Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1559 
schule und wird von der öffentlichen Meinung 
kontrolliert. Die Ausbildung der Juristen ist 
Privatsache, die Leitung des Studiengangs, Stel- 
lung der Kommission Sache der Anwaltskammer, 
welche Körperschaft die Ausbildung der Rechts- 
studenten überwacht. Die Advokatur ist Vorstufe 
zum Richteramt; die Ausbildung zum solicitor 
und zum barrister beginnt mit einem Examen 
vor der Anwaltskammer, wobei Befreiungen exi- 
stieren für die bachelor of arts (etwa unsern 
Abiturienten entsprechend). Die solicitors sind 
eine Art niederer Rechtsanwälte und der Disziplin 
und Aufsicht der Gerichte unterworfen. Ihr Beruf 
ist einträglicher als derjenige der im übrigen 
höhere Stellung genießenden barristers, aus 
denen die höheren Richter einschließlich des Lord- 
kanzlers hervorgehen. Aus jenen werden Register- 
beamte, chief clerks, Verwaltungsbeamte, Graf- 
schaftsrichter genommen. Der höhere gelehrte 
Beruf der Rechtswissenschaft hat sich durch die 
Innung der Advokatur, die in einem genossen- 
schaftlichen Verband mit dem Richteramt steht, 
von jeder unmittelbaren Einwirkung der Staats- 
gewalt frei erhalten. Man merkt zwar den Mangel 
eines allgemeinen juristischen Bildungsgangs, es 
fehlt die klare Beherrschung des Rechtsgebiets als 
Ganzen; allein die autonome Ergänzung gibt dem 
englischen Gerichtssystem Unabhängigkeit von der 
glänzenden Patronage, von den Parteiregierungen, 
vom omnipotenten Parlament. 
Was die Verwaltung anbelangt, so wählt der 
Staat solche, die sich wirtschaftlich oder praktisch 
bewährt haben. Die Staatsverwaltung beschränkt 
sich auf gewisse technisch-administrative Dienste, 
auf die Zentrale, und hat wenig Mittelbehörden. 
Die höheren Kapazitäten des Staatsdienstes ent- 
nimmt die englische Verwaltung dem Parlament 
und zieht solche von unten auf durch das System 
des Selfgovernment heran. Das Anstellungswesen 
hat der politische secretary der Treasury (Zivil- 
dienstkommission des Schatzamts), nicht ein höher 
gestellter Beamter des permanenten Dienstes (den 
permanenten Stellen, staff appointments, sind 
die politischen Amter, die von dem Ministerwechsel 
beeinflußten Verwaltungsstellen, entgegengesetzt). 
Die höheren Beamten des permanenten Dienstes, 
die Ratgeber der politischen Chefs, sind ältere vor- 
herige Advokaten, geschäftstüchtige Mitglieder aus 
den Spezialkomitees des Parlaments, höhere Spe- 
zialbeamte aus dem permanenten Dienst, höhere 
Ingenieure, Offiziere. Offiziere der Marine. Die 
dienenden Beamten sind der parliamentary in- 
fluence überlassen, die Parteipatronage gilt als 
Recht der parlamentarischen Gentry. Die Stellen 
der Grafschaften (Friedensrichter, Mitglied des 
Armenkollegiums, Sheriff) werden von der Gentry 
freiwillig übernommen. 
In neuerer Zeit fand das Prüfungswesen auch 
in England größere Verbreitung, einmal für die 
indischen Beamten (seit 1853), sodann (seit 1855) 
für das Bureaupersonal, für den Kanzleidienst, 
Staatsprüfungen. 
  
1560 
die junior situations in H. M. civil establish- 
ments, damit die unteren Amter nicht mit voll- 
ständig Ungebildeten besetzt werden. Weiter gibt 
es Prüfungen für Offiziere, für Beamte des diplo- 
matischen Dienstes, für Schiffer, Dampsschiff- 
maschinisten, für die dienenden Beamten des Zoll-, 
Steuer- und Postwesens. Die Universitäten Ox- 
ford und Cambridge veranstalten Prüfungen und 
Vorlesungen in zahlreichen Städten des Reichs. 
Die Prüfung gewährt ein Zeugnis, das, wenn es 
gewisse Gebiete umfaßt, von den Universitäten an 
Stelle der ersten Universitätsprüfung, ferner an 
Stelle der ersten Prüfung für Zulassung zum 
medizinischen und juristischen Studium angenom- 
men wird. 
Eine Eigentümlichkeit sind die Prüfungsuniver= 
sitäten (in Irland eine, Ostindien fünf: Bombay, 
Kalkutta, Allahabad, Lahore, Madras). An diesen 
Universitäten werden keine Vorträge, sondern nur 
Prüfungen abgehalten behufs Erlangung der 
Grade. In Ostindien gibt es sogar eine ziemlich 
umständliche Beamtenhierarchie mit 21 Stufen. 
Die Forstbeamten für das englisch-ostindische Reich 
werden meist in Coopers Hill ausgebildet. 
Auch in den Niederlanden werden aus den 
Advokaten die Richter und Staatsanwälte ge- 
wählt. Nach 1½—2jährigen Studien verschafft 
ein mündliches Fakultätsexamen das Bakkalaureat; 
nach weiteren zwei Jahren folgt eine Prüfung für 
den Doktorgrad, der zur Advokatur befähigt; für 
Anwälte, Prokuratoren sind die Ansprüche ge- 
ringer. Die Doktoren der Medizin haben sich für 
Ausübung des ärztlichen Berufs, wofür der Doktor 
nicht gefordert wird, einer Staatsprüfung zu 
unterziehen. Die Rechtsdoktoren werden ohne 
weitere Prüfung zur Praxis zugelassen; seit 1895 
ist ihnen die Dissertation erlassen. 
In Dänemark (vwie auch in Holland) hat 
die Doktorpromotion noch die alte Bedeutung der 
Habilitation und gibt das Recht, zu dozieren. 
Zum Eintritt in einen praktischen Beruf befähigt 
das Amtsexamen, das den Titel Kandidat ver- 
schafft. Beim juristischen unterscheidet man zwischen 
einem lateinisch-juristischen und einem dänisch- 
juristischen Amtsexamen. Die meisten höheren 
Schulen sind Privatschulen, die Anforderungen 
an die Reifeprüfung gering, dies der Grund der 
langen Universitätsstudienzeit: ius sieben Jahre, 
wovon die ersten für das sog. philosophische Vor- 
examen verwendet werden. In den zwei letzten 
Klassen der Mittelschulen zerfällt der Unterricht 
in einen sprachlich-historischen und in einen mathe- 
matisch-naturwissenschaftlichen. Wer sich dem 
sprachlich-historischen Abgangsexamen unterzog, 
wird zu allen Fakultätsexamen zugelassen. Wer 
sich dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Ab- 
gangsexamen unterzog, muß erst noch ein Nach- 
examen aus Latein und Griechisch bestehen; außer- 
dem steht ihm nur die philosophische Fakultät, das 
staatswissenschaftliche und das ärztliche Amts- 
examen offen. Den ersten Teil des juristischen
	        
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