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man will, die Dreiteilung dessen, was in Deutsch-
land in der ersten Referendarprüfung verlangt
wird, die Häufigkeit der Doktorwürde, die Man-
nigfaltigkeit der zweiten Prüfung je nach den ver-
schiedenen Staatsdienstzweigen. Die theoretischen
Staatsprüfungskommissionen werden nicht von
Jahr zu Jahr errichtet, sie sind dauernd und aus
Fachprofessoren und einer kleinen Zahl von Prak-
tikern zusammengesetzt. Die große Zahl prüfen-
der Rechtslehrer ermöglicht es, daß jeder Exami-
nator nur aus seinem oder einem verwandten Fach
zu prüfen braucht. Die Durchfallsziffer beträgt
anfangs 17% , verringert sich aber auf jeder
weiteren Prüfung, so daß sich durchschnittlich die
Berufsangehörigkeit früher entscheidet und be-
festigt. Die Wahl des Berufszweigs erfolgt be-
reits nach Abschluß der Universitätsstudien und
nach Ablegung der darüber Rechenschaft gebenden
erwähnten drei Prüfungen, worauf die Tätigkeit
als unbesoldeter Staatsbeamter beginnt. Der sich
der Justiz Zuwendende wird Rechtspraktikant, der
sich der Verwaltung Zuwendende wird Konzepts-
praktikant im Verband einer Provinzialverwal-
tungsbehörde. Für jeden Dienstzweig gibt es
dann eine besondere, nach einer gewissen Zeit
praktischer Verwendung in diesem Dienst abzu-
legende Prüfung. Solche Prüfungen sind die
Richteramtsprüfung, die praktische Prüfung für
die politische Geschäftsführung (administrative
Staatsprüfung), Finanzprokuraturprüfung, die
Finanzdienstprüfung, die Konsulatsprüfung, die
Diplomatenprüfung beim Ministerium des Außern.
In diesen sog. Dienstprüfungen wird die Befähi-
gung der Bewerber in vorzugsweise praktischer
Richtung festgestellt, also der Kenntnisvorrat, die
für die Ausübung des betreffenden Dienstzweigs
nötige wissenschaftliche Bildung und die praktische
Berufsbildung. Ein Seitenstück zu den staatlichen
Dienstprüfungen sind die praktischen Prüfungen
für andere öffentliche Berufe. Die Advokatur-
bewerber brauchen außer der Universitätszwischen-
prüfung (ohne welche es kein Aufsteigen in die
späteren Universitätsjahre gibt) eine bestimmte
Gerichtspraxis, außerdem das Doktorat und sieben
Jahre Advokaturpraxis. Das juristische Doktorat
bedeutet infolge seiner Häufigkeit nicht mehr ge-
lehrte, sondern etwas mehr vertiefte theoretische
Bildung. Es bot bis 1898 Ersatz für die Staats-
prüfungen. Vom Ministerportefeuille abgesehen,
ist die oben beschriebene Ausbildung für die höchsten
Amter in der Verwaltung genügend und für die
niedrigsten Verwaltungsstellen, die überhaupt noch
zum Konzeptfach gerechnet werden, notwendig.
Bei Steuer-, Post= und Telegraphenämtern ist
juristische Qualifikation nur für höhere Dienst-
stellungen erforderlich.
In Ungarn haben die Juristen seit 1875 vor
den Fachprüfungen zwei Grund= oder Fundamen-
talprüfungen abzulegen: die rechtswissenschaftliche
nach dem ersten Jahr, die staatswissenschaftliche
nach dem zweiten Jahr. Am Schluß der Studien
Staatsprüfungen.
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folgt je nach der Berufswahl eine rechts= oder
staatswissenschaftliche Staatsprüfung vor einer
Kommission, bestehend aus den Fachprofessoren
und Fachmännern, welche das Unterrichtsmini-
sterium auf Vorschlag der Fakultäten für ein Jahr
zu Prüfungskommissaren ernennt. Der rechts-
und staatswissenschaftlichen Spaltung entsprechend
gibt es auch ein doppeltes Doktorat. Häufig sind
die juristischen Doktorpromotionen wegen ihrer
Eigenschaft als Vorbedingung der Advokatur. In
neuerer Zeit wird wieder eine einheitliche theoretische
Befähigung sowohl für Advokatur als für sämt-
liche Aspiranten des Staatsdienstes in Aussicht
genommen: eine dreifache Schlußprüfung (eine
davon schriftlich) soll zur Praxis und auf Grund
derselben zur Ablegung der praktischen Staats-
prüfung berechtigen.
In der Schweiz ist die Wählbarkeit zum
Richteramt an keine juristische Bildung geknüpft;
nur für die Advokatur, die Grundbuchführung
und das Notariat werden kantonale Staatsprü-
fungen verlangt (in zwölf Kantonen brauchen die
Advokaten keinen Befähigungsnachweis). Doch
werden tatsächlich für die Obergerichte entweder
Männer mit juristischer Bildung oder solche ge-
wählt, die als langjährige Unterrichter Gesetzes-
kenntnis bewiesen haben.
In Frankreich ist die Advokatur die Vor-
aussetzung für jede juristische Laufbahn, auch für
den ÜUbergang in eine juristische Staatsstellung
erforderlich; sie ist die regelmäßige Durchgangs-
stufe zu den magistratures assises (Gerichts-
beamte), ministere public (Staatsanwaltschaft),
Conseillers de préfecture (Verwaltungsbeamte).
Bezüglich der Verwaltungsbeamten ist zu bemerken,
daß die eigentlich politischen Stellen der Präfekten
und Unterpräfekten keiner Qualifikation bedürfen;
diese Beamten sind beliebig entlaßbar und werden
von politischen Krisen am empfindlichsten getroffen.
Durch die hohen Forderungen auf den regelmäßig
als Internate eingerichteten Lyzeen wird die nicht
wohlhabende Bevölkerung von den Studien ab-
gehalten. Auch die Hochschulstudien sind kost-
spielig. Universitäten wie die deutschen gibt es
nicht; was die Franzosen an ähnlichen Einrich-
tungen aufzuweisen haben, sind getrennte hohe
Fachschulen. Die Professoren im höheren Unter-
richt erhält Frankreich aus den verschiedenen
Ecoles normales supérieures, z. B. des lan-
gues orientales, des chartes, des mines, des
ponts et chaussées usw. Erhalten haben sich in
Frankreich die drei alten akademischen Stufen des
baccalaureus, licenciatus und doctor. Seit
1895 ist der doctor iuris geschieden in einen
Doktor der juristischen und der politischen Wissen-
schaften. Das deutsche Abiturientenexamen hat im
französischen baccalauréat sein Gegenstück, nur
fällen nicht die Mittelschulen, sondern die Lehr-
kräfte der Hochschulen die Entscheidung. Die
Reifeprüfung ersetzt ein Fakultätsexamen. Zu den
Studien sind nämlich berechtigt die bacheliers &s