Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1503 
nisse hat D. Schäfer, Zur Beurteilung des Wormser 
Konkordats [Abhandlungen der Berliner Akademie 
1905)| eine Kontroverse hervorgerufen. Eine kri- 
tische Beleuchtung der Frage nebst Angabe der 
älteren und neueren Literatur bei Meyer von 
Knonau, in Jahrb. des Deutschen Reichs unter 
Heinrich IV. und Heinrich V. Bd VII (1909j. 
Exkurs I: Zur Beurteilung des Wormser Kon- 
kordats 349/354. — Die Trierer Bischofswahlen 
nach dem Konkordat behandelt H. Bastgen, Die 
Geschichte des Trierer Domkapitels im Mittel- 
alter. Hft 7 der Veröffentlichungen der Görres- 
Gesellschaft, Sektion für Rechts= und Sozial- 
wissenschaft (1910.) 268 ff.) 
Als Kehrseite der Entwicklung darf freilich nicht 
übersehen werden, daß tatsächlich durch das Wahl- 
recht der Domkapitel und die Art seiner Betätigung 
die Herrschaft über die deutschen Bischofsstühle auf 
Jahrhunderte dem Adelstande zugesichert wurde und 
daß in der Folge nur zu oft an Stelle der früheren 
staatlichen und königlichen Rücksichten jetzt Standes- 
und Familieninteressen eine Rolle spielten. (Vgl. 
A. Schulte, Der Adel und die deutsche Kirche im 
Mittelalter. Kirchenrechtliche Abhandlungen, her- 
ausgegeben von U. Stutz, Hft 63/64 /1910) 66. 
— Über den Unterschied von der französischen inner- 
politischen Entwicklung, wo der König durch die 
Herrschaft über die Pfründen auch den Adel be- 
herrschte, während diese in Deutschland zur Ver- 
fügung des Adels standen; vgl. Schulte a. a. O. 
288.) 
  
Im Kampf gegen das überwuchernde Staats- 
kirchentum war das kirchliche Selbstbewußtsein 
mächtig gehoben und gestärkt worden. In steigen- 
dem Maf betätigte sich die Kirche in der geistigen 
und kulturellen Führung der christlichen Gesell- 
schaft und gewann dadurch und auch durch reale 
Machtfaktoren einen wachsenden politischen Ein- 
fluß, der seinerseits wieder eine eigenartige theo- 
retische Begründung annahm und schließlich als 
rechtlicher Herrschaftsanspruch über Staat und 
staatliche Dinge auftrat. Es kam die Zeit der 
mittelalterlichen Theokratie oder 
Hierokratie, die ihren glänzendsten Ver- 
treter in Innozenz III. und ihren markantesten in 
Bonifatius VIII. besitzt. 
Im Kampf gegen diese Hierokratie wurde das 
neuzeitliche Staatskirchentum grundgelegt. 
Zunächst wurde gekämpft mehr um Unabhängig- 
keit der staatlichen Gewalt und des staatlichen 
Lebens, bald aber übergreifend in das kirchliche 
Gebiet um Erreichung staatlicher Befugnisse in 
kirchlichen Dingen. 
In Deutschland im besondern drehte sich der 
Kampf vorerst um die Unabhängigkeit des König- 
tums vom Papsttum (Engelmann, Der An- 
spruch der Päpste auf Konfirmation und Appro- 
bation bei den deutschen Königswahlen 1077 
bis 1379 [18861|; Höhlbaum, Der Kurverein 
von Rense [19031; über die Goldene Bulle und 
den päpstlichen Approbationsanspruch: Zeumer in 
Staatskirchentum. 
  
1504 
seiner Ausgabe der Bulle, in Quellen u. Studien 
zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reichs im 
Mittelalter und Neuzeit II/19081 193 ff. Dazu 
bzw. dagegen G. Kentenich in Hist. Vierteljahr= 
schrift XIL1908J 525/527. E. Vogt, Westdeutsche 
Zeitschrift (1908] 474. Über die Auffassung 
auch treu kirchlich gerichteter Publizisten vgl. H. 
Meyer, Lupold von Bebenburg, in Studien und 
Darstellungen aus dem Gebiet der Geschichte, hrsg. 
von Grauert VII, 1 u. 2 [1909] 8 14). 
Ganz allgemein aber bestand eine wachsende 
Opposition gegen zwei Punkte des theokratischen 
Systems, eine Opposition, die schließlich nicht 
bloß zur Zurückdrängung der Kirche auf ihr Ge- 
biet, sondern darüber hinaus zur Forderung und 
Ausübung von Herrschaftsbefugnissen des Staats 
in rein kirchlichen Dingen führte. Diese zwei 
Punkte, gegen die lange mit wechselndem Aus- 
gang gekämpft wurde, waren die Ausdehnung der 
kirchlichen Gerichtsbarkeit auf rein weltliche Dinge 
und zweitens jene weitgehende Exemtion des Klerus 
von staatlicher Zuständigkeit, die man schon als 
Exterritorialität bezeichnet hat. 
Praktisch am erfolgreichsten war die Opposition 
gegen das hierokratische System sowie die Aus- 
bildung eines neuen Staatskirchentums in Frank- 
reich. Aber auch in Deutschland begann das 
Staatskirchentum früh sich zu regen; äußerlich trat 
der Kampf scharf hervor zur Zeit Ludwigs des 
Bayern. Begleitet waren diese antihierokratischen 
und staatskirchlichen Bestrebungen von einer emsig 
bearbeiteten Theorie. In diesen staatskirchlichen 
Lehren und Untersuchungen des 14. und 15. Jahrh. 
haben wir auch nach der theoretischen 
Seite die wesentliche Grundlegung 
des neuzeitlichen Staatskirchentums 
überhaupt zu erblicken. (Eine Sammlung zahl- 
reicher Literatur bei M. Goldast, Monarchia 
S. Romani Imperü II/[Frankf. 1613/141.) Spä- 
tere geistige Strömungen und reale Verschiebungen, 
wie die Renaissance, die Reformation und später 
die Aufklärung, haben diese staatskirchliche An- 
schauung wohl neu belebt und verstärkt, aber nicht 
erst geschaffen. 
Nicht bloß am erfolgreichsten, auch, wenn man 
so sagen darf, am klarsten war die Entwicklung 
des spätmittelalterlichen Staatskirchentums in 
Frankreich. So erscheint geschichtlich bedeut- 
sam die Versammlung von Prälaten und könig- 
lichen Abgeordneten in Vincennes (1329) mit 
ihrer merkwürdigen Disputation über die Grenzen 
der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit (vgl. 
Eichmann, Der recursus ab abusu nach deut- 
schem Recht (19031 47 ff). Als Schlußsteine der 
ganzen Entwicklung, die schließlich in den Galli- 
kanismus mit stark nationalkirchlichem Einschlag 
ausmündete, lassen sich folgende feststellen: die 
Pragmatische Sanktion von 1438; das Konkordat 
von 1516; schließlich die Kodifikation des fran- 
zösischen Staatskirchenrechts durch Pierre Pithon 
54 (Libertés de I’Eglise gallicane, abge-
	        
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