschweren (ogl. 
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