Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

317 
zur Zeit seines Erlasses bestehende Reichs- und 
Landesstrafrecht insoweit außer Kraft, als das- 
selbe Materien betrifft, welche Gegenstand des 
Strafgesetzbuchs sind. Insoweit dürfen auch 
neuere Landesgesetze keinerlei Bestimmungen treffen. 
Im übrigen bleibt das Landesstrafrecht ergänzend 
in Kraft, namentlich soweit es sich um strafbare 
Verletzungen der Preßpolizei-, Steuer-, Zoll-, 
Fischerei-, Jagd-, Forst= und Feldpolizeigesetze, 
über Mißbrauch des Vereins= und Versammlungs- 
rechts und über den Holzdiebstahl handelt. Auf 
Grund dieser Bestimmungen hat sich eine sehr 
umfangreiche Strafgesetzgebung über diese Ma- 
terien entwickelt. Dazu treten zahlreiche Straf- 
bestimmungen in Reichs= und Landesgesetzen, die 
an sich nicht strafrechtliche Materien betreffen, die 
aber Strafbestimmungen aufgenommen haben zum 
Schutz der von ihnen geregelten Interessen, wie 
z. B. die Gewerbeordnung, das Patentgesetz, das 
Postgesetz, das Börsengesetz. Auch das Wein- 
gesetz, die Seuchengesetze, die Gesetze zum Schutz 
des geistigen Eigentums u. a. m. sind hierher zu 
zählen. So führen neuere Privatsammlungen in 
12 Abteilungen 113 Reichsgesetze und in 5 Ab- 
teilungen 107 preußische Gesetze strafrechtlichen 
Inhalts der genannten Art auf. In betreff der 
Reichsgesetze gilt nichts Besonderes, aber die Lan- 
desgesetzgebung ist in betreff der Gesetze dieser Art 
in der Richtung eingeengt, daß sie keine andere 
Strafart, als eine der vom Strafgesetzbuch zu- 
gelassenen Arten und Gefängnis nur bis zum 
Höchstbetrag von zwei Jahren, Haft, Geldstrafe, 
Einziehung einzelner Gegenstände und die Ent- 
ziehung öffentlicher Amter androhen darf. 
Was das zeitliche Geltungsgebiet anlangt, so 
stellen das Strafgesetzbuch und die übrigen Straf- 
rechtssätze sich als die rechtliche Begrenzung der 
staatlichen Strafgewalt dar, indem das Straf- 
gesetzbuch den gegen Willkür schützenden Grund- 
satz aufstellt, daß eine Handlung nur dann mit 
Strafe belegt werden kann, wenn diese Strafe ge- 
setzlich bereits bestimmt war, bevor die Handlung 
begangen wurde. Die Strafgesetze finden also 
keine Anwendung auf die vor oder nach ihrer 
Geltung begangenen Handlungen. Und nur in- 
sofern erleidet diese Vorschrift eine gewisse „juri- 
stisch nicht zu begründende, aber dennoch zu bil- 
ligende“ Ausnahme, als bei Verschiedenheit der 
Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung 
bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz an- 
zuwenden ist. 
In betreff des räumlichen Gellungsgebiets er- 
scheint es selbstverständlich, daß die Strafgesetze 
des Deutschen Reichs auf alle in den Gebieten des- 
selben, der deutschen Schutzgebiete und der Kon- 
sulargerichtsbezirke (hier soweit es sich um Reichs- 
angehörige und Schutzgenossen handelt) begange- 
nen Handlungen Anwendung finden. Der Grund- 
satz ist aber nicht ohne Ausnahme gelassen, nament- 
lich infolge Einwirkung völkerrechtlicher Prinzipien. 
Strafrecht. 
318 
Ausländer wegen der von ihm im Ausland be- 
gangenen Verbrechen nach inländischem Recht ver- 
folgt werden kann. 
Persönlich sind dem Strafrecht unterworfen alle 
innerhalb des räumlichen Geltungsgebiets sich auf- 
haltenden Personen, mit der Maßgabe, daß auch 
hier völkerrechtliche Grundsätze Ausnahmen zu- 
gunsten fremder Souveräne, ihrer Angehörigen, 
der Gesandtschaften u. a. aufstellen. Aus staats- 
rechtlichen Gründen sind von der Herrschaft der 
Strafgesetze befreit das Staatsoberhaupt ganz all- 
gemein und die Mitglieder der gesetzgebenden Ver- 
sammlungen wegen ihrer in Ausübung dieses ihres 
Berufs getanen Außerungen. 
2. Die Grundprinzipien des Straf- 
rechts. a) Allgemeines; b) die Tatbestands- 
merkmale des Verbrechens, Handlung, Schuld, 
Rechtswidrigkeit, Strafbarkeit, Vollendung und 
Versuch, Teilnahme, Verbrechensmehrheit; c) die 
Strafe, das Strafensystem, Wegfall der Strafe. 
a) Da die Begehung eines Verbrechens die 
Voraussetzung für den Eintritt der Strafe ist, so 
bildet die Feststellung dessen, was unter Ver- 
brechen zu verstehen ist, den Mittelpunkt des Straf- 
rechts. Hierbei muß unterschieden werden zwischen 
denjenigen allgemeinen Begriffsmerkmalen, welche 
bei jeder Handlung zutreffen müssen, um sie zu 
einem Verbrechen zu stempeln, den „Tatbestand“ 
in abstracto ausmachen, und denjenigen beson- 
dern, welche das eine Verbrechen von dem andern 
unterscheiden (z. B. Diebstahl, Betrug), also den 
Tatbestand in concreto ausmachen. Unser 
Strafrecht gibt keine Definition des Verbrechens 
in jenem abstrakten Sinn, macht sich vielmehr das 
französische System zu eigen und nimmt eine 
Dreiteilung der verbrecherischen Übeltaten vor 
nach Maßgabe der angedrohten Strafe, und zwar 
zu dem mit dem materiellen Strafrecht gar nicht 
zusammenhängenden Zweck, danach die Zuständig- 
keit der Gerichte zu bestimmen (vgl. d. Art. Straf- 
prozeß). Nach dem Strafgesetzbuch ist eine mit dem 
Tod, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von 
mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ein Ver- 
brechen (i. e. S.), eine mit Festungshaft bis zu 
fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe 
von mehr als 150 M bedrohte Handlung ein Ver- 
gehen, eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 
150 M bedrohte Handlung eine Übertretung. In- 
dessen lassen sich aus den allgemeinen Bestim- 
mungen des Ersten Teils des Strafgesetzbuchs die 
Tatbestandsmerkmale des Verbrechens (i. w. S.) 
konstruieren. Danach ist für den Begriff eines 
Verbrechens erforderlich, daß eine rechtswidrige 
schuldhafte Handlung vorliegt, die vom Strafrecht 
im besondern mit Strafe bedroht ist. Wenn also 
eines dieser vier Tatbestandsmerkmale fehlt, so liegt 
kein Verbrechen vor; fehlt insbesondere die Straf- 
androhung, so liegt zwar eine unerlaubte Hand- 
lung, aber nur ein privatrechtliches Unrecht vor. 
D) Als erstes Tatbestandsmerkmal des Ver- 
  
Anderseits ist es nicht ausgeschlossen, daß sogar der brechens wird eine Handlung verlangt, d. h.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.