Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Reich die Kirche ist; er ist der Lehrer, die Kirche 
seine Lehranstalt; er ist der Hohepriester, die Kirche 
sein Tempel. Während im ersten Teil, Buch 1, 
die allgemeinen Grundsätze aufgestellt werden und 
zur Darstellung kommen: Christus und sein Reich; 
Petrus, Christi Stellvertreter; die Apostel; die 
Sukzession; Eigenschaften und Kennzeichen des 
Reichs Christi, Verfassung des Reichs Christi 
auf Erden, endlich das Priestertum, d. i. die 
Ordination und die Eigenschaften für Zulassung 
zu dieser und die Wirkungen derselben, werden in 
in Buch 2 die Quellen des Kirchenrechts abgehan- 
delt. Der zweite Teil soll sodann Christi König- 
tum, Lehramt, hohes Priestertum umfassen. Dieser 
zweite Teil beginnt erst mit dem fünften Band; 
der siebte schließt das Königtum noch nicht ab. 
Dieser Teil über das Königtum umfaßt: 1. Ab- 
schn. Die Herrscherordnung: Kap. 1. Der Papst 
und sein Primat (lbersicht, einzelne Rechte, Be- 
setzung des Apostolischen Stuhles, Gehilfen des 
Papstes: Kurie, Metropoliten usw.); Kap. 2. Die 
Episkopalgewalt (Seminarien, Visitation, Diö- 
zesansynode, Benefizialwesen, Exemtionen usw.). 
Trotz der Unvollständigkeit des Werks haben die 
Anschauungen desselben einen unberechenbaren 
Einfluß auf das kirchliche Leben, namentlich in 
Deutschland, ausgeübt. Selbst den an sich trocken- 
sten juristischen Materien weiß Phillips Leben 
und Geist einzuhauchen. Aus jedem Sat spricht 
der überzeugungstreue, theologisch geschulte Katho- 
lik, der gründliche Jurist und der gewiegte Histo- 
riker. Solang es eine kirchliche Rechtswissenschaft 
gibt, wird Phillips „Kirchenrecht“ unter der 
Literatur derselben einen hervorragenden Rang 
einnehmen. Schließlich ist noch zu erwähnen, 
daß Phillips auf Antrieb Josephs v. Görres 
im Jahr 1848 infolge des Kölner Ereignisses, 
der Wegführung des Erzbischofs Klemens August 
v. Droste auf die Festung Minden, mit Guido 
Görres die „Historisch-politischen Blätter“ grün- 
dete, welche die bedeutendste und einflußreichste 
politische Revue des katholischen Deutschlands 
werden sollte. Die Artikel, die aus der Feder 
Phillips rühren, sind meist historischer oder kano- 
nistischer, weniger politischer Natur; dieselben 
sind gesammelt in zwei Bänden als „Vermischte 
Schriften“. Überhaupt war Phillips nicht so sehr 
Politiker und hat als solcher weniger eine öffent- 
liche Rolle gespielt, vielmehr fand er in der rein 
wissenschaftlichen Tätigkeit seinen eigentlichsten 
Lebensberuf. Davon zeugen die neun Abhand- 
lungen, die er noch in seinem Alter in den Sitzungs- 
berichten der Wiener Akademie (Bd LXIV bis 
XXI) über die Iberer, ihre Einwanderung in 
die Pyrenäische Halbinsel und ihre Sprache, über 
baskische Sprache und die Wohnsitze der Kelten 
veröffentlichte. 
Fassen wir noch einmal das Urteil über Phillips 
zusammen, so müssen Freund und Feind aner- 
kennen: Phillips war ein gläubiger Katholik, ein 
biederer Charakter, ein tiefer Gelehrter und ein 
  
Physiokraten. 
  
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fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiet des 
deutschen und kirchlichen Rechts. Prof. v. Schulte 
stellt ihm das Zeugnis aus: „Mag man die prin- 
zipiellen Anschauungen von Phillips teilen oder 
nicht, das muß ihm jeder lassen: es war seine 
Überzeugung, welcher er folgte; er wollte der 
Kirche dienen und hat der Kirche nach seiner An- 
schauung große Dienste geltistet; die Wissenschaft 
war nach der Kirche sein Liebstes, in ihren An- 
nalen ist ihm ein Ehrenplatz gewidmet“ (Allgem. 
deutsche Biographie XXVI 88). 
Literatur. Rosenthal, Konvertitenbilder 12 
478 ff; Siegel im Almanach der Kaiserl. Akademie 
der Wissenschaften (Wien 1873) 192 ff; Hülskamp 
im Lit. Handweiser (1872) 399f; v. Wurzbach, Lex. 
XXII 211ff; v. Schulte, Geschichte der Quellen u. 
Lit. des kanon. Rechts III 375 f; ders., Allgem. 
deutsche Biographie XXVI 80 ff. [Heiner.) 
Physiokraten. I. Begriff. Das in Frank- 
reich entstandene physiokratische System stellt sich 
als Reaktion gegen Polizeistaat und Merkantil- 
politik dar. Der Staat hatte es als seine Aufgabe 
betrachtet, das wirtschaftliche Leben nach allen 
Richtungen zu beeinflussen und großzuziehen und 
besonders die inländische Industrie durch Polizei- 
vorschriften, Reglements und andere künstliche 
Mittel zu heben. So notwendig und segensreich 
anfänglich dieser Schutz sein mochte, mit der Zeit 
mußte er, sobald nämlich der Zweck erreicht und 
das Wirtschaftsleben erstarkt war, ins Gegenteil 
sich verkehren und als beengende Bevormundung 
und als Hemmnis der Entwicklung empfunden 
werden. Anderseits folgte der einseitigen Be- 
günstigung und der Überschätzung von Handel und 
Industrie ein Niedergang und Notstand der miß- 
achteten Landwirtschaft. 
Die Wahrnehmung der schlimmen Lage, worin 
sich der Bauernstand befand, veranlaßte Männer, 
wie Boisguillebert gegen Ende des 17. Jahrh.) 
und Vauban (Projet d’un dime royal, 1707), 
die als Vorläufer des Physiokratismus gelten 
können, ihre Stimme zugunsten des gedrückten 
Bauern zu erheben. Ersterer weist darauf hin, 
daß es gerade der produktivste Stand sei, der in 
elenden Verhältnissen sich befinde. Und Marschall 
Vauban machte, von denselben Erwägungen aus- 
gehend, den Vorschlag, vor allem die Hauptursache 
jener Notlage, die indirekten Steuern aus der 
Welt zu schaffen und an ihrer Stelle eine einzige 
Steuer, einen von den landwirtschaftlichen Pro- 
dukten und von dem Ertrag des Handels und der 
Industrie erhobenen Zehnten einzuführen. 
Bahnbrechend unter den Physiokraten selbst 
waren: 
1. Frangois Quesnay (1694/1774), Leibarzt 
Ludwigs XV. Seine berühmt gewordene Schrift 
Tableau 6conomique (1758) bedeutet den Höhe- 
punkt der physiokratischen Lehrentwicklung. 
2. Turgot, Finanzminister Ludwigs XVI. 
Seine Réflexions sur la formation et la distri- 
bution des richesses erschienen im Jahr 1766.
	        
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