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kennt die Strafprozeßordnung insoweit eine be= Für die Herbeischaffung der einzelnen Beweis-
schränkte Offentlichkeit, die sog. Parteiöffent= mittel hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen
lichkeit, als den Beteiligten, Staatsanwalt oder auf besondere Veranlassung des Richters zu
und Beschuldigtem, gewisse Vorgänge im Prozeß, sorgen, und auch dem Angeklagten steht es frei,
namentlich während der Voruntersuchung, zur unmittelbar Beweismittel zur Stelle zu bringen,
Kenntnis gebracht werden müssen bzw. diese Be- und in der Regel ist der Richter verpflichtet, die
teiligten in gewissen Terminen zugezogen werden "% Beweisaufnahme auf sämtliche herbeigeschafften
müssen. Beweismittel zu erstrecken. Sodann folgt aus
Die Mündlichkeit ist die Vorbedingung jenem Grundsatz, daß der Richter jede Behaup-
für die Offentlichkeit; ohne Mündlichkeit ist die tung und jede Beweiserhebung auf ihre Zuver-
Offentlichkeit nicht denkbar. Deswegen müssen lässigkeit zu prüfen hat. Als Beweismittel kommen
alle Gerichtsverhandlungen, die öffentlich sein in Betracht: die Erklärung des Angeklagten, rich-
sollen, auch mündlich geführt werden, also die vor terlicher Augenschein, Urkunden, Aussagen von
dem erkennenden Gericht. Eine ausdrückliche Be= Zeugen und Sachverständigen. Dieletzteren müssen
stimmung, daß das Verfahren ein mündliches sein beeidigt werden, und nur unter bestimmten Vor-
soll, wie dies für den Zivilprozeß vorgeschrieben aussetzungen kann von der Beeidigung Abstand
ist (Z.P.O. § 128), findet sich in der Straf= genommen werden. Die Beeidigung soll eine
prozeßordnung nicht. Der Verhandlung vor dem Bürgschaft für die Zuverlässigkeit abgeben; das
erkennenden Gericht geht fast immer die Samm= entbindet den Richter aber nicht von der beson-
lung der Beweise voraus. Diese Beweise müssen dern Prüfung, ob trotz der Beeidigung die Zu-
alle in der Hauptverhandlung rekapituliert werden, verlässigkeit vorhanden ist. Dem beregten Grund-
d. h. also Schriftstücke aller Art müssen verlesen satz entspricht es auch, daß eidliches Zeugnis ab-
und Personen, auf deren Wahrnehmung der Be= zulegen allgemeine Bürgerpflicht ist, von der nur
weis einer Tatsache beruht, vernommen werden; ganz besondere, bestimmt bezeichnete Umstände
die Vernehmung darf nur ausnahmsweise durch entbinden. Dahin gehört nicht, wie im Zivil-
Verlesung des über eine frühere Vernehmung prozeß, schon die Möglichkeit, daß die Aussage
aufgenommenen Protokolls ersetzt werden. Dazu über gewisse Tatsachen dem Zeugen oder dessen
kommen die mündlichen Erklärungen des An-
geklagten und des Vertreters der Anklage, was in
der Berufungs= und Revisionsinstanz allerdings
sachgemäße Modifikationen erfährt. Diese ge-
samte Beweisführung muß bei unausgesetzter An-
wesenheit des Angeklagten und ohne eine Unter-
brechung von längerer Dauer stattfinden, so daß
durch diese „Konzentrierung aller Einwirkungen
auf den erkennenden Richter in einer in unaus-
gesetzter Gegenwart aller Richter und der Parteien
zu pflegenden, kontradiktorisch gestalteten Ver-
handlung“ eine Unmittelbarkeit der Ver-
handlung erzielt wird, die volle Gewißheit dafür
erbringt, daß der erkennende Richter alles Ma-
terial, was zur Beurteilung der Sache vorliegt,
erfährt, mithin seinem Urteil zugrunde legen muß.
3. Beweis. Die richterliche Aufgabe im
Strafprozeß ist, wie schon mehrfach betont, die
Feststellung der materiellen Wahrheit. Daraus
ergibt sich zweierlei: einmal, daß eine Tätigkeit
der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten nicht
Voraussetzung für eine Beweiserhebung ist. Na-
türlich wird der Angeklagte gut daran tun, dem
Richter für seine Behauptungen auch die Beweis-
mittel anzugeben; nur kann nicht davon gesprochen
werden, daß ihn eine Beweislast treffe. Der
Richter ist auch verpflichtet, auf Anträge über
Beweiserhebungen einzugehen, soweit sie für das
Urteil erheblich sind; eine Ablehnung solcher An-
träge muß sogar derart begründet werden, daß
die Nachprüfung ihrer Berechtigung in der höheren
Instanz möglich ist, indem darin unter Umständen
eine zur Revision berechtigende unzulässige Be-
schränkung der Verteidigung erblickt werden kann.
Angehörigen zur Unehre gereichen würde; nur die
Gefahr, daß der Zeuge sich strafgerichtliche Ver-
folgung zuziehen werde, entbindet ihn von seiner
Verpflichtung. Vor allem muß der Richter auch
ein etwaiges Geständnis des Angeklagten auf
sieine Glaubwürdigkeit prüfen, da ihm die er-
wähnte Bürgschaft der Beeidigung fehlt und es
erfahrungsgemäß nicht selten der Wahrheit ent-
behrt. Im allgemeinen schreibt daher die Straf-
prozeßordnung dem Geständnis keinen Einfluß
auf die Gestaltung des Verfahrens zu. Tatsächlich
wird natürlich bei einem glaubhaften Geständnis
der Richter von der Erhebung weiterer Beweise
absehen; nur bei Schwurgerichtsverhandlungen ist
dies ausgeschlossen, da hier erst aus der Antwort
der Geschworenen auf die gestellten Fragen ersehen
werden kann, welchen Wert sie dem Geständnis
beilegen.
Aus den erhobenen Beweisen hat der Richter
die Wahrheit festzustellen; er muß also notwen-
digerweise sich über die Gründe klar werden,
welche für ihn bestimmend sind, eine strafbare
Handlung des Angeklagten anzunehmen oder nicht.
Dabei kann ihm das Gesetz bestimmte Vorschriften
machen, z. B. daß er eine Tatsache für wahr an-
zunehmen habe, wenn zwei taugliche Zeugen unter
Eidesbekräftigung sie bekundet haben. In einem
olchen Fall spricht man von „gesetzlicher Beweis-
theorie“. Anders verhält es sich bei der sog. „Uber-
zeugungstheorie“ oder der „Theorie der
freien Beweiswürdigung“; hier sind dem Richter
jene Fesseln nicht angelegt, er hat vielmehr nach
seiner freien Uberzeugung zu urteilen, ob er die zu
beweisende Tatsache für bewiesen erachtet oder nicht.
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