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entspricht es nicht der Bedeutsamkeit einer Staats-
aktion, wie die Ministeranklage ist, hierüber die
gewöhnlichen Gerichte der unteren Instanzen ent-
scheiden zu lassen; ist doch auch der Hoch= und
Landesverrat gegen Kaiser und Reich der Zustän-
digkeit der Landesgerichte entzogen und dem Reichs-
gericht überwiesen. Weiter erscheint es nicht an-
gängig, bei Verletzung der Strafgesetze die Erhebung
der Klage von dem Ermessen des Staatsanwalts,
welcher den Weisungen des Justizministers Folge
leisten muß, abhängig sein zu lassen. Abgesehen
von alledem enthalten die Strafgesetze keinerlei
Vorschriften über Verfassungs= und Gesetzesver-
letzungen, welche außerhalb des Rahmens der im
Strafgesetzbuch vorgesehenen Verbrechen und Ver-
gehen begangen werden können und für welche die
Minister doch vorzugsweise müßten zur Verant-
wortung gezogen werden können.
C. Die Arten der Ministerverant-
wortlichkeit. Die Theoretiker teilen die Mi-
nisterverantwortlichkeit ein in moralische, juristische,
staatsrechtliche, politische, parlamentarische, staat-
liche, strafrechtliche, disziplinarrechtliche, gerichtliche
u. a. mehr, je nach dem Einteilungsgrund.
Wir teilen dieselbe ein nach dem Forum, vor
dem die Minister verantwortlich sind. Manche
Publizisten teilen die Verantwortlichkeit ein in eine
juristische und eine politische oder parlamentarische.
So hat man diejenige, die durch Klage vor einem
Gerichtshof geltend gemacht werden kann, als ju-
ristische, gerichtliche, strafrechtliche oder auch staats-
rechtliche, weil sie vor einem Staatsgerichtshof
realisiert werden kann, bezeichnet. Die politische
oder parlamentarische Verantwortlichkeit besteht in
der Pflicht der Minister, jederzeit dem Parlament
Rede zu stehen. — Die moralische Verantwortlich-
keit scheiden wir hier aus.
Die Minister sind verantwortlich 1. dem
Staatsoberhaupt, 2. einem Staatsgerichtshof,
3. den Kammern.
1. Die Verantwortlichkeit vor dem
Staatsoberhaupt. Da dem Staatsober-
haupt verfassungsgemäß keine Jurisdiktionsbefug-
nis über die Minister zusteht, so ist die Verant-
wortlichkeit der Minister dem Staatsoberhaupt
gegenüber nicht staatsrechtlich; er kann die Mi-
nister entlassen, aber nicht selbst zur Rechenschaft
ziehen, da ihm keine Rechtsprechung zusteht. So
besteht also die Ministerverantwortlichkeit im staats-
rechtlichen Sinn:
2. vor dem Staatsgerichtshof; und weil
sie durch formelle Anklage dort realisiert werden
kann, so ist sie eine rechtliche. Näheres hier-
über unten Sp. 1537 ff.
3. Die Verantwortlichkeit der Volks-
vertretung gegenüber ist die politische.
Diese besteht darin, daß die Minister verpflichtet
sind, dem Parlament jederzeit über ihre Tätigkeit
Rechenschaft zu geben. Sie setzt voraus, daß die
Minister im Parlament anwesend sind. Da in
England nur Mitglieder des Parlaments in das-
Staatsministerium.
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selbe kommen dürfen, so kann der König seine Mi-
nister nur aus dem Unterhaus nehmen; ein Mi-
nister als solcher hat nicht das Recht, im Haus der
Gemeinen zu erscheinen.
Die Formen, in denen die politische Ver-
antwortlichkeit der Minister den Kammern gegen-
über geltend gemacht wird, sind in den einzelnen
Staaten verschieden. In den parlamentarisch re-
gierten Staaten, wie England, Frankreich, Belgien,
Italien, Holland, Dänkmark, Schweden, Nor-
wegen, Ungarn, Spanien, Rumänien, Griechen-
land, dient vor allem das Interpellations-
recht der Kammern dazu, die politische Verant-
wortlichkeit geltend zu machen. In einzelnen
Staaten, wie in Frankreich und andern, hat sich
eine zweite Form herausgebildet, in der das Miß-
trauen der Kammermehrheit einem Ministerium
gegenüber zum Ausdruck gelangt, das ist die Ab-
lehnung der von der Regierung angekündigten
Tagesordnung eine solche hat dort meist den Rück-
tritt des Kabinetts zur Folge.
In den vom monarchischen Prinzip beherrschten
deutschen Staaten konnte der Parlamenta-
rismus keinen Boden gewinnen; aber das Inter-
pellationsrecht ist in allen Verfassungen oder Ge-
schäftsordnungen anerkannt und wird allenthalben
sehr oft gehandhabt.
D. Juristische Natur der Minister-
verantwortlichkeit. Auch hierüber sind die
Meinungen sehr geteilt; die einen fassen sie als
disziplinäre, die andern als rein strafrecht-
liche auf. Ein Disziplinarverfahren kann aber
nur von einer vorgesetzten Behörde gegen einen
Beamten ausgeübt werden. Der Minister ist aber
oberster Beamter, und da weder die Kammern
noch der Souverän noch etwa der Staatsgerichts-
hof eine permanente Kontrolle im Sinn einer
vorgesetzten Behörde ausüben, so kann auch die
Ministerverantwortlichkeit nicht disziplinärer Natur
sein. — Andere Publizisten fassen sie als rein
strafrechtlich auf; indes lassen sich für den Mi-
nisterprozeß die Normen des gemeinen Strafrechts
nicht lediglich anwenden, so gibt es hier einen be-
sondern Gerichtshof, einen besondern Ankläger,
ein besonderes Verfahren, das Verbot oder doch
mindestens die Beschränkung des Begnadigungs-
rechts. Es handelt sich bei der Ministerverant-
wortlichkeit eben um eine eigne Gerichtsbarkeit, die
zwar von staatsrechtlichen und disziplinarrecht-
lichen Theorien beeinflußt, aber ihrer Natur nach
keines von beiden ist; sie dient eben als Ga-
rantie der Staatsverfassung und der Gesetze.
E. Die Frage nach der Person, dem Sub-
jekt der Verantwortlichkeit ist nicht leicht
zu beantworten. Der Wortlaut der Verfassungen
ist in dieser Hinsicht meist unklar oder mehrdeutig.
Es erhebt sich also vor allem die Frage: Ist der ein-
zelne Minister nur für seine eigne Mitwirkung
an einem Regierungsakt durch seine Unterschrift
verantwortlich, oder haftet er auch für die Hand-
lungen seiner Kollegen im Ministerium? Be-