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den beiden andern Faktoren ist heute der über-
wiegende? Schmoller führt die Klassenbildung im
wesentlichen auf die Berufs= und Arbeitsteilung
zurück, betrachtet Vermögen und Einkommen als
Folgen der gesellschaftlichen Arbeits= und Berufs-
teilung, nicht als deren Ursache, und betont sehr
stark das Moment der Vererbung eines bestimmten
Klassenhabitus, bestimmter professioneller Eigen-
tümlichkeiten innerhalb der Klasse. Bücher hat
gegen letztere Aufstellung Widerspruch erhoben,
wohl mit Recht; desgleichen wird ihm beizustimmen
sein, wenn er Vermögen und Einkommen eher als
Ursache der gesellschaftlichen Arbeits= und Berufs-
teilung anzusehen geneigt ist. Allerdings sind noch
weitere Faktoren bei der ganzen komplizierten Ent-
wicklung in Betracht zu ziehen. „Keine Entstehung
einer neuen sozialen Klasse“, so urteilt Schmoller
(a#. a. O. 436), „ist durch Besitz oder Nichtbesitz allein
zu erklären; das Wichtige und Primäre sind tech-
nische, geistige, moralische Kräfte; die oberen Klassen
steigen durch Fortschritte, deren Träger sie sind,
durch höhere als die bisherigen Kräfte empor; sie
erwerben dadurch meist sofort oder bald größeres
Einkommen; das gibt häufig auch ein größeres
Vermögen; das verstärkt ihre Ubermacht und för-
dert auch so lange ihre höheren Kräfte und deren
Erhaltung, als die Klasse selbst im Aufsteigen be-
griffen ist, dem Ganzen mehr dient als schadet.“
Zweifellos wirken verschiedene und verschieden-
artige Faktoren bei dem Prozeß zusammen; wenn
aber Schmoller betont: „Überall ist der Besitz das
Außerliche, das aus innern psychologischen Kräften
entspringt“, so ist das doch eine optimistische Auf-
fassung; denn es läßt sich die Tatsache nicht be-
streiten, daß, wenigstens in der Gegenwart, in
unserem modernen Staat für die Klassenschichtung
und Klassenwertung der materielle Gesichtspunkt
hauptsächlich maßgebend ist; „heute stellt das so-
ziale Bewußtsein die Besitzschichtung in den Vorder-
grund“ (Pesch). Leider ist der Besitz nicht überall
„daß Außerliche“; wäre dem so, dann müßte das
Aussteigen tüchtiger Kräfte aus den unteren Klassen
sich in unserer Gesellschaft leichter erreichen lassen;
nun wird aber tatsächlich der einzelne, wenn auch
nicht wie ehedem in einen bestimmten Beruf, so
doch in eine soziale Berufsklasse hineingeboren und
dadurch die „soziale Auslese“, die Auslese der
wirtschaftlich Tüchtigen in erheblichem Maß ge-
hindert (Bücher, Fuchs).
3. Notwendigkeit und Aufgabe der
Klassen. Ohne soziale Gliederung, ohne soziale
Sonderbildungen kann kein Staat bestehen und
hat nie ein Staat bestanden. Zu solchen Bildungen
führt ganz naturgemäß die unter den Menschen
nun einmal bestehende Verschiedenheit und ander-
seits der Trieb des menschlichen Herzens, sich mit
Gleichgestellten und Gleichgesinnten zusammen-
zutun. Die absolute Gleichheit ist ein Unding, die
Hoffnung und das Streben, sie ins Leben zu rufen,
eine Utopie; Gleichheit in diesem Sinn bedeutet
den Tod der Individualität, bedeutet unwürdige
Stände.
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Knechtschaft. Diese sozialen Sonderbildungen,
notwendig für den Staat und die Erfüllung seiner
Aufgaben, ändern zwar, einmal vorhanden, ihre
Form, verschwinden aber — aus den angedeuteten
Gründen — nicht mehr aus dem Gemeinwesen.
Jene Gründe werden noch durch gewisse Tendenzen
verstärkt, die dahin zielen und wirken, die sozialen
Sonderbildungen zu erhalten. Overbergh zählt
eine Reihe derartiger „Gesetze“ auf; es sind Ten-
denzen, die sich aus der Natur dieser sozialen Bil-
dungen ergeben. Wir nennen die Tendenz der
Einheit, der Kontinuität, die Tendenz der An-
passung und der Differenzierung (Schaffung ge-
eigneter Organe für die Ausübung der Funktionen),
die Tendenz der Solidarität u. a. (vgl. Pesch
a. a. O. 767 ff). Die Aufgabe dieser sozialen Bil-
dungen ist eine überaus bedeutungsvolle. Die
alten „Stände“, die Korporationen der Priester,
der Krieger, der Kaufleute und Handwerker, der
Bauern und gewisser höher stehender Arbeiter,
diese korporativ organisierten Verbände mit ihrer
Erblichkeit der Berufe haben die ihnen zufallende
Aufgabe lange glänzend erfüllt. Was aber anfäng-
lich heilsam und berechtigt war, die weitgehende
Privilegierung und Abgeschlossenheit, schlug schließ-
lich um in Unrecht und Nachteil für die Gesamt-
heit. Im 16. Jahrh. beginnt der Kampf gegen die
verknöcherte Ständeordnung mit ihrer Exklusivi-
tät und einseitigen Privilegienwirtschaft. Sind
nun die „Stände“ auch nicht völlig beseitigt und
nicht völlig zu beseitigen, so sind doch die sozialen
Klassen, d. h. „offene" Klassen ohne gesetzliches
Privileg, aber — wie bereits betont wurde — mit
dem Anspruch auf die ihrer sozialen und ökono-
mischen Funktion entsprechenden Achtung, in den
Vordergrund getreten. Was nun eben diese soziale
Funktion betrifft, so unterscheiden wir nach Over-
bergh folgendermaßen: Die ökonomische Funktion
der höheren Klassen im modernen Staat ist Be-
schaffung und Leitung der Vorräte an Produk-
tionsmitteln; die der unteren Klassen besteht darin,
ihre Arbeitskraft der nationalen Produktion dar-
zubieten; die der mittleren Klassen darin, einerseits
das notwendige, jedenfalls nützliche Mittelglied
zwischen den äußersten Klassen zu bilden, und
anderseits die produktive Arbeit intensiver zu ge-
stalten. Dies die ökonomischen Funktionen. Die
soziale Funktion der höheren Klassen besteht in
der Leitung des sozialen Lebens; diese Leitung hat
der sozialen Entwicklung auf allen Punkten zu
dienen; wie alles Herrschen und Leiten, ist auch
jene soziale Führung mehr Pflicht als Herrschaft,
mehr ein Fürsorgen als ein Gebieten (vgl. Pesch
a. a. O. 764 f; Augustinus, De civ. Dei 14, 28
und 18, 14s).
4. Verhältnis der Klassen. Nach sozia-
listischer Anschauungsweise ist zwischen den Klassen
ein notwendiger und natürlicher Gegensatz vor-
handen; der Klassenkampf ist etwas Selbstverständ-
liches, er ist der treibende Faktor in der Entwick-
lung der Gesellschaft. Daß der Klassenkampf und