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Theokratie.
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juristisch unklaren Versuch, dem selbstverständ-vgl. die treffenden Ausführungen bei Heiner, Der
lichen Gedanken Ausdruck zu geben, daß die Kirche
so wenig wie die Privatpersonen das Recht, Eigen-
tum zu besitzen, lediglich als „Precarium von
seiten des Staats genieße“ (vogl. Jellinek, Das
Recht des modernen Staats I2 468; dort auch
treffende Ausführungen über das Wesen der sou-
veränen Zuständigkeit des Staats auf seinem Ge-
biet und zugleich gegen die Uberspannung des
Souveränitätsbegriffs).
Treffend werden derartige juristischen Unklar-
heiten von dem Nestor der deutschen katholischen
Kanonisten, Lämmer, zurückgewiesen, indem er fol-
gendes ausführt. Gewiß hat „die Kirche ein ihr von
Natur eigenes, von Gott ihr gegebenes Recht zu
besitzen und das Recht, ihr Vermögen unabhängig
zu verwalten (Syllabus Nr 26) allein die göttliche
Rechtssubjektivität ist mit der zivilistischen nicht
zu konfundieren, das Moment der allgemeinen
natürlichen Rechtsfähigkeit von der Frage nach
den Voraussetzungen des Eigentumserwerbs zu
unterscheiden, der privatrechtliche Faktor nicht zu
ignorieren“ (Lämmer, Institutionen des kathol.
klar stellt deshalb Lämmer den Satz auf: „Das
Kirchengut, soweit Besitz, Erwerb, Eigentum,
Recht und Verbindlichkeiten privatrechtlicher Natur
in Frage kommen, steht unter dem Staatsgesetz“
(Lämmer a. a. O. 446). Zustimmend kann Läm-
mer folgende Ausführungen des Trierer General-
vikars Reuß erwähnen: „Gewisse Gebiete des
Zivilrechts, welche den Güterverkehr und die Ver-
träge und Verbindlichkeiten betreffen, gehören un-
bestritten zur Domäne des Staats; er kann hier
Anordnungen treffen, welchen die Kirche ohne
weiteres sich konformiert, wenngleich sie nach Aus-
weis des kanonischen Rechts in früheren Zeiten
unter ganz andern gesellschaftlichen Verhältnissen
auch selbst auf diesem Gebiet selbständig Dispo-
sitionen getroffen hat. Wenn heutzutage der Staat
z. B. eine bestimmte Form für den Erwerb und
die Veräußerung von Grundeigentum allgemein
vorschreibt, so beobachtet die Kirche diese Vor-
schriften ohne weiteres und trägt dann Bequemes
und Unbequemes wie alle andern“ (Reuß in der
Zeitschrift Pastor bonus 111889] 25; Lämmer
a. a. O. 641 A. 1).
Unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlichen
Exemtion geistlicher Personen und Dinge von
staatlicher Zuständigkeit können auch die privi-
legia fori et immunitatis aufgefaßt
werden; aber nicht jede private oder amtliche Ver-
teidigung dieser Privilegien geht von solchen hiero-
kratischen Anschauungen aus.
Das privilegium f(ori gewährt dem
Kleriker in Zivil= und Kriminalsachen einen eignen
Gerichtsstand vor dem geistlichen Richter. Der
Satz, dieser eigne geistliche Gerichtsstand müsse
unter allen Umständen abgeschafft werden, ist im
Syllabus von 1864 Nr 31 mit Recht verworfen
worden (gegenüber Mißdeutungen der Gegner
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl.
Syllabus (19051 162; über die mannigfache An-
wendbarkeit des privilegium fori auch in unsern
Tagen ders., Katholisches Kirchenrecht 1 ((1904!]
183/184). Eine hierokratische Auffassung des
privilegium fori ist damit nicht sanktioniert und
geboten. Auch der katholische Kanonist darf den
selbstverständlichen Satz vertreten: „An sich ge-
hören die rein bürgerlichen Rechtssachen der Kle-
riker vor das weltliche Gericht so gut wie die der
übrigen Untertanen“ (Sägmüller, Lehrbuch des
kathol. Kirchenrechts /21909| 218).
Noch jetzt ist allerdings das privilegium fori
in gewissem Umfang durch Exkommunikations=
androhung (Bulle „Apost. Sedis“ vom 12. Okt.
1869 1 7) strafrechtlich geschützt. Die Aufrecht-
erhaltung dieser Bestimmungen ist wohl ver-
ständlich als Reflex von Kämpfen, welche die
Kirche soeben mit unfertigen und rechtlich un-
sichern Staaten zu führen gehabt hatte (Neu-
Granada, Mexiko; vgl. Heiner, Syllabus 161).
In Ausübung seiner berechtigten Justizhoheit ist
der moderne Staat dadurch nicht gehindert. Für
Kirchenrechts I21892]) 446 A. 1). Klipp und
alle Fälle kennen die Kanonisten ausdrückliche oder
stillschweigende Zustimmung des Heiligen Stuhles
oder aber ein „entgegenstehendes Gewohnheits-
recht", wonach „bezüglich der rein bürgerlichen
Zivil= und Kriminalsachen das privilegium fori
als abrogiert zu betrachten ist“ (Heiner, Kirchen-
recht 14 182).
Eine Reihe kirchlicher Vorrechte — darunter
besonders die Steuerfreiheit — werden zusam-
mengefaßt unter dem Begriff der Immunität.
Zwischen den Theoretikern war darüber Streit,
ob diese Immunitäten ihren Ursprung im gött-
lichen oder menschlichen Recht haben. Man kann
sich mit Scherer (Handbuch des Kirchenrechts 1 398,
. 23) des Eindrucks nicht erwehren, daß in dieser
Frage sehr oft nur um Worte gestritten wurde.
Was unter bestimmten Verhältnissen als in der
Natur der Sache liegend erschien, das nannten
„nicht selten theologisierende Juristen Naturrecht
und dies wieder göttliches Recht“. In der Erklä-
rung von Satz 30 des Syllabus von 1864 sagt
Heiner zutreffend, daß die Immunitäten ihren
tiessten Grund hätten in „allgemein psychologi-
schen Gesichtspunkten“, „in der Rücksicht auf die
Religion“ und „das religiöse Gefühl“ (Heiner,
Syllabus 157).
Gereifen wir aus den Immunitäten die Steuer-
freiheit heraus, so kann es — abgesehen von histo-
risch überkommenen Vorrechten — sehr wohl in
der Natur der Sache begründet liegen, daß be-
stimmte kirchliche und religiöse Institute Steuer-
freiheit genießen. Es kann aber auch ebensowohl
bei vollster Würdigung der religiösen und kirch-
lichen Interessen aus finanzpolitischen, sozialpoli-
tischen und nicht zuletzt sozialpsychologischen Grün-
den angebracht sein, daß das Einkommen geist-
licher Personen und Institute der allgemeinen
Steuer gleichmäßig unterliegt. Die ganze Steuer-
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