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Messer ohne Klinge u. a. stammen aus sozialisti-
schen, meistens gewerkschaftlichen Kreisen. Die
christliche Arbeiterschaft war stets einig in der
Verwerfung des Generalstreiks.
Die Durchführbarkeit eines Generalstreiks muß
sehr bezweifelt, ja für die Praxis einfach verneint
werden. Zunächst würde die Ausdehnung des
Streiks immer und überall nur eine sehr mäßige
sein; die Zersplitterung der Arbeiterschaft, das
ablehnende Verhalten der Gewerkschaften lassen
weder einen spontanen noch einen vorbereiteten all-
gemeinen Ausstand der Arbeiter zustande kommen.
Schwieriger noch ist es, eine große Masse streiken-
der Arbeiter zum Ausharren im Streik zu ver-
mögen. Die allgemeine Notlage, welche die Arbeiter
durch den Generalstreik für die ganze Gesellschaft
herbeizuführen suchten, würden sie zu allermeist zu
fühlen bekommen. Unter der allgemeinen Lebens-
mittelknappheit und Preissteigerung würden sie
am empfindlichsten leiden, während es für die
herrschenden Klassen hinsichtlich der täglichen
Lebensmittel zahlreiche Ersatzmöglichkeiten gibt.
Vor dem Hunger aber verblassen auch die leuch-
tendsten sozialistischen Ziele. Bei der steigenden
Reizbarkeit der Hungernden würden die Zusammen-
stöße mit Arbeitswilligen in blutige Krawalle aus-
arten und die bewaffnete Macht alsbald auf den
Plan rufen. Ein Zusammenstoß der Streikenden
mit der heute stets schlagfertigen und wohldiszi-
plinierten Armee würde aber in jedem Fall für die
ersteren verhängnisvoll werden. Allerdings haben
einige politische Massenstreiks. Zugeständnisseseitens
des Staats erlangt, so 1893 in Belgien, 1902 in
Schweden, 1905 in Rußland. Aber alle diese
einigermaßen erfolgreichen Streiks hatten den un-
geheuern Vorteil, daß die übrige Gesellschaft ganz
oder zum Teil dieselben politischen Wünsche hegte
wie die Streikenden. „Nur in einer Minderheit
der Fälle“, sagt E. Bernstein, „hat sich der Ge-
neralstreik bisher als anwendbar, nur in ganz ver-
einzelten Fällen als Erfolg bringend erwiesen.
Und unter diesen vereinzelten Fällen ist kein ein-
ziger, wo ein politischer Massenstreik Erfolg gehabt
hätte, der von der Partei der Arbeiter allein aus-
ging und sich gegen die konservativen sowie gegen
die liberalen Parteien des Bürgertums samt der
Zentralregierung gleichmäßig richtete.“
IV. Sittliche Beurkeilung. Die sittlich-
rechtliche Behandlung des Streiks hat vor allem
die Frage zu beantworten, ob die streikenden Ar-
beiter Pflichten gegenüber den Personenkreisen
verletzen, zu denen sie das Arbeitsverhältnis in
sittliche Beziehungen gesetzt hat: gegenüber den
Arbeitgebern, den Mitarbeitern, der Gesamtheit.
Anderweitige Verletzungen der Sittengebote, die
häufig als Begleiterscheinungen der Streiks auf-
treten, wie Trunksucht, Angriffe auf Leben und
Eigentum, sind keine unmittelbaren und notwen-
digen Folgen des Streiks und können sehr wohl
vermieden werden, wie verschiedene Maßnahmen
der Gewerkvereine (Alkoholverbot) bei großen
Streik usw.
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Streiks der Neuzeit zeigen. Sie können daher
wohl gegen die Rätlichkeit, nicht aber gegen die
Erlaubtheit des Streiks angeführt werden.
Gegenüber dem Arbeitgeber muß zunächst die
Forderung, das Streikmotiv, gerecht und ver-
nünftig sein. Das ist sie ganz offenbar, wenn die
Arbeiter durch den Streik ein Unrecht abwehren
wollen, das sie schon länger tragen. Wenn der
Arbeitsvertrag Bedingungen enthält, welche die
Rechte des Arbeiters nicht achten, wenn z. B.
Löhne ausbedungen sind, die unter dem Existenz-
minimum liegen, wenn übermenschliche Arbeits-
dauer gefordert wird, oder wenn an sich gerechte
Vertragsbedingungen seitens des Arbeitgebers
offenbar und hartnäckig verletzt werden, dann ist
der Vertrag nichtig und braucht von den Arbeitern
nicht länger mehr eingehalten zu werden: mit an-
dern Worten, die Arbeiter können in solchen Fällen
vor Ablauf der vertragsmäßigen Kündigungsfrist
in den Streik eintreten. Sie haben alsdann das
Recht der Notwehr für sich und können hiervon
sofort Gebrauch machen, um ein ihnen zugefügtes
Unrecht nicht länger ertragen zu müssen. Nicht
immer, ja — wir dürfen heute wohl sagen — in
den allerseltensten Fällen handelt es sich um die
Abwehr eines Unrechts. Die Arbeiter stellen
Forderungen, zu deren Erfüllung der Arbeitgeber
an sich ohne vertragliche Verpflichtung nicht ge-
halten ist, und deren Nichtbewilligung kein Un-
recht darstellt. Sie verlangen Löhne, die über das
Existenzminimum hinausgehen, dem Wert der
Arbeit in der Produktion besser entsprechen und
auch zu den Gewinnraten des Unternehmens in
besserem Einklang stehen; sie verlangen weitere
Verkürzung der Arbeitsdauer, damit sie auch für
andere Beschäftigungen Zeit und Muße haben
und damit ihre Lebenskraft nicht zu früh erliegt.
Das alles sind Forderungen, deren Nichtbewilli-
gung seitens des Arbeitgebers kein positives Un-
recht darstellt. Aber doch sind die Arbeiter mit
solchen Wünschen im Recht, solange sie eben nichts
Unerfüllbares und Ungerechtes fordern. Sie haben
ein Recht darauf, ihre materielle Lage nach Kräften
zu verbessern, soweit sie hierdurch Rechte anderer
nicht verletzen. Sie können, um auf das weitaus
häufigste Streikmotiv einzugehen, einen höheren
Lohn fordern, solang er die obere Grenze des
gerechten Lohns nicht überschreitet. Nun ist es
freilich nicht ebensoleicht, die obere Grenze des
gerechten Lohns festzustellen als die untere, die
mit dem Existenzminimum zusammenfällt. Man
könnte wohl als obere Grenze einen solchen Lohn
bezeichnen, bei welchem dem Unternehmer die
günstige Fortentwicklung seines Betriebs und ein
genügender standesgemäßer Gewinn gesichert ist.
Über die konkrete Gestaltung dieses Höchstlohns
eine Einigung der beiden Parteien zu erzielen,
wird nicht leicht möglich sein. Die Arbeiter werden
geneigt sein, ihn möglichst hoch anzusetzen und
ihre Forderungen möglichst hoch zu stellen. Daß
sie aber tatsächlich auch durch einen Streik einen