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gesehen von den traurigen Rückwirkungen des
Alkoholismus auf das Familienleben. Darum
fordern die Theoretiker eine starke Belastung des
Trinkbranntweins. In einzelnen Ländern ist die
Besteuerung des Branntweins auch tatsächlich sehr
hoch. So stellte sich nach der Denkschrift zur
Reichsfinanzreform 1908/09 die Belastung wäh-
rend der unmittelbar vorausgehenden Jahre (1907
resp. 1906) in nachfolgenden Ländern folgender-
maßen.
Großbritannien und Irland 8,30 M, Niederlande
8,22, Rußland 7,80, Frankreich 6,56, Belgien
6,53, Vereinigte Staaten von Amerika 6,47, Schwe-
den 4,21, Ungarn 3,68, Osterreich 2,81, Norwegen
2,51, Deutsches Reich 2,38, Schweiz 2,32 M pro
Kopf der Bevölkerung
Durch die Reform von 1909 wird die Belastung
in Deutschland etwas steigen, aber auch dann noch
weit hinter einer Reihe anderer Staaten zurück-
stehen.
Möglichkeiten, den Branntwein zugunsten der
Staatskasse zu belasten, gibt es zwei: das Mo-
nopol und die Steuer. Die letztere kann ver-
schiedene Formen annehmen. Der Blasenzins
ist eine Besteuerung nach der Größe des Destil-
lationskessels; diese Steuerform bestand 1810/20
in Preußen. Eine andere Art ist die Material-
steuer, eine Besteuerung der Rohstoffe; wegen der
Verschiedenartigkeit der Ausbeute und der Be-
schaffenheit des Materials wirkt sie ungleich und
kann zu stärkerer Belastung der kleinen Betriebe
führen. Bei der Maischraumsteuer erfolgt die
Steuerbemessung nach der Größe der Gärungs-
gefäße. Am besten ist die Besteuerung der fertigen
Ware, die Fabrikatsteuer oder Verbrauchsabgabe,
wie sie in Deutschland genannt wird. Sie er-
fordert eine genaue Kontrolle, die aber durch
mechanisch arbeitende Apparate erleichtert wird.
Schließlich ist noch die Lizenz zu erwähnen, die
teils von den Brennern teils von den Schankwirten
bezahlt wird und als Ergänzung zur eigentlichen
Branntweinsteuer anzusehen ist.
Die Branntweinsteuer des Deutschen Reichs
war bis 1887 keine einheitliche. Die süddeutschen
Staaten hatten hier, wie bei der Biersteuer, ein
Reservatrecht. Soweit die Branntweinsteuer da-
mals dem Reich unterstand, war sie Material-
steuer. Im Jahr 1886 wollte die Regierung ein
Branntweinmonopol, als dieses gescheitert war,
eine Reform der Steuer durchführen. Auch das
gelang nicht. Erst 1887 wurde eine Abänderung
und Erweiterung der Steuer vorgenommen. Die
Branntweinsteuer wurde einheitlich für das ganze
Reich gestaltet, die Materialsteuer auf die Obst-
brennereien, die Maischbottichsteuer auf die land-
wirtschaftlichen Brennereien beschränkt. Eine Ver-
brauchsabgabe vom fertigen Alkohol, die nun das
wichtigste Glied der Steuern bildete, trat hinzu.
Der normale Satz der Verbrauchsabgabe war
70 M pro Hektoliter. Um jedoch den Brennerei-
betrieben eine Erleichterung zu gewähren, wurde
Steuern.
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für eine bestimmte Produktionsmenge (Kontin-
gent) nur 50 M Verbrauchsabgabe erhoben (Liebes-
gabe). Diese Maßnahme erfolgte vor allem mit
Rücksicht auf die Landwirtschaft. Im Jahr 1895
trat noch eine nach dem Produktionsumfang stark
gestaffelte Brennsteuer hinzu, die aber keine fis-
kalische Bedeutung hatte, sondern für Denatu-
rierung des gewerblichen Spiritus und zur Ge-
währung von Ausfuhrprämien benutzt wurde.
Bei der Finanzreform von 1909 wollte die
Regierung ein Monopol, statt dessen wurde unter
Preisgabe der alten, komplizierten Besteuerung
eine erhöhte Verbrauchsabgabe eingeführt.
Die jetzige Branntweinsteuer ist eine Fabri-
katsteuer, d. h. sie wird erhoben vom fertigen
reinen Alkohol. Die verschiedenfachen andern
Besteuerungsmethoden, welche bisher neben der
Verbrauchsabgabe bestanden haben, die Meisch-
bottichsteuer, die Materialsteuer, der Zuschlag zur
Verbrauchsabgabe sind fortgefallen. Die Brannt-
weinsteuer ist nunmehr eine reine Verbrauchs-
abgabe.
Die Verbrauchsabgabe beträgt 1,05 M für das
Liter von dem innerhalb des Kontingents her-
gestellten, 1,25 M von dem außerhalb des Kon-
tingents erzeugten reinen Alkohol. Bei Obst-
brennereien sowie bei der Obstbranntweinerzeugung
auf fremden Brennvorrichtungen tritt eine Er-
mäßigung um /16 des Satzes ein, wenn die er-
zeugte Jahresmenge nicht mehr als 30 Liter be-
trägt. Befreit ist:
a) Branntwein, der ausgeführt wird;
b) Branntwein, der zu gewerblichen Zwecken
einschließlich der Essigbereitung, zu Putz-, Hei-
zungs-, Koch= und Beleuchtungszwecken verwendet
wird;
P) der Schwund bei der unter amtlicher lÜber-
wachung erfolgten Reinigung, Lagerung und Ver-
sendung des Branntweins;
d) Branntwein, der durch elementare Ereignisse
oder durch sonstige unverschuldete Vorgänge ver-
nichtet oder unbrauchbar geworden ist sowie bei
allen sonstigen, der Billigkeit entsprechenden Fällen;
e) der in öffentlichen Krankenhäusern, Ent-
bindungs= und ähnlichen Anstalten verwendete
Alkohol. In letzterem Fall hängt die Befreiung
von einer diesbezüglichen Bestimmung des Bundes-
rats ab.
Ist für Branntwein, der nachträglich ausgeführt
wird, bereits die Steuer entrichtet worden, so
tritt eine Vergütung ein; das gleiche gilt von Er-
zeugnissen, zu deren Herstellung steuerpflichtiger
Branntwein verwendet worden ist.
Für kleinere Brennereien (mit einer Jahres-
erzeugung bis 10 h.) ist die Möglichkeit der Ab-
findung offen gelassen.
Die Zollsätze sind ziemlich hoch; pro Doppel-
zentner Likör 350 M, andern Branntwein 275 M,
Kosmetika 400 M ufw.
Beibehalten wurde, trotz erheblichen Wider-
spruchs, die sog. „Liebesgabe", die Kontingen-