Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Die Vermögenssteuer ist die älteste unter den 
direkten Steuern. In Griechenland war sie bekannt, 
desgleichen im alten Rom (s. Bd I, Sp. 826). Dann 
wurde sie seit den letzten Jahrhunderten des Mittel- 
alters wieder bedeutsam. Anfangs ist auch die 
Vermögenssteuer nur eine außerordentliche Steuer, 
die da erhoben wird in Zeiten besonderer Not. 
Dann kehrt sie häufiger wieder, um schließlich zu 
einer regelmäßigen Abgabe zu werden. Nicht vom 
mittelalterlichen Kaiserreich wird diese Steuer auf- 
genommen und ausgebildet, sondern von den 
Städten und den Territorialstaaten. Es ist daher 
auch begreiflich, daß man nicht von einer einheit- 
lichen Entwicklung der mittelalterlichen Vermögens- 
steuern sprechen kann. Die Entwicklung ist zeitlich 
und örtlich sehr verschieden gewesen. Auch die Be- 
nennung ist nicht einheitlich. Die Vermögenssteuer 
ist im Mittelalter bekannt unter dem Namen Schoß, 
Losung, Schatzung, Bede usw. Die Sätze waren 
oft sehr hoch, die Steuer darum manchmal 
drückend. Die Veranlagung erfolgte nach den eid- 
lichen Steuererklärungen der Bürger (Eidsteuern). 
In den Städten, wo das bewegliche Vermögen 
seinen Sitz hatte, entwickelt sich die Vermögens- 
besteuerung am ersten und am besten. Mit aus- 
gehendem Mittelalter führen auch die Territorial= 
staaten Vermögenssteuern ein. Immer weiter 
greifen dieselben dann um sich. Noch in den ersten 
Jahrhunderten der Neuzeit haben die Vermögens- 
steuern einen selbständigen Charakter. Sie sind 
ordentliche Hauptsteuern. Ihre Entwicklung aber 
führt zur Herausbildung verschiedener Ertrags- 
steuern. Und als diese Ertragssteuern aufkommen 
(17., besonders 18. Jahrh.), da verschwindet die 
Vermögenssteuer als ordentliche Abgabe. Nur als 
außerordentliche Auflage in Notzeiten er- 
scheint sie hin und wieder (Kriegssteuer). So in 
Osterreich (spanischer Erbfolgekrieg, napoleonische 
Kriege) und in Preußen, wo sie 1812 in Ver- 
bindung mit einer Einkommensteuer als außer- 
ordentliche Steuer erhoben wurde in der Höhe 
von 3%. 
3. Mit der Ablösung des Ertragssteuersystems 
durch die heutige Einkommensteuer ist auch die 
Vermögenssteuer wiederkhervorgetreten. Ihr Haupt- 
charakter ist aber heute der einer Ergänzungs. 
steuer. Durch die moderne Vermögenssteuer soll 
das fundierte Einkommen entsprechend seiner höhe- 
ren Leistungsfähigkeit steuerlich stärker belastet 
werden. 
Die Ergänzungssteuer ist nur eine nominelle 
Vermögenssteuer. Tatsächlich soll bei der Ergän- 
zungssteuer überhaupt kein Entzug von Kapital- 
teilen erfolgen; man will vielmehr die aus dem 
Vermögensbesitz fließende Rente treffen, ein Ziel, 
das man allerdings in der Weise zu erreichen sucht, 
daß man formell das Vermögen als Objekt nimmt 
und einen bestimmten Satz davon erhebt. Die 
reelle Vermögenssteuer charakterisiert sich da- 
durch, daß der Staat einen Teil des Vermögens- 
besitzes für sich beansprucht. Bei der reellen Ver- 
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 
Steuern. 
  
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mögenssteuer tritt also eine Schmälerung des 
Vermögensstammes ein. Daraus erhellt, daß eine 
solche (reelle) Vermögensbesteuerung nur in außer- 
ordentlichen Fällen sich rechtfertigt (Kriegssteuer). 
Als dauernde Einrichtung ist die reelle Vermögens- 
steuer unvereinbar mit den Grundsätzen einer ge- 
sunden Finanzpolitik. 
Am schärfsten ausgeprägt ist die Vermögens- 
steuer in der Schweiz und in den Vereinigten 
Staaten. In den meisten schweizerischen Kantonen 
nimmt sie eine Hauptstelle im Steuersystem ein. 
Die Einkommensteuer tritt dort in einzelnen Fällen 
als Ergänzungssteuer auf. Ahnlich verhält es sich 
mit der Vermögenssteuer in den Einzelstaaten der 
nordamerikanischen Union. Auch hier ist sie in 
einer Reihe von Einzelstaaten die wichtigste direkte 
Steuer, zuweilen verbunden mit einer Kopf= oder 
Einkommensteuer. Infolgedessen sind naturgemäß 
die Steuersätze verhältnismäßig hoch. Umfang- 
reiche Steuerhinterziehungen sind häufig. Zudem 
wird der Umfang der Steuerpflicht durch Ein- 
schätzung ermittelt. Die nordamerikanischen Ver- 
Mögenssteuern sind rohe Steuern, wirken ungleich- 
mäßig und unsozial. Vielfach wird dort deshalb 
in der jüngsten Zeit die Einführung einer Ein- 
kommensteuer verlangt. . 
Über die bestehenden Vermögenssteuern 
in deutschen Einzelstaaten s. Art. Einkommensteuer 
(Bd 1, Sp. 1495 ff. 
Man kann das Vermögen aber auch noch auf 
andere Weise besteuern, nämlich in der Art, daß 
man es erfaßt bei bestimmten rechtlichen und wirt- 
schaftstechnischen Verkehrsakten. Man spricht dann 
von Vermögensverkehrssteuern. 
Von einzelnen Theoretikern werden auch die 
Erbschafts, und Wertzuwachssteuern unter 
diese Kategorie gebracht. Die formelle Seite 
dieser Steuern scheint eine derartige Klassifizierung 
zu rechtfertigen. Dem innern Wesen der Erb- 
schafts= und Zuwachssteuern aber entspricht es 
weit besser, wenn man ihnen einen Platz unter 
den Ergänzungssteuern zuweist. Das macht ihr 
eigentliches Wesen aus. Hat man doch die Erb- 
schaftssteuer als „intermittierende Vermögens- 
steuer“ bezeichnet. Und bei der Besteuerung des 
Wertzuwachses ist es nicht anders. In beiden 
Fällen handelt es sich um direkte Steuern, durch 
welche bestimmte Erscheinungsformen wirtschaft- 
licher, plötzlich auftretender Leistungsfähigkeit der 
Besteuerung zugeführt werden sollen. Beide Male 
besteht die Absicht, die Wirkung der bestehenden 
Steuern zu erweitern und zu ergänzen. Dem 
innern Wesen beider Steuern entspricht die Zu- 
teilung zur Gruppe der Ergänzungssteuern. 
Die Erbschafts= und Nachlaßsteuer (s. Art. Nach- 
laßsteuer Bd III, Sp. 1269 ff). 
Die Wertzuwachssteuer (s. Art. Wertzuwachs- 
steuer). 
Auch ein paar andere Formen der Besteuerung 
können hier Erwähnung finden: das Steuer= oder 
Gebührenäquivalent und die Wehrsteuer. 
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