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in dem ganzen so fein verschlungenen Wirtschafts-
organismus, in der Gesamtwohlfahrt eines Volks
hervor. Bei jedem Streik ist daher ein größerer
oder kleinerer Teil der Gesellschaft interessiert. Es
gibt aber eine Reihe gewerblicher und ländlicher
Berufe, an deren ruhiger ungestörter Arbeit die
Gesellschaft ein ganz hervorragendes Interesse hat.
Das sind z. B. die Verkehrsgewerbe, deren Unter-
brechung ein plötzliches Zerschneiden aller Fäden
des Wirtschaftsorganismus bedeutet; ferner die
Nahrungsmittelgewerbe, deren Stillstand für weite
Kreise einen plötzlichen Notstand hervorruft; die
landwirtschaftlichen Berufe, zumal zur Erntezeit;
der Bergbau, der zahlreiche Industrien mit Heiz-
material versieht; die staatlichen Werkstätten usw.
Die Arbeiter in diesen Berufen, also die Eisen-
bahner, die Arbeiter im Post-, Telegraphen= und
Telephondienst, die Bäcker, Fleischer, die länd-
lichen Arbeiter, die Bergleute, die Arbeiter in
öffentlichen Betrieben müssen sich stets bewußt sein,
daß sie Dienstleistungen verrichten, die nach einem
Ausdruck von Rodbertus „zum Leben des sozialen
Körpers notwendig sind“, und daß sie darum kraft
ihres Berufs der Gesellschaft in besonderem Maß
verpflichtet sind. Sie würden daher durch einen
Streik eine besonders schwere Verantwortung auf
sich laden, und wenn überall die Regel gelten muß,
daß nur aus einem sehr wichtigen Grund der Streik
beschlossen werden darf, so müssen die Arbeiter in
diesen Berufen mit allem Ernst sich die Frage
vorlegen, ob die Streikforderung und der even-
tuelle Erfolg in richtigem Verhältnis steht zu den
gesellschaftlichen Nachteilen, die der Streik in ihrer
Branche nach sich zieht. Ein Streik, für den nicht
die wichtigsten Gründe sprechen, wäre wegen des
in Frage stehenden allgemeinen Wohls unerlaubt.
Das Streikrecht diesen Arbeitern völlig abzu-
sprechen, ginge nun freilich zu weit; aber es er-
leidet infolge der Natur des Berufs eine Be-
schränkung. Als Ersatz dafür möge ihnen in
einigen Branchen beamtenähnliche Stellung, all-
gemein besserer Arbeiterschutz und ein leicht funk-
tionierendes Einigungs= und Schiedswesen zu teil
werden. — Wegen der großen Gefahr, die bei
einem Generalstreik der Gesamtheit wie dem
Staatswesen droht, erscheint diese Art Streik vom
Standpunkt der Moral als durchaus verwerflich.
Zusammenfassend können wir den Streik als
sittlich erlaubt hinstellen, wenn der Zweck ein ge-
rechter und billiger ist, wenn die Durchführung
keine Rechts= und Liebespflicht verletzt und wenn
der Streik, nachdem andere Versuche gescheitert
sind, als einziges Mittel noch übrig bleibt, zum
gewünschten Ziel zu kommen. Dieselben Grund-
sätze kommen auch bei dem sittlichen Urteil über
die Aussperrung zur Anwendung, und zwar auch
hier drei Personenkreisen gegenüber: den durch
die Aussperrung betroffenen Arbeitern, den mit-
aussperrenden Arbeitgebern und der Gesamtheit
gegenüber. Auf einige Besonderheiten sei hier
hingewiesen: Hinsichtlich der Arbeiter kann durch
Streik ufw.
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die Aussperrung viel leichter und häufiger die
Liebespflicht verletzt werden als beim Streik, da
beim ausgesperrten Arbeiter viel eher eine Notlage
eintritt als bei dem durch einen Streik heim-
gesuchten Unternehmer. Wenn Hunderte von Ar-
beitern plötzlich ausgesperrt werden und nicht so
bald Beschäftigung finden und auch nicht von
Kassen unterstützt werden, wie z. B. die Unorgani-
sierten, so stellt sich rasch für viele ein wirklicher
Notstand ein, der durch den Arbeitgeber verursacht
ist und, wie die Verhältnisse oft liegen, durch ihn
allein behoben werden kann. — Wenn der aus-
sperrende Arbeitgeber durch „schwarze Listen“ die
Ausgesperrten von Firmen desselben Gewerbes
fernzuhalten sucht, so ist das an und für sich kein
unerlaubtes Kampfmittel; es entspricht dem Fern-
halten von Zuzug seitens der Arbeiter beim Streik.
Wenn aber durch solche schwarze Listen mißliebige
Arbeiter dauernd verfemt und dauernd aus ihrer
berufsmäßigen Beschäftigung hinausgedrängt wer-
den, so verstößt das gegen die einfachsten Grund-
sätze der Gerechtigkeit. — Daß Unternehmer aus
Solidaritätsgefühl gegen andere Unternehmer wäh-
rend einer Aussperrung ähnliche physische Gewalt-
akte ausüben, wie Streikende gegen Streikbrecher,
ist durch die Lage der Verhältnisse ausgeschlossen.
Aber doch kann auch hier die Liebe verletzt werden,
wenn z. Bl kleineren Arbeitgebern zu ihrem großen
materiellen Schaden die gewohnte Beschäftigung
unmöglich gemacht wird, wie durch die Materialien=
sperre im Baugewerbe. — Daß die Unternehmer
in gewissen sozial besonders notwendigen Berufs-
arten zu denselben Rücksichtnahmen gegenüber der
Gesamtheit verpflichtet sind, wie die Arbeiter, und
durch eine Aussperrung eine hervorragend schwere
Verantwortung übernehmen, bedarf keiner Er-
örterung.
V. Vorbeugung und Schlichtung. Mit
dem Nachweis der unter gewissen Verhältnissen
nicht zu bezweifelnden Erlaubtheit von Streik und
Aussperrung soll natürlich kein Ansporn zu Ar-
beitskämpfen gegeben sein. Diese sind und bleiben
ein schwerer Übelstand und lassen stets auf anor-
male, krisenhafte Zustände im Innern der Gesell-
schaft schließen. Sie nach Kräften zu verhüten,
ist daher die Aufgabe aller in Betracht kommen-
den gesellschaftlichen Faktoren. Daß christliche
Gesinnung auf beiden Seiten und eine wahrhaft
christliche Auffassung von Arbeit und Person die
beste Gewähr ist für ein harmonisches Zusammen-
wirken von Kapital und Arbeit und für die Hintan-
haltung von Kämpfen, unterliegt keinem Zweifel.
Doch diese Wahrheit, die nie überall beachtet
wird, macht die mehr konkreten Mittel zur Streik-
verhütung nicht überflüssig. Als ein solches kommt
in erster Linie der die Ursachen von Arbeits-
kämpfen hebende staatliche Arbeiterschutz in Be-
tracht, auf den Papst Leo XIII. in seiner Enzy-
klika Rerum novarum nach der am meisten be-
rechtigten Deutung hinweist. Es heißt dort:
„Demgegenüber (dem Streik gegenüber) es ist am