Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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durchaus ernsthaft gemeintes Altionsprogramm. 
Trotz einzelner pessimistischer Außerungen hofft 
Plato, daß sein Idealstaat, wenn die Verhältnisse 
günstig seien, nach Austreibung der Schlechten 
unter einem neu heranwachsenden Geschlecht (vgl. 
Fichte) wirklich eingeführt, und wenn er einmal 
eingeführt sei, auch auf lange Zeit sich werde halten 
können. Findet derselbe doch auch in manchen, 
selbst in seltsam klingenden Bestimmungen histo- 
rische Analogien, vorzugsweise im spartanischen 
Staatswesen und in den Einrichtungen des pytha- 
goreischen Bundes, wobei freilich bestehen bleibt, 
daß der eigentliche Geist, der diesen Staatsorga- 
nismus belebt, nicht äußerer Anregung entstammt, 
sondern den eigensten Grundgedanken der Plato- 
nischen Philosophie. 
Bei dem Entwurf der für den Idealstaat er- 
forderlichen Verfassung sind besonders zwei 
Gesichtspunkte maßgebend. Der erste ist die 
echt sokratische, dem herrschenden demokratischen 
Gleichheitsprinzip und seiner Hochschätzung des 
bloßen Mehrheitswillens scharf entgegengesetzte 
Überzeugung Platos, daß nur das Wissen, und 
zwar nicht, worauf die Sophisten abzielten, das 
bloß praktische Können des Diplomaten, Redners, 
Strategen und Verwaltungsbeamten, sondern 
allein das aus der Betrachtung der Idealwelt ge- 
schöpfte philosophische Wissen zum Herrscher be- 
fähige; der andere die Gleichsetzung der sozialen 
Gliederung der Gesellschaft mit der politischen des 
Staats, wie umgekehrt die rücksichtslose Durch- 
führung der sozialen Einrichtungen nach den Er- 
fordernissen der politischen Notwendigkeit. Da ein 
in toten Gesetzen fixiertes System vernunftgemäßer 
Regeln nach Platos auch im „Politikos" fest- 
gehaltener Ansicht weit hinter dem persönlichen 
Vernunftregiment eines im Vollbesitz des Wissens 
stehenden Staatsoberhaupts zurückbleibt, so kann 
in seinem Idealstaat die Herrschaft der Philosophie 
nur als unbedingte Herrschaft der Philosophen 
auftreten. Bevor die Philosophen Herrscher oder 
die Herrscher Philosophen würden, erwartet Plato 
deshalb kein Aufhören der Übel für die Staaten 
(473 D). — Die Gliederung der Stände ergibt 
sich ihm aus der Notwendigkeit, durch eine Teilung 
der Berufe jedem einzelnen die Möglichkeit einer 
vollen Ausbildung in seinem Geschäft zu ge- 
währen. So werden, entsprechend der Platonischen 
Dreiteilung der Seele, die verschiedenen Berufs- 
zweige der Handwerker, Gewerbe= und Ackerbau- 
treibenden, die Krieger und die Philosophen ge- 
sondert. Den Grund, auf den hin der einzelne 
zu Anfang diesem oder jenem Stand zugeteilt 
wird, sieht Plato darin, daß die Bürger desselben 
Staats, obwohl alle untereinander Brüder, doch 
von der Natur eine verschiedene ursprüngliche Ver- 
anlagung erhalten haben (414 C. In den ein- 
mal gebildeten, kastenartig voneinander abgeson- 
derten Ständen wird sich diese Veranlagung im 
allgemeinen von Generation zu Generation fort- 
erben. — Dieses Prinzip der Arbeitsteilung 
Plato. 
  
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(oizetonpa###a, 434 D) aber bleibt bei Plato nicht 
auf das wirtschaftliche Gebiet beschränkt. Die an 
sich rein soziale Gliederung der drei Stände wird 
zugleich eine solche der politischen Aufgaben und 
der politischen Rechte. Auch die militärische Tüch- 
tigkeitund die Verwaltungskunstnämlichkönnen nur 
durch berufsmäßige Ausbildung und berufsmäßige 
Abschließung gesichert werden. Darum will Plato 
statt der allgemeinen Wehrpflicht aller Bürger 
einen besondern Kriegerstand, statt des demokrati- 
schen Wahlbeamtentums eine berufsmäßige Be- 
amtenschaft eingeführt sehen. Die Regierung ist 
allein bei diesen beiden Ständen, welche für ihre 
dem ganzen Staat gewidmete Tätigkeit durch ihre 
Vorbildung und durch die Loslösung von aller pri- 
vaten wirtschaftlichen Tätigkeit befähigt sind, und 
zwar ist sie als egekutive Gewalt bei den Wächtern, 
d. h. den Kriegern, als eigentliche Regierungsgewalt 
bei den aus dem Stand der Wächter nach beson- 
derer philosophischer Ausbildung hervorgegangenen 
Herrschern. Unter den letzteren bleiben die minder 
tüchtigen in praktischen Staatsämtern; die vor- 
züglichsten rücken nach voraufgehendem Studium 
der Dialektik in Befehlshaberstellen ein, bis sie 
mit dem 50. Jahr fähig zur Betrachtung der Idee 
des Guten sind und zugleich, wenn die Reihe sie 
trifft, aus ihrer philosophischen Beschaulichkeit, 
freilich nur notgedrungen, an die Verwaltung der 
höchsten Staatsämter herantreten. Der Nähr- 
stand dagegen, obwohl auch er zur Erhaltung des 
Staats einen erheblichen Teil beiträgt, die Kosten 
des Unterhalts der beiden andern Stände sogar 
ausschließlich zu tragen hat, ist eben wegen seiner 
Beschäftigung nicht nur von allen Amtern im 
Staat ausgenommen, sondern erscheint in politi- 
scher Beziehung überhaupt ohne jeden Einfluß auf 
die Regierung; er bildet die Masse der politischer 
Rechte entbehrenden Untertanen. Seine Ange- 
hörigen sind zwar Bürger (416 B, 463 A), aber 
nur Passivbürger. 
So nachdrücklich bei Plato der Gedanke hervor- 
tritt, daß nicht durch wechselnde bloße Mandatare 
der jedesmaligen, meist selbstsüchtigen Mehrheit, 
sondern nur durch eine besonders vorgebildete Be- 
amtenschaft die Regierung im Staat dauernd auf 
das allgemeine Beste gerichtet werden kann, so 
nebelhaft ist die Durchführung dieses Gedankens. 
Worin die Regierungstätigkeit der Herrscher im 
einzelnen besteht, wie die politische Organisation 
des näheren zu denken ist: auf diese und ähnliche 
Fragen sucht der Politiker eine klare Antwort bei 
Plato vergebens. Alles Detail, für das dem 
Philosophen das Interesse fehlt, verschwimmt bei 
ihm in nebelhafter Unbestimmtheit. Nur nach der 
rein ethischen Seite hin weiß er die Aufgaben der 
einzelnen Stände näher zu bestimmen. Dieselben 
ergeben sich ihm in der gleichen Weise wie der 
Staatszweck überhaupt aus der ihm geläufigen 
Gleichsetzung des Einzelmenschen und des Staats. 
Wie auf Grund dieser Parallelisierung dort als 
Aufgabe des Staats überhaupt die Erziehung der 
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