Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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setzes von der Ausübung des Amts ausgeschlossen. 
Außer dieser absoluten Unfähigkeit gibt es noch 
eine relative Unfähigkeit, die darin besteht, daß 
ein Richter in einer bestimmten Strassache nicht 
als Richter fungieren kann. Dies ist der Fall, 
wenn er selbst durch die strafbare Handlung ver- 
letzt ist, oder wenn er der Ehemann oder Vor- 
mund der beschuldigten oder verletzten Person ist 
oder gewesen ist, und wenn er mit dem Angeschul- 
digten in einem näheren Verwandtschafts= oder 
Schwägerschaftsverhältnis steht, oder wenn er in 
der Strafsache schon in einer andern Eigenschaft, 
z. B. als Anwalt, Polizeibeamter, Zeuge u. dgl. 
aufgetreten ist. Es kann auch ein Richter von dem 
Angeschuldigten wegen Besorgnis der Befangen- 
heit, deren Grund glaubhaft gemacht werden muß, 
abgelehnt werden; für die Ablehnung eines 
Geschworenen bedarf es nicht der Glaubhaft- 
machung, während die relativen Unfähigkeitsgründe 
auch für ihn gelten. Für Schöffen und Gerichts- 
schreiber gelten die Bestimmungen über Aus- 
schließung und Ablehnung ebenso wie für den 
Richter. 
2. Die strafverfolgenden Behörden 
und Privatpersonen (Staatsanwaltschaft, 
Verwaltungsbehörden, Privatkläger, Nebenkläger) 
und der Beschuldigte. Wie unten (ogl. C. 1.) 
näher dargelegt werden wird, hat unser Straf- 
prozeßrecht die Strafverfolgung im Prinzip in die 
Hände einer besondern Behörde, der Staats- 
anwaltschaft, gelegt. Während über deren 
Organisation der sie betreffende Spezialartikel 
Auskunft gibt, ist hier nur ihre prozessualische 
Stellung kurz zucharakterisieren. Sie ergibt sich zu- 
nächst aus ihrer Stellung als Behörde neben, nicht 
unter dem Gericht. Sie steht in Ansehung ihrer 
Tätigkeit dem Gericht völlig selbständig gegenüber, 
dergestalt, daß die Disziplinarbefugnisse des Ge- 
richts über die bei einer gerichtlichen Verhandlung 
Beteiligten oder Anwesenden dem Vertreter der 
Staatsanwaltschaft gegenüber keine Anwendung 
finden. Sie hat selbständig den strafbaren Hand- 
lungen nachzuforschen und bei ausreichender Er- 
mittlung Anklage bei Gericht zu erheben, wie 
unten näher erläutert ist; aber sie ist nicht ledig- 
lich strafverfolgende Behörde; sie hat vielmehr 
im letzten Ergebnis keine andere Aufgabe als das 
Gericht auch, d. h. also dazu beizutragen, daß das 
Ziel des Strafprozesses — Bestrafung des wirk- 
lich Schuldigen — erreicht wird. Indem sie in 
diesem Rahmen ihr Verhalten pflichtgemäß einzu- 
richten hat, kann sie sich nicht als prinzipielle 
Gegnerin des Beschuldigten fühlen, sondern nur 
nach Maßgabe der Belastung. Sie wird sogar 
ebensosehr alle den Beschuldiglen entlastenden Mo- 
mente beachten müssen, wie das Gericht selbst, und 
kraft positiver Vorschrift (Str. P. O. § 338) kann 
sie sogar zugunsten des Beschuldigten von Rechts- 
mitteln Gebrauch machen. Das alles ergibt, daß 
die Staatsanwaltschaft nicht als Partei im 
Prozeß Stellung zu nehmen hat. Nur die Form 
Strafprozeß. 
  
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unseres Prozesses oder besser gesagt des Hauptver- 
fahrens (bgl. unten) bringt es mit sich, daß sie und 
der Beschuldigte im Strafprozeß die Stellung 
von zwei gegeneinanderstehenden Parteien ein- 
nehmen; dazu kommt allerdings noch der Umstand, 
daß ein Hauptverfahren gegen den Beschuldigten 
nicht stattfinden kann, es sei denn, daß dringende 
Verdachtsgründe gegen ihn bereits vorliegen, wo- 
durch eine Gegnerschaft der Staatsanwaltschaft 
gegen den sich verteidigenden Beschuldigten not- 
wendigerweise gegeben ist. — An die Stelle der 
Staatsanwaltschaft kann in dem Verfahren wegen 
Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über 
die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle 
die für diese letztere zuständige Verwaltungsbe- 
hörde treten, wenn die Staatsanwaltschaft die 
Verfolgung zu übernehmen ablehnt. 
Auch Privatpersonen können an Stelle oder 
neben der Staatsanwaltschaft im Prozeß strafver- 
folgend auftreten unter gewissen Voraussetzungen 
und in besondern Verfahren, worüber unten näher 
zu handeln ist. 
Die Stellung des Beschuldigten im Pro- 
zeß ist gegen früher viel günstiger geworden. 
Er ist vor allem nicht mehr zu der passiven 
Rolle verurteilt, die er im gemeinen Strafprozeß 
einnahm. Gleich bei seiner ersten Vernehmung ist 
ihm zu eröffnen, welche strafbare Handlung ihm 
zur Last gelegt werde, und soll ihm zur Beseiti- 
gung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe 
und zur Geltendmachung der zu seinen Gunsten 
sprechenden Tatsachen Gelegenheit gegeben wer- 
den. Er hat also von vornherein die Möglichkeit, 
auf den Gang der Untersuchung einzuwirken. Auch 
kann er in jeder Lage des Verfahrens, also gleich 
von Beginn an, eines Verteidigers sich be- 
dienen. Die Stellung des Verteidigers zum Be- 
schuldigten ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt; 
über des ersteren Befugnisse zur Einsicht der Akten, 
Anwesenheit in den Terminen, Verkehr mit dem 
verhafteten Beschuldigten u. dgl. dagegen sind be- 
sondere Bestimmungen getroffen. In Fällen der 
notwendigen Verteidigung wird ein Verteidiger 
von Amts wegen bestellt, falls der Beschuldigte 
nicht rechtzeitig selbst wählt. Der Beschuldigte kann 
sich aber vollständig passiv verhalten. Er soll näm- 
lich bei seiner ersten Vernehmung gefragt werden, 
ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern 
wolle. Er ist also nicht verpflichtet, überhaupt 
etwas zu erklären, geschweige denn ein Geständnis 
abzulegen oder die Wahrheit zu sagen. Es treffen 
ihn sogar keine Nachteile, wenn er das Gericht 
oder die Staatsanwaltschaft irre zu führen sucht, 
es sei denn, daß ein solcher Versuch in einer selb- 
ständig strafbaren Handlung (z. B. Verleitung 
zum Meineid) bestehe. Das Geständnis hat bei 
dem Grundsatz, daß die richterliche Uberzeugung 
von der Schuld des Angeklagten zur Verurteilung 
genügt, aber auch trotz des Geständnisses vorhan- 
den sein muß, seine frühere Bedeutung völlig ein- 
gebüßt. Wird nun zwar keine Mitwirkung des
	        
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