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sich während des 15. Jahrh. der Gebrauch, die
Vorlage der päpstlichen Erlasse vor ihrer Ver-
öffentlichung zu fordern, bei den Landesfürsten
mehr eingebürgert. In der Folgezeit erhielt sich
und erstarkte dieser Mißbrauch vorzüglich in den
der spanischen Krone unterworfenen Ländern (den
Niederlanden, Unter= und Oberitalien) sowie in
Frankreich. In Spanien hielt namentlich auch
der sonst sehr religiös gesinnte und die katholische
Religion fördernde König Philipp II. an dem
Plazetrecht hartnäckig fest. In Frankreich be-
anspruchten die Könige dasselbe als einen Teil der
Vorrechte der Kirche dieses Landes, die man die
gallikanischen Freiheiten nannte. Die Reihe der
päpstlichen Aktenstücke, welche gegen das in diesen
Ländern ausgeübte Plazet bald milder bald
schärfer, bald gelegentlich und im Vorübergehen
bald förmlich und feierlich protestieren und es als
Mißbrauch, als unberechtigte Beeinträchtigung
der Freiheit der Kirche verurteilen, ist beinahe
Unabsehbar (vgl. Tarquini, Dissertatio de regio
Placet, praefatio). Und doch muß zugegeben
werden, daß es in der Hand der spanischen und
französischen Herrscher weniger verderblich für die
Kirche war, als es in der Hand der Lenker des
modernen Staats notwendig sein muß. Die der ka-
tholischen Kirche angehörigen Könige von Spanien
und Frankreich unterwarfen sich in Glaubens= und
Sittenlehren gern dem Römischen Stuhl und
nahmen auch in ihren weltlichen Maßnahmen auf
die katholische Religion Rücksicht; die Neutralität
des Staats bezüglich der Religion war ihnen
unbekannt, sie anerkannten vielmehr prinzipiell
und mehr oder weniger auch praktisch die Pflicht
des Staats, dem geistlichen Wohl ihrer Unter-
tanen wenigstens nicht hindernd in den Weg zu
treten, vielmehr eher das Wirken der Kirche, die
Verbreitung der Religion und der Sittlichkeit zu
fördern, wohingegen der moderne Staat sich aller
Religion gegenüber neutral verhält und in seinen
Maßnahmen nicht auf die religiöse Überzeugung
und auf das geistliche Wohl seiner Untertanen
Rücksicht nehmen zu müssen vermeint. Außerdem
wurde in Frankreich vor allem und dann auch in
Spanien das Plazetrecht vorzüglich mit Berufung
auf den alten Gebrauch, auf ein altes Privileg
geübt, weniger oder gar nicht als ein der Staats-
gewalt als solcher inhärierendes und aus sich zu-
kommendes Recht, während der moderne Staat
dasselbe als eine ihm aus sich zustehende Befugnis
in Anspruch nimmt.
Mit den spanischen Herrschern kam das Plazet
auch nach Italien und den Niederlanden, wo es
bis in die neuere Zeit streng gehandhabt wurde.
Weniger war es in früheren Jahrhunderten in
den unter katholischen Fürsten stehenden deutschen
Ländern im Gebrauch. In den österreichischen
Erbländern finden sich allerdings auch früher
schon Spuren desselben; doch erhielt es erst unter
Maria Theresia und vorzüglich durch Kaiser
Joseph II. eine solche Ausdehnung, daß es der
Placetum regium.
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Kirche zum größten Schaden gereichte. In Bayern
lassen sich nach der Zeit Ludwigs des Bayern bis
in den Beginn des 19. Jahrh. keine Spuren
desselben entdecken. Dafür wurde es aber in den
Entwurf der Verfassung vom Jahr 1809 auf-
genommen und dann wirklich trotz der gegen-
teiligen Bestimmung des Art. 22 des Kon-
kordats vom Jahr 1817 in der gleichzeitig mit
dem Konkordat publizierten Verfassungsurkunde
sowie in der zweiten Beilage derselben festgehalten.
Erst die allgemeine Freiheitsbewegung, welche
gegen die Mitte des 19. Jahrh. durch Europa
ging, brachte die Staaten dazu, auch den kirch-
lichen Autoritäten größere Freiheit in der Be-
wegung zuzugestehen. Mit Preßfreiheit, Gewissens-
freiheit, Religionsfreiheit, Vereinsfreiheit usw. ließ
sich eine peinliche Beaufsichtigung der katholischen
Kirche und die staatliche Begutachtung kirchlicher
Erlasse und Verordnungen nicht mehr gut ver-
einbaren. Weiterhin ist gegenwärtig auch noch
die überaus große Leichtigkeit im Verkehr zu er-
wähnen, welche es den Staaten unmöglich macht,
sich dem öffentlichen Bekanntwerden der kirchlichen
Erlasse wirksam zu widersetzen. Zudem sind weder
der Papst noch auch die Bischöfe an einen be-
stimmten Veröffentlichungsmodus ihrer Erlasse
kirchenrechtlich gebunden. Für die päpstlichen Ver-
ordnungen genügt die offizielle Bekanntmachung
derselben in Rom, mögen sie die ganze Kirche oder
nur einen Teil derselben angehen. Und auch den
Bischöfen erleichtern die vielen Verkehrsmittel die
offizielle Bekanntmachung ihrer Verordnungen so
sehr, daß dem Staat kaum etwas anderes zur
Durchführung seines vermeintlichen Plazetrechts
übrig bleibt als Strafen nach vollzogener Über-
tretung desselben.
3. Kritik. Das Plazetrecht kann nicht begründet
werden mit der dem Staat zustehenden Befugnis,
sich vor etwaiger Verletzung seiner Rechte, der
Rechte anderer Konfessionen oder einzelner Unter-
tanen zu schützen. Gewiß muß der Staat die
Rechte seiner Untertanen, er darf und muß,
wenigstens im allgemeinen, seine eignen Rechte
schützen; aber das berechtigt ihn nicht, vorherige
Einsicht zu nehmen in die Akte der kirchlichen
Verwaltungsorgane, ebensowenig als er berechtigt
ist, in alles Einsicht zu nehmen und für alles seine
vorherige Approbation zu erteilen, was seine
Untertanen in ihrem täglichen Verkehr tun und
treiben, da ja auch sie die Rechte des Staats oder
dritter Personen verletzen können. Der Rechts-
schutz, den der Staat seinen Untertanen hat an-
gedeihen zu lassen, berechtigt nicht zur peinlichsten
Beaufsichtigung des persönlichen und schriftlichen
Verkehrs, sondern zur Bestrafung der Schuldigen,
zur Eruierung derjenigen, welche sich einer Rechts-
verletzung schuldig gemacht haben, zur Festsetzung
von Strafen für die verschiedenen Rechtsver-
letzungen. Auch gegenüber andern Mächten be-
rechtigt die Möglichkeit einer von ihnen aus-
gehenden Rechtsverletzung nicht im mindesten zur