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schule und wird von der öffentlichen Meinung
kontrolliert. Die Ausbildung der Juristen ist
Privatsache, die Leitung des Studiengangs, Stel-
lung der Kommission Sache der Anwaltskammer,
welche Körperschaft die Ausbildung der Rechts-
studenten überwacht. Die Advokatur ist Vorstufe
zum Richteramt; die Ausbildung zum solicitor
und zum barrister beginnt mit einem Examen
vor der Anwaltskammer, wobei Befreiungen exi-
stieren für die bachelor of arts (etwa unsern
Abiturienten entsprechend). Die solicitors sind
eine Art niederer Rechtsanwälte und der Disziplin
und Aufsicht der Gerichte unterworfen. Ihr Beruf
ist einträglicher als derjenige der im übrigen
höhere Stellung genießenden barristers, aus
denen die höheren Richter einschließlich des Lord-
kanzlers hervorgehen. Aus jenen werden Register-
beamte, chief clerks, Verwaltungsbeamte, Graf-
schaftsrichter genommen. Der höhere gelehrte
Beruf der Rechtswissenschaft hat sich durch die
Innung der Advokatur, die in einem genossen-
schaftlichen Verband mit dem Richteramt steht,
von jeder unmittelbaren Einwirkung der Staats-
gewalt frei erhalten. Man merkt zwar den Mangel
eines allgemeinen juristischen Bildungsgangs, es
fehlt die klare Beherrschung des Rechtsgebiets als
Ganzen; allein die autonome Ergänzung gibt dem
englischen Gerichtssystem Unabhängigkeit von der
glänzenden Patronage, von den Parteiregierungen,
vom omnipotenten Parlament.
Was die Verwaltung anbelangt, so wählt der
Staat solche, die sich wirtschaftlich oder praktisch
bewährt haben. Die Staatsverwaltung beschränkt
sich auf gewisse technisch-administrative Dienste,
auf die Zentrale, und hat wenig Mittelbehörden.
Die höheren Kapazitäten des Staatsdienstes ent-
nimmt die englische Verwaltung dem Parlament
und zieht solche von unten auf durch das System
des Selfgovernment heran. Das Anstellungswesen
hat der politische secretary der Treasury (Zivil-
dienstkommission des Schatzamts), nicht ein höher
gestellter Beamter des permanenten Dienstes (den
permanenten Stellen, staff appointments, sind
die politischen Amter, die von dem Ministerwechsel
beeinflußten Verwaltungsstellen, entgegengesetzt).
Die höheren Beamten des permanenten Dienstes,
die Ratgeber der politischen Chefs, sind ältere vor-
herige Advokaten, geschäftstüchtige Mitglieder aus
den Spezialkomitees des Parlaments, höhere Spe-
zialbeamte aus dem permanenten Dienst, höhere
Ingenieure, Offiziere. Offiziere der Marine. Die
dienenden Beamten sind der parliamentary in-
fluence überlassen, die Parteipatronage gilt als
Recht der parlamentarischen Gentry. Die Stellen
der Grafschaften (Friedensrichter, Mitglied des
Armenkollegiums, Sheriff) werden von der Gentry
freiwillig übernommen.
In neuerer Zeit fand das Prüfungswesen auch
in England größere Verbreitung, einmal für die
indischen Beamten (seit 1853), sodann (seit 1855)
für das Bureaupersonal, für den Kanzleidienst,
Staatsprüfungen.
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die junior situations in H. M. civil establish-
ments, damit die unteren Amter nicht mit voll-
ständig Ungebildeten besetzt werden. Weiter gibt
es Prüfungen für Offiziere, für Beamte des diplo-
matischen Dienstes, für Schiffer, Dampsschiff-
maschinisten, für die dienenden Beamten des Zoll-,
Steuer- und Postwesens. Die Universitäten Ox-
ford und Cambridge veranstalten Prüfungen und
Vorlesungen in zahlreichen Städten des Reichs.
Die Prüfung gewährt ein Zeugnis, das, wenn es
gewisse Gebiete umfaßt, von den Universitäten an
Stelle der ersten Universitätsprüfung, ferner an
Stelle der ersten Prüfung für Zulassung zum
medizinischen und juristischen Studium angenom-
men wird.
Eine Eigentümlichkeit sind die Prüfungsuniver=
sitäten (in Irland eine, Ostindien fünf: Bombay,
Kalkutta, Allahabad, Lahore, Madras). An diesen
Universitäten werden keine Vorträge, sondern nur
Prüfungen abgehalten behufs Erlangung der
Grade. In Ostindien gibt es sogar eine ziemlich
umständliche Beamtenhierarchie mit 21 Stufen.
Die Forstbeamten für das englisch-ostindische Reich
werden meist in Coopers Hill ausgebildet.
Auch in den Niederlanden werden aus den
Advokaten die Richter und Staatsanwälte ge-
wählt. Nach 1½—2jährigen Studien verschafft
ein mündliches Fakultätsexamen das Bakkalaureat;
nach weiteren zwei Jahren folgt eine Prüfung für
den Doktorgrad, der zur Advokatur befähigt; für
Anwälte, Prokuratoren sind die Ansprüche ge-
ringer. Die Doktoren der Medizin haben sich für
Ausübung des ärztlichen Berufs, wofür der Doktor
nicht gefordert wird, einer Staatsprüfung zu
unterziehen. Die Rechtsdoktoren werden ohne
weitere Prüfung zur Praxis zugelassen; seit 1895
ist ihnen die Dissertation erlassen.
In Dänemark (vwie auch in Holland) hat
die Doktorpromotion noch die alte Bedeutung der
Habilitation und gibt das Recht, zu dozieren.
Zum Eintritt in einen praktischen Beruf befähigt
das Amtsexamen, das den Titel Kandidat ver-
schafft. Beim juristischen unterscheidet man zwischen
einem lateinisch-juristischen und einem dänisch-
juristischen Amtsexamen. Die meisten höheren
Schulen sind Privatschulen, die Anforderungen
an die Reifeprüfung gering, dies der Grund der
langen Universitätsstudienzeit: ius sieben Jahre,
wovon die ersten für das sog. philosophische Vor-
examen verwendet werden. In den zwei letzten
Klassen der Mittelschulen zerfällt der Unterricht
in einen sprachlich-historischen und in einen mathe-
matisch-naturwissenschaftlichen. Wer sich dem
sprachlich-historischen Abgangsexamen unterzog,
wird zu allen Fakultätsexamen zugelassen. Wer
sich dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Ab-
gangsexamen unterzog, muß erst noch ein Nach-
examen aus Latein und Griechisch bestehen; außer-
dem steht ihm nur die philosophische Fakultät, das
staatswissenschaftliche und das ärztliche Amts-
examen offen. Den ersten Teil des juristischen