Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

237 
gesehen von den traurigen Rückwirkungen des 
Alkoholismus auf das Familienleben. Darum 
fordern die Theoretiker eine starke Belastung des 
Trinkbranntweins. In einzelnen Ländern ist die 
Besteuerung des Branntweins auch tatsächlich sehr 
hoch. So stellte sich nach der Denkschrift zur 
Reichsfinanzreform 1908/09 die Belastung wäh- 
rend der unmittelbar vorausgehenden Jahre (1907 
resp. 1906) in nachfolgenden Ländern folgender- 
maßen. 
Großbritannien und Irland 8,30 M, Niederlande 
8,22, Rußland 7,80, Frankreich 6,56, Belgien 
6,53, Vereinigte Staaten von Amerika 6,47, Schwe- 
den 4,21, Ungarn 3,68, Osterreich 2,81, Norwegen 
2,51, Deutsches Reich 2,38, Schweiz 2,32 M pro 
Kopf der Bevölkerung 
Durch die Reform von 1909 wird die Belastung 
in Deutschland etwas steigen, aber auch dann noch 
weit hinter einer Reihe anderer Staaten zurück- 
stehen. 
Möglichkeiten, den Branntwein zugunsten der 
Staatskasse zu belasten, gibt es zwei: das Mo- 
nopol und die Steuer. Die letztere kann ver- 
schiedene Formen annehmen. Der Blasenzins 
ist eine Besteuerung nach der Größe des Destil- 
lationskessels; diese Steuerform bestand 1810/20 
in Preußen. Eine andere Art ist die Material- 
steuer, eine Besteuerung der Rohstoffe; wegen der 
Verschiedenartigkeit der Ausbeute und der Be- 
schaffenheit des Materials wirkt sie ungleich und 
kann zu stärkerer Belastung der kleinen Betriebe 
führen. Bei der Maischraumsteuer erfolgt die 
Steuerbemessung nach der Größe der Gärungs- 
gefäße. Am besten ist die Besteuerung der fertigen 
Ware, die Fabrikatsteuer oder Verbrauchsabgabe, 
wie sie in Deutschland genannt wird. Sie er- 
fordert eine genaue Kontrolle, die aber durch 
mechanisch arbeitende Apparate erleichtert wird. 
Schließlich ist noch die Lizenz zu erwähnen, die 
teils von den Brennern teils von den Schankwirten 
bezahlt wird und als Ergänzung zur eigentlichen 
Branntweinsteuer anzusehen ist. 
Die Branntweinsteuer des Deutschen Reichs 
war bis 1887 keine einheitliche. Die süddeutschen 
Staaten hatten hier, wie bei der Biersteuer, ein 
Reservatrecht. Soweit die Branntweinsteuer da- 
mals dem Reich unterstand, war sie Material- 
steuer. Im Jahr 1886 wollte die Regierung ein 
Branntweinmonopol, als dieses gescheitert war, 
eine Reform der Steuer durchführen. Auch das 
gelang nicht. Erst 1887 wurde eine Abänderung 
und Erweiterung der Steuer vorgenommen. Die 
Branntweinsteuer wurde einheitlich für das ganze 
Reich gestaltet, die Materialsteuer auf die Obst- 
brennereien, die Maischbottichsteuer auf die land- 
wirtschaftlichen Brennereien beschränkt. Eine Ver- 
brauchsabgabe vom fertigen Alkohol, die nun das 
wichtigste Glied der Steuern bildete, trat hinzu. 
Der normale Satz der Verbrauchsabgabe war 
70 M pro Hektoliter. Um jedoch den Brennerei- 
betrieben eine Erleichterung zu gewähren, wurde 
Steuern. 
  
238 
für eine bestimmte Produktionsmenge (Kontin- 
gent) nur 50 M Verbrauchsabgabe erhoben (Liebes- 
gabe). Diese Maßnahme erfolgte vor allem mit 
Rücksicht auf die Landwirtschaft. Im Jahr 1895 
trat noch eine nach dem Produktionsumfang stark 
gestaffelte Brennsteuer hinzu, die aber keine fis- 
kalische Bedeutung hatte, sondern für Denatu- 
rierung des gewerblichen Spiritus und zur Ge- 
währung von Ausfuhrprämien benutzt wurde. 
Bei der Finanzreform von 1909 wollte die 
Regierung ein Monopol, statt dessen wurde unter 
Preisgabe der alten, komplizierten Besteuerung 
eine erhöhte Verbrauchsabgabe eingeführt. 
Die jetzige Branntweinsteuer ist eine Fabri- 
katsteuer, d. h. sie wird erhoben vom fertigen 
reinen Alkohol. Die verschiedenfachen andern 
Besteuerungsmethoden, welche bisher neben der 
Verbrauchsabgabe bestanden haben, die Meisch- 
bottichsteuer, die Materialsteuer, der Zuschlag zur 
Verbrauchsabgabe sind fortgefallen. Die Brannt- 
weinsteuer ist nunmehr eine reine Verbrauchs- 
abgabe. 
Die Verbrauchsabgabe beträgt 1,05 M für das 
Liter von dem innerhalb des Kontingents her- 
gestellten, 1,25 M von dem außerhalb des Kon- 
tingents erzeugten reinen Alkohol. Bei Obst- 
brennereien sowie bei der Obstbranntweinerzeugung 
auf fremden Brennvorrichtungen tritt eine Er- 
mäßigung um /16 des Satzes ein, wenn die er- 
zeugte Jahresmenge nicht mehr als 30 Liter be- 
trägt. Befreit ist: 
a) Branntwein, der ausgeführt wird; 
b) Branntwein, der zu gewerblichen Zwecken 
einschließlich der Essigbereitung, zu Putz-, Hei- 
zungs-, Koch= und Beleuchtungszwecken verwendet 
wird; 
P) der Schwund bei der unter amtlicher lÜber- 
wachung erfolgten Reinigung, Lagerung und Ver- 
sendung des Branntweins; 
d) Branntwein, der durch elementare Ereignisse 
oder durch sonstige unverschuldete Vorgänge ver- 
nichtet oder unbrauchbar geworden ist sowie bei 
allen sonstigen, der Billigkeit entsprechenden Fällen; 
e) der in öffentlichen Krankenhäusern, Ent- 
bindungs= und ähnlichen Anstalten verwendete 
Alkohol. In letzterem Fall hängt die Befreiung 
von einer diesbezüglichen Bestimmung des Bundes- 
rats ab. 
Ist für Branntwein, der nachträglich ausgeführt 
wird, bereits die Steuer entrichtet worden, so 
tritt eine Vergütung ein; das gleiche gilt von Er- 
zeugnissen, zu deren Herstellung steuerpflichtiger 
Branntwein verwendet worden ist. 
Für kleinere Brennereien (mit einer Jahres- 
erzeugung bis 10 h.) ist die Möglichkeit der Ab- 
findung offen gelassen. 
Die Zollsätze sind ziemlich hoch; pro Doppel- 
zentner Likör 350 M, andern Branntwein 275 M, 
Kosmetika 400 M ufw. 
Beibehalten wurde, trotz erheblichen Wider- 
spruchs, die sog. „Liebesgabe", die Kontingen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.