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richter entweder das erste Urteil bestätigt, dann
nämlich, wenn er es den Gesetzen entsprechend be-
funden hat, oder im gegenteiligen Fall es aufhebt
und den ersten Richter anweist, unter Berücksich-
tigung der angegebenen rechtlichen Gesichtspunkte
ein neues Urteil zu sprechen. Damit ist bereits
gesagt, daß die Revision nur wegen Gesetzes-
verletzungen stattfindet; es muß hinzukommen,
daß das angefochtene Urteil auch auf der Gesetzes-
verletzung beruht und daß der Beschwerde-
führer die Gesetzesverletzung gerügt hat. Im
Interesse des Angeklagten sind der Staatsanwalt-
schaft gewisse Beschränkungen im Gebrauch der
Revision auferlegt; so darf sie Verletzungen von
Rechtsnormen, welche lediglich zugunsten des An-
geklagten gegeben sind, nicht zum Nachteil des-
selben geltend machen, und in Schwurgerichts-
sachen kann sie, wenn der Angeklagte freigesprochen
worden ist, nur einzelne genau bestimmte Nichtig-
keiten geltend machen. Das Verfahren ist dem
der Berufung ähnlich, nur ist die Anwesenheit des
Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht not-
wendig, da es sich nicht mehr um das tatsächliche
Material handelt, eine Beweisaufnahme daher
nicht stattfindet.
Ist ein Urteil rechtskräftig, d. h. kann es nicht
mehr durch Berufung oder Revision angegriffen
werden, so besteht doch noch die Möglichkeit,
dasselbe zugunsten wie zu ungunsten des An-
geklagten wieder zu beseitigen, einerlei ob die
Vollstreckung bereits erfolgt ist oder nicht, ob der
Angeklagte noch lebt oder gestorben ist. Es ge-
schieht dies durch Wiederaufnahme des
Verfahrens. Die wesentlichsten Gründe, auf
welche sich der Antrag stützen kann, sind: die Be-
hauptung einer strafbaren Handlung (z. B. Mein-
eid, Urkundenfälschung), welche entweder rechts-
kräftig festgestellt ist oder doch nur aus andern
Gründen als wegen Mangels an Beweis (3. B.
wegen Tod, Verjährung) nicht festgestellt werden
kann, vorausgesetzt, daß die strafbare Handlung
auf das Urteil von Einfluß gewesen ist; neue
Tatsachen und Beweise, jedoch nur zugunsten des
Verurteilten; glaubwürdiges Geständnis des Frei-
gesprochenen (zu ungunsten desselben). Der An-
trag kann nur mittels einer von dem Verteidiger
oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift
oder zu Protokoll eines Gerichtschreibers ange-
bracht werden und muß die Gründe nebst den
Beweismitteln angeben. Es folgt dann die Prü-
fung des Antrags, namentlich in betreff der Er-
heblichkeit der Behauptungen, eventuell eine Be-
weisaufnahme und nach derselben eine Schluß-
erklärung beider Teile. Erachtet das Gericht
sodann — ohne mündliche Verhandlung — die
aufgestellten erheblichen Behauptungen für ge-
nügend bewiesen, so kann es in gewissen Aus-
nahmefällen, nämlich wenn auf Freisprechung zu
erkennen ist, selbst das Urteil fällen; in der Regel
aber ordnet es die Erneuerung der Hauptverhand-
lung an, in der dann, was Rechtens, auszusprechen,
Strafprozeß.
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aber, wenn der Antrag zugunsten des Verurteilten
eingebracht war, keinenfalls eine härtere Strafe
als im ersten Urteil verhängt werden darf.
F. Strafvollstreckung und Kosten. Straf-
urteile sind nicht vollstreckbar, bevor sie rechts-
krästig geworden sind. Die Sorge für die Voll-
streckung, einschließlich der etwa zu erlassenen
Haftbefehle, Vorführungsbefehle und Steckbriefe,
ist der Staatsanwaltschaft übertragen mit der
Maßgabe, daß den Amtsanwälten sie nicht zusteht
und in schöffengerichtlichen Angelegenheiten sie
durch die Landesjustizgesetzgebung den Amts-
richtern übertragen werden kann, wie in Preußen
geschehen ist. Die Vollstreckung erfolgt auf Grund
einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen Aus-
fertigung der Urteilsformel. Uber die Art der
Vollstreckung sind im Hinblick auf ein zu erlassen-
des allgemeines Strafvollzugsgesetz nur wenige
vereinzelte Bestimmungen gegeben, so, daß die
Todesstrafe als „Intramuranhinrichtung“ bei be-
schränkter Offentlichkeit zu vollstrecken ist, und daß
ür Geldstrafen, Bußen und Einziehung die Vor-
chriften über die Vollstreckung der Zivilurteile
entsprechend Anwendung finden sollen. Auch in
betreff der Freiheitsstrafen sind einige Vorschriften
gegeben, insbesondere hinsichtlich des Aufschubs
ihrer Vollstreckung wegen Krankheit bzw. der
Anrechnung der in einer Krankenanstalt ver-
brachten Zeit. In der Hauptsache aber ist die
Gestaltung des Strafvollzugs den Landesgesetz-
gebungen überlassen. Das in Aussicht genommene
Strafvollzugsgesetz ist noch nicht zustande ge-
kommen; dafür haben die bundesstaatlichen Re-
gierungen am 8. Nov. 1897 Grundzüge über den
Vollzug der Freiheitsstrafen vereinbart, die in-
dessen ein solches Gesetz nicht ersetzen. Auch in
dem Vollstreckungsstadium können eine Reihe von
Entscheidungen notwendig werden, z. B. über Zu-
lässigkeit der Vollstreckung, Berechnung der Strafe,
besonders einer Gesamtstrafe, Aufschub und Unter-
brechung usw. Zuständig dafür ist zunächst das
Prozeßgericht, gegen dessen Entscheidung sofortige
Beschwerde stattfindet.
Hinsichtlich der Kosten ist vorgeschrieben, daß
jede in der Hauptsache ergehende Entscheidung
darüber Bestimmung treffen muß, von wem die
Kosten des Verfahrens zu tragen sind. Die Kosten
zerfallen in Gebühren und in Auslagen (z. B.
für Zeugen, Sachverständige, Bekanntmachungen)
des Gerichts. Erstere, für die Tätigkeit des
Gerichts erhoben, richten sich nach der Höhe der
erkannten Strafe. Im allgemeinen gilt der Grund-
satz, daß derjenige Teil (Staat oder Beschuldigter),
der unterliegt, die Kosten zu tragen hat, es sei
denn, daß nachweisbares Verschulden zutrifft, in
welchem Fall auch ohne Unterliegen die Ver-
urteilung zur Tragung der Kosten erfolgen kann.
Die Kosten bilden keinen Teil der Strafe, können
deshalb nicht, wie die Geldstrafe, in Freiheis-=
strafe umgewandelt werden. In betreff der Kosten
des Privatklageverfahrens sind besondere Bestim-