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wirkungsvollsten und heilsamsten, durch die Auto-
rität der Gesetze vorzubeugen, um den Ausbruch
des Übels durch rechtzeitige Beseitigung der Ur-
sachen zu verhindern, die einen Konflikt zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeizuführen
drohen.“ Indes der Schwerpunkt alles Strebens
nach Beseitigung der Arbeitskonflikte ruht in dem
teils von privaten Personen und freien Berufs-
vereinigungen teils vom Staat ausgehenden
Einigungs= und Schiedsverfahren.
Die ersten derartigen Versuche traten in Eng-
land auf. 1860 schuf der Fabrikant und spätere
Minister Mundella für das Nottinghamer
Strumpfwirkergewerbe ein Einigungsamt, worin
sich Vertreter der Arbeitgeber und Arbeiter zu-
sammenfanden, um auf dem Weg der Verhand-
lung zu einem friedlichen Ausgleich zu gelangen.
Rupert Kettle ergänzte dieses Verfahren (zunächst
im Baugewerbe von Wolverhampton) durch Ein-
führung eines unparteiischen Vorsitzenden, der im
Fall, daß die Parteien sich nicht einigten, einen
Schiedsspruch fällte, dem sich beide Parteien ge-
mäß einer vorher eingegangenen vertragsmäßigen
Verpflichtung unterwerfen mußten. Nach diesen
beiden Grundtypen (Einigung und Schiedsspruch,
Conciliation and arbitration) haben sich in Eng-
land ganze Systeme von Vermittlungsinstitutionen
ausgebildet, namentlich im Kohlenbergbau und in
der Eisenindustrie. Diesen freien, aus dem Ge-
werbe selbst herausgewachsenen Vermittlungs-
ämtern gegenüber sind in England die auf gesetz-
lichen Maßnahmen beruhenden Versuche als künst-
liche Schöpfungen stets von geringer Bedeutung
geblieben. — In Deutschland und in andern
Ländern sind im Anschluß an die Arbeitstarif-
verträge in der Regel Einrichtungen geschaffen, die
nicht nur die Überwachung des Tarifs, sondern
auch die Verhütung und Schlichtung aller größe-
ren Interessenstreitigkeiten, der lokalen und der
weiter greifenden, zur Aufgabe haben. Sie sind
zwecks Einigung und Schiedsspruch den eng-
lischen Typen vielfach nachgebildet, haben diese
aber auch teilweise durch systematische und juristi-
sche Durchbildung übertroffen. Am besten organi-
siert ist das Einigungswesen im deutschen Buch-
druckergewerbe. — Auch der Staat hat nicht
unterlassen, öffentliche Einrichtungen zu schaffen,
die offene Kämpfe hintanhalten und schlichten
sollen. Die deutschen Gewerbegerichte entscheiden
nicht nur ihrer ursprünglichen Bestimmung ge-
mäß über Einzelstreitigkeiten, die sich aus dem
Arbeitsvertrag leicht ergeben, sie können auch zur
Schlichtung von allgemeinen Interessenstreitig-
keiten angerufen werden und eine einigungs- und
schiedsamtliche Wirksamkeit ausüben. Allerdings
steht ihnen weder das Recht zum Erscheinungs-
oder Verhandlungszwang, noch zur zwangsweisen
Durchführung des Schiedsspruchs zu. Ihre bis-
herige vermittelnde Tätigkeit hat keine glänzen-
den Erfolge aufzuweisen, aber ein erheblicher
Fortschritt ist nicht zu verkennen. Ahnliche Zwecke
Streik usw.
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werden auf gesetzlichem Weg zu erreichen gesucht
in Frankreich, Italien, Belgien, Holland, Schwe-
den, Norwegen, Dänemark und in verschiedenen
Schweizer Kantonen. — Im Gegensatz zu den er-
wähnten Institutionen hat man in Neuseeland und
in den australischen Kolonien die kühne Neuerung
gewagt, nicht nur die Verhandlung zu erzwingen,
sondern auch den gefällten Schiedsspruch mit ver-
bindlicher Kraft auszustatten. Die Bestimmungen
des Schiedsgerichtshofs erhalten hier öffentliche
Bedeutung und werden, indem die Staatsgewalt
hohe Geld= und Gesängnisstrafen anwendet,
zwingend für alle Mitglieder des Gewerbes, selbst
für diejenigen, die an den geschlichteten Streitig-
keiten nicht beteiligt waren. Eine gewisse Nach-
ahmung des australischen Musters findet sich im
Kanton Genf. Ein ähnliche Zwecke verfolgender
Entwurf des Handelsministers Millerand wurde
in Frankreich kein Gesetz. — Es kann hier nicht
unsere Aufgabe sein, die verschiedenen Formen des
Vermittlungswesens näher zu beschreiben und auf
ihren sozialen Wert hin zu prüfen. Als Richt-
linien für ihre Beurteilung mögen folgende
Grundsätze dienen: Die erste und wichtigste Vor-
bedingung für eine gedeihliche Vermittlungstätig-
keit ist, daß beide Parteien, Unternehmer und Ar-
beiter, in ihrer Gesamtheit von dem ehrlichen
Willen beseelt sind, als gleichberechtigte Faktoren
miteinander zu verhandeln und einen Interessen-
ausgleich herbeizuführen. Dieser soziale Ver-
ständigungswille ist das Geheimnis des Erfolgs,
der belebende Geist im Einigungswesen. Ein
weiteres Erfordernis ist die möglichst enge An-
passung an die Besonderheiten des einzelnen Ge-
werbes. Diese Forderung wird dadurch erfüllt,
daß, abgesehen von dem unparteiischen Obmann,
ausschließlich Fachmänner desselben Berufs an
der versöhnenden und richterlichen Tätigkeit teil-
nehmen. Weiterhin ist eine sorgfältige Rücksicht-
nahme auf die verschiedenen lokalen Verhältnisse
und die der Einzelbetriebe anzustreben. Die erste
Stufe des Einigungsverfahrens hätte demgemäß
am süglichsten der Arbeiterausschuß zu bilden, in
welchem der Unternehmer mit den Vertretern seiner
Arbeiterschaft kleine Anlässe zu Streitigkeiten prüft
und beseitigt. Als höhere Instanz würde eine
paritätisch zusammengesetzte örtliche Schlichtungs-
kommission wirken, die schwierigere und den
ganzen Bezirk angehende Streitfragen entscheidet.
Darüber steht als letzte Berufungsinstanz das
Einigungs- und Schiedsamt, das für das ganze
Gewerbe oder einen größeren Bezirk zuständig ist
und in wichtigen, das ganze Gewerbe betreffen-
den, prinzipiellen Fragen das letzte Wort spricht.
— Diie stärkste Gewähr für das segensreiche
Wirken eines Einigungsamts bietet das Verständ-
nis und Interesse innerhalb der beteiligten Kreise;
diejenigen Institutionen werden daher die besten
sein, die aus dem Verlangen der beiden Parteien
eines Gewerbes heraus entstanden sind. Nach den
bisher gemachten Erfahrungen vollzieht sich denn