Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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In Preußen ist die Befähigung zum 
höheren Verwaltungsdienst, d. h. der Beamten beie 
den Regierungen und Oberpräsidien, ausgenom- 
men Oberpräsident, Regierungspräsident, tech- 
nische Beamte und Justitiarien, ferner der Ober- 
amtmänner in Hohenzollern — für die Landräte 
bleibt es beim bisherigen Recht —, der Mitglieder 
des Oberverwaltungsgerichts und der ernannten 
Mitglieder der Bezirksausschüsse, welche nicht die 
Richterbefähigung besitzen müssen, unter Auf- 
hebung des Gesetzes vom 11. März 1879 durch 
Gesetz vom 10. Aug. 1906 in folgenden Vor- 
schriften neu geordnet worden: Nach mindestens 
dreijährigem Studium der Rechte und der Staats- 
wissenschaften ist die Referendarprüfung nach den 
bisherigen Vorschriften abzulegen. Darauf folgt 
eine einjährige Vorbereitungszeit. Diese Vor- 
bereitung hat zu geschehen bei den Gerichtsbehör- 
den ein Jahr lang, welche Zeit durch die Mini- 
ster des Innern und der Finanzen auf neun 
Monate herabgesetzt werden kann, dann mindestens 
drei Jahre bei einer Regierungsbehörde; der vom 
Regierungspräsidenten angenommene Referendar 
wird zum Regierungsreferendar ernannt. Die An- 
nahme von Referendaren ist auf folgende Regie- 
rungen beschränkt worden: Königsberg, Danzig, 
Potsdam, Frankfurt a. O., Breslau, Oppeln, 
Stettin, Hannover, Schleswig, Düsseldorf, 
Münster, Kassel, Merseburg, Posen. 
Nach dieser Vorbereitungszeit wird der Refe- 
rendar auf Grund eines Zeugnisses des Regie- 
rungspräsidenten über genügende Vorbildung zur 
zweiten Prüfung bei der „Prüfungskommission 
für höhere Verwaltungsbeamte“ zugelassen. Die 
Prüfung ist schriftlich und mündlich, bezieht sich 
auf Privat= und öffentliches Recht, insbesondere 
auf Staats- und Verwaltungsrecht, Staats- und 
Volkswirtschaftslehre, und soll feststellen, ob der 
Kandidat zur Bekleidung einer selbständigen Stel- 
lung im höheren Verwaltungsdienst befähigt ist. 
Ist die Prüfung bestanden, so wird der Referen- 
dar zum Regierungsassessor ernannt und ihm da- 
mit die Befähigung zu den oben bezeichneten 
Stellen des höheren Verwaltungsdienstes zu- 
erkannt. Diese Befähigung bezieht sich auch auf 
die Mitglieder der Provinzialsteuerdirektionen; 
Befähigung zum Richterdienst ist jedoch hierfür 
gleichwertig; in beiden Fällen ist praktische Vor- 
bereitung im Steuerdienst erforderlich. Personen, 
die in Elsaß = Lothringen oder einem deutschen 
Bmmdesstaat die Befähigung zum höheren Ver- 
waltungsdienst erlangt haben, können durch das 
Ministerium als hierzu auch in Preußen befähigt 
erklärt werden. 
In Württembersg ist die Prüfung für den 
höheren Verwaltungsdienst im Departement des 
Innern geregelt durch Verordnung vom 7. Dez. 
1903 mit Vollzugsverordnung vom 27. Juli 1907. 
Mit Ausnahme von Württemberg und Hessen 
sind in den deutschen Staaten auch die Anwärter des 
höheren Finanzdienstes unter den Rechtskandi- 
Staatsprüfungen. 
  
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daten mit inbegriffen. In Preußen schließt die 
große Staatsprüfung den allgemeinen Bildungs- 
gang für den höheren Verwaltungsdienst ab. Wer 
sich dann z. B. der Zoll- und Steuerverwaltung 
widmen will, hat noch einen weiteren Vorberei- 
tungsdienst als Obergrenzkontrolleur und Haupt- 
amtsvorstand zu leisten. 
In Bayern ist die praktische juristische 
Staatsprüfung (Staatsfonkurs) von allen Prak- 
tikanten abzulegen. Für diejenigen, welche sich 
dem Finanzdienst (mit Ausschluß der Zoll- und 
Aufschlagverwaltung; von diesen wird die Finanz- 
dienstprüfung nicht gefordert) widmen wollen, 
folgt eine sechsmonatige Praxis bei einem Rent- 
amt und dann die Finanzdienstprüfung, wobei ein 
praktischer Fall aus dem Gebiet der Finanzverwal- 
tung mit achtstündiger Frist zur Bearbeitung unter 
Klausur aufgegeben wird. 
In Württemberg besteht ein abgeson- 
derter Bildungsgang für „Kameralisten“ (dieser 
und die sog. höhere Staatsprüfung ist geregelt 
durch Verordnung vom 7. Dez. 1903). 
In Baden ist durch Verordnung vom 
3. Aug. 1907 die Vorbereitung für den 
höheren Dienst in der Finanzverwaltung 
und in der Eisenbahnverwaltung abgeändert 
worden. Wer dort die Befähigung für genannten 
Dienst erlangen will, mufß die erste juristische 
Staatsprüfung mit Erfolg abgelegt und drei Jahre 
praktisch im Justiz= und im Finanzdienst ge- 
arbeitet haben und endlich die Staatsprüfung 
für den höheren Finanzdienst bestehen, worauf 
er den Titel „Finanzassessor“ erhält. Wer außer- 
dem die Befähigung zum höheren Eisenbahn- 
verwaltungsdienst erlangen will, muß von 
dem genannten dreijährigen Vorbereitungsdienst 
ein Jahr sich dem praktischen Dienst in der Eisen- 
bahnverwaltung widmen, sofern er nicht die 
Staatsprüfung im Ingenieurbaufach oder im 
Maschineningenieurfach oder die zweite juristische 
Staatsprüfung mit Erfolg abgelegt und seine 
praktische Befähigung für den Eisenbahnverwal- 
tungsdienst nachgewiesen hat. 
In Hessen gibt es zwei höhere Prüfungen, 
nämlich eine Fachprüfung am Schluß des Uni- 
versitätsstudiums vor der bei der Landesuniversität 
bestehenden Prüfungskommission. Darauf folgt 
eine zweijährige praktische Ausbildungszeit, end- 
lich die allgemeine Staatsprüfung für das Finanz- 
fach, welche die schon in der Fachprüfung gefor- 
derten Fächer in mehr praktischer Richtung, ferner 
die Finanzgesetze sowie eine größere praktische Auf- 
gabe zum Gegenstand hat. 
In Österreich gehen die jetzigen Staats- 
prüfungen auf die Studienordnung von 1854 
zurück. Im Vergleich mit den meisten vorher be- 
trachteten Staaten gehört zu den Eigentümlich- 
keiten des österreichischen Rechtsbildungsgangs die 
Einheit der rechts= und staatswissenschaftlichen 
Universitätsbildung, die größere Zahl der Uni- 
versitätsprüfungen (Zwischenprüfungen), oderwenn
	        
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