Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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richter entweder das erste Urteil bestätigt, dann 
nämlich, wenn er es den Gesetzen entsprechend be- 
funden hat, oder im gegenteiligen Fall es aufhebt 
und den ersten Richter anweist, unter Berücksich- 
tigung der angegebenen rechtlichen Gesichtspunkte 
ein neues Urteil zu sprechen. Damit ist bereits 
gesagt, daß die Revision nur wegen Gesetzes- 
verletzungen stattfindet; es muß hinzukommen, 
daß das angefochtene Urteil auch auf der Gesetzes- 
verletzung beruht und daß der Beschwerde- 
führer die Gesetzesverletzung gerügt hat. Im 
Interesse des Angeklagten sind der Staatsanwalt- 
schaft gewisse Beschränkungen im Gebrauch der 
Revision auferlegt; so darf sie Verletzungen von 
Rechtsnormen, welche lediglich zugunsten des An- 
geklagten gegeben sind, nicht zum Nachteil des- 
selben geltend machen, und in Schwurgerichts- 
sachen kann sie, wenn der Angeklagte freigesprochen 
worden ist, nur einzelne genau bestimmte Nichtig- 
keiten geltend machen. Das Verfahren ist dem 
der Berufung ähnlich, nur ist die Anwesenheit des 
Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht not- 
wendig, da es sich nicht mehr um das tatsächliche 
Material handelt, eine Beweisaufnahme daher 
nicht stattfindet. 
Ist ein Urteil rechtskräftig, d. h. kann es nicht 
mehr durch Berufung oder Revision angegriffen 
werden, so besteht doch noch die Möglichkeit, 
dasselbe zugunsten wie zu ungunsten des An- 
geklagten wieder zu beseitigen, einerlei ob die 
Vollstreckung bereits erfolgt ist oder nicht, ob der 
Angeklagte noch lebt oder gestorben ist. Es ge- 
schieht dies durch Wiederaufnahme des 
Verfahrens. Die wesentlichsten Gründe, auf 
welche sich der Antrag stützen kann, sind: die Be- 
hauptung einer strafbaren Handlung (z. B. Mein- 
eid, Urkundenfälschung), welche entweder rechts- 
kräftig festgestellt ist oder doch nur aus andern 
Gründen als wegen Mangels an Beweis (3. B. 
wegen Tod, Verjährung) nicht festgestellt werden 
kann, vorausgesetzt, daß die strafbare Handlung 
auf das Urteil von Einfluß gewesen ist; neue 
Tatsachen und Beweise, jedoch nur zugunsten des 
Verurteilten; glaubwürdiges Geständnis des Frei- 
gesprochenen (zu ungunsten desselben). Der An- 
trag kann nur mittels einer von dem Verteidiger 
oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift 
oder zu Protokoll eines Gerichtschreibers ange- 
bracht werden und muß die Gründe nebst den 
Beweismitteln angeben. Es folgt dann die Prü- 
fung des Antrags, namentlich in betreff der Er- 
heblichkeit der Behauptungen, eventuell eine Be- 
weisaufnahme und nach derselben eine Schluß- 
erklärung beider Teile. Erachtet das Gericht 
sodann — ohne mündliche Verhandlung — die 
aufgestellten erheblichen Behauptungen für ge- 
nügend bewiesen, so kann es in gewissen Aus- 
nahmefällen, nämlich wenn auf Freisprechung zu 
erkennen ist, selbst das Urteil fällen; in der Regel 
aber ordnet es die Erneuerung der Hauptverhand- 
lung an, in der dann, was Rechtens, auszusprechen, 
Strafprozeß. 
  
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aber, wenn der Antrag zugunsten des Verurteilten 
eingebracht war, keinenfalls eine härtere Strafe 
als im ersten Urteil verhängt werden darf. 
F. Strafvollstreckung und Kosten. Straf- 
urteile sind nicht vollstreckbar, bevor sie rechts- 
krästig geworden sind. Die Sorge für die Voll- 
streckung, einschließlich der etwa zu erlassenen 
Haftbefehle, Vorführungsbefehle und Steckbriefe, 
ist der Staatsanwaltschaft übertragen mit der 
Maßgabe, daß den Amtsanwälten sie nicht zusteht 
und in schöffengerichtlichen Angelegenheiten sie 
durch die Landesjustizgesetzgebung den Amts- 
richtern übertragen werden kann, wie in Preußen 
geschehen ist. Die Vollstreckung erfolgt auf Grund 
einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen Aus- 
fertigung der Urteilsformel. Uber die Art der 
Vollstreckung sind im Hinblick auf ein zu erlassen- 
des allgemeines Strafvollzugsgesetz nur wenige 
vereinzelte Bestimmungen gegeben, so, daß die 
Todesstrafe als „Intramuranhinrichtung“ bei be- 
schränkter Offentlichkeit zu vollstrecken ist, und daß 
ür Geldstrafen, Bußen und Einziehung die Vor- 
chriften über die Vollstreckung der Zivilurteile 
entsprechend Anwendung finden sollen. Auch in 
betreff der Freiheitsstrafen sind einige Vorschriften 
gegeben, insbesondere hinsichtlich des Aufschubs 
ihrer Vollstreckung wegen Krankheit bzw. der 
Anrechnung der in einer Krankenanstalt ver- 
brachten Zeit. In der Hauptsache aber ist die 
Gestaltung des Strafvollzugs den Landesgesetz- 
gebungen überlassen. Das in Aussicht genommene 
Strafvollzugsgesetz ist noch nicht zustande ge- 
kommen; dafür haben die bundesstaatlichen Re- 
gierungen am 8. Nov. 1897 Grundzüge über den 
Vollzug der Freiheitsstrafen vereinbart, die in- 
dessen ein solches Gesetz nicht ersetzen. Auch in 
dem Vollstreckungsstadium können eine Reihe von 
Entscheidungen notwendig werden, z. B. über Zu- 
lässigkeit der Vollstreckung, Berechnung der Strafe, 
besonders einer Gesamtstrafe, Aufschub und Unter- 
brechung usw. Zuständig dafür ist zunächst das 
Prozeßgericht, gegen dessen Entscheidung sofortige 
Beschwerde stattfindet. 
Hinsichtlich der Kosten ist vorgeschrieben, daß 
jede in der Hauptsache ergehende Entscheidung 
darüber Bestimmung treffen muß, von wem die 
Kosten des Verfahrens zu tragen sind. Die Kosten 
zerfallen in Gebühren und in Auslagen (z. B. 
für Zeugen, Sachverständige, Bekanntmachungen) 
des Gerichts. Erstere, für die Tätigkeit des 
Gerichts erhoben, richten sich nach der Höhe der 
erkannten Strafe. Im allgemeinen gilt der Grund- 
satz, daß derjenige Teil (Staat oder Beschuldigter), 
der unterliegt, die Kosten zu tragen hat, es sei 
denn, daß nachweisbares Verschulden zutrifft, in 
welchem Fall auch ohne Unterliegen die Ver- 
urteilung zur Tragung der Kosten erfolgen kann. 
Die Kosten bilden keinen Teil der Strafe, können 
deshalb nicht, wie die Geldstrafe, in Freiheis-= 
strafe umgewandelt werden. In betreff der Kosten 
des Privatklageverfahrens sind besondere Bestim- 
 
	        
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