Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

267 Strafe usw. 268 
deren Begründer und Hauptvertreter der Pro= angehören. Dieser Satz stehe nicht im Wider- 
fessor Dr v. Liszt ist. Er lehrt, „daß das einzelne spruch mit dem „jenseitigen“ Indeterminismus 
Verbrechen durch das Zusammenwirken zweier und behaupte nicht den „diesseitigen“ Deter- 
Gruppen von Bedingungen entsteht, der indivi= minismus. Der „wissenschaftliche“ Determinis- 
duellen Eigenart des Verbrechers einerseits, der mus trete nur mit dem „diesseitigen“ Indeter- 
diesen umgebenden äußern, physikalischen und ge- minismus in Widerspruch insofern, als dieser die 
sellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Ver= menschlichen Handlungen auch für die Welt der 
hältnissen anderseits“. Ihm geht es also um Be- Erscheinungen von der Zurückführung auf eine 
kämpfung der individuellen Eigenschaften durch zureichende Ursache ausnehmen wolle. Das Straf- 
die Strafe und um Beseitigung der äußern schäd= recht bedürfe zu seiner Grundlegung nicht der An- 
lich wirkenden Verhältnisse. Beide Theorien wer= nahme einer ursachlosen Selbstbestimmung, einer 
den unter der Bezeichnung der positivistischen zu= dem kausalen Gesetz entrückten Willensfreiheit. Es 
sammengefaßt oder auch der deterministischen, der genüge vielmehr die von keiner Seite ernstlich be- 
dann die älteren Theorien als klassische oder in= strittene Annahme, daß alles menschliche Handeln 
deterministische gegenübergestellt werden. psychisch (nicht mechanisch) kausiert, also durch 
d) Der Streit der Theorien ist noch nicht aus= Vorstellungen bestimmt, determiniert, motiviert 
gefochten, aber die Gesichtspunkte haben sich, wie sei. Liszt leugnet also mit dieser Feststellung nicht 
bereits bemerkt, verschoben. Die Theorien, die die Willensfreiheit, er behauptet sie aber auch nicht; 
den Zweck der Strafe in den Vordergrund stellen, er erklärt nur, daß sie für das Strafrecht jeglicher 
werfen den Vergeltungstheorien vor, daß sie un= Bedeutung entbehre, allerdings aber auch, daß sie 
vernünftigerweise etwas Vergangenes bestrafen nicht als notwendige Grundlage des Strafrechts 
wollen, das nicht ungeschehen gemacht werden gesetzt werden dürfe, weil dies das Ende aller 
könne, während umgekehrt die Vergeltungstheorien wissenschaftlichen Erkenntnis herbeiführe. An einer 
gegen die Zwecktheorien den Vorwurf erheben, daß andern Stelle bemerkt er allerdings: „Der Ver- 
es zu offenbaren Widersprüchen mit der Idee des brecher, der vor uns steht als Angeklagter oder 
Rechts führen müsse, wenn sich der Gesetzgeber zu als Verurteilter, ist also für uns Menschen unbe- 
einem besondern Zweck der Strafe, namentlich zu dingt und uneingeschränkt unfrei; sein Verbrechen 
dem der Abschreckung für andere als den Ver- die notwendige, unvermeidliche Wirkung der ge- 
brecher selbst bekenne. Jede Richtung erwartete gebenen Bedingungen.“ An der Feststellung ist 
natürlich den Obsieg über die andere. Und 1843 soviel richtig, daß niemand leugnet, die den Ver- 
glaubte ein Anhänger der Vergeltungstheorie fest= brecher umgebenden äußern physikalischen und ge- 
stellen zu können, daß die Zwecktheorien immer sellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Ver- 
mehr an Boden verloren hätten und weiterhin hältnisse in Verbindung mit dessen individueller 
verlieren würden. Demgegenüber glaubt nunmehr Eigenart übten Einfluß auf die Begehung und 
v. Liszt die Gegensätze dahin bestimmen zu können, Unterlassung von Verbrechen; daß diese Verhält- 
daß die Meinungsverschiedenheit sich heute nur nisse aber die alleinigen oder zwingenden Ursachen 
noch um den Zweck der Strafe drehe, speziell der Verbrechen seien, wird gerade von anderer Seite 
nur um das Verhältnis zwischen Generalpräven= bestritten. Es ist ferner zuzugeben, daß auch die 
tion und Spezialprävention. Dabei geht er, im reine Vergeltungstheorie in der Hauptsache als 
Sinn der sog. Vereinigungstheorien, davon aus, überwunden gelten kann zugunsten der Vereini- 
daß es verfehlt sei, Vergeltungsstrafe und Zweck- gungstheorie in dem von Liszt erwähnten Sinn. 
strafe einander gegenüberzustellen, daß sich beide Endlich ist mit Liszt festzustellen, daß die rein an- 
vielmehr wohl miteinander vertrügen, da auch thropologische oder biologische Auffassung des Ver- 
die Anhänger der Zweckstrafe im Sinn der kri= brechens im Sinn Lombrosos, d. h. „seine aus- 
minal-soziologischen Schule daran festhielten, daß schließliche Ableitung aus der körperlichen und gei- 
für die Bestrafung ein historischer Grund in stigen Eigenart des Verbrechers“ in Deutschland 
der Straftat (quia peccatum est) gegeben sein wenigstens, soweit sie je Aufnahme gefunden, als 
müsse, neben dem der Zweck der Strafe in der # verfehlt betrachtet und aufgegeben ist, unbeschadet 
Form der Generalprävention (ne peccetur) gleich= der Anerkennung, die ihr insofern nicht zu versagen 
berechtigt einhergehe. Er lehnt es sogar ausdrück= ist, als sie den kriminal-anthropologischen Unter- 
lich ab, daß der Gegensatz der Anschauungen in suchungen neue Anregung zu nachdrücklicher Be- 
der Gegenüberstellung einer idealistischen und einer tätigung gegeben hat. Die Verschiebung der 
materialistischen Weltanschauung gesucht werde, Streitpunkte hat danach dahin stattgefunden, daß 
und folgert daraus, daß der Gegensatz „also auch es sich nicht mehr um die Strafe, sondern um das 
nicht in der Gegenüberstellung des Indeterminis= Verbrechen handelt, insbesondere um die Frage, 
mus und des Determinismus liegen“ könne. Denn ob für den Begriff des Verbrechens als schuldhafte 
der das Strafrecht allein berührende „wissen= Handlung die Willensfreiheit dahingestellt bleiben 
schaftliche“ Determinismus bedeute nicht mehr als oder gar geleugnet werden kann oder nicht. Die 
die unanfechtbare Anwendung des Satzes vom Beantwortung dieser Frage aber wird praktischer- 
zureichenden Grund auf die menschlichen Hand= weise dem Artikel Zurechnungsfähigkeit vorzu- 
lungen, soweit diese der Welt der Erscheinungen behalten sein. 
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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