Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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fessoren vorgetragenen Lehren zu überwachen. Die 
zweite Befugnis ergibt sich unmittelbar aus dem 
Prinzip der kirchlichen Sendung, da die Gesandten 
stets von dem Sendenden abhängig bleiben. In 
der Praxis ist jedoch die Kontrolle der Bischöfe 
über die Lehrtätigkeit der Universitätsprofessoren, 
z. B. durch Besuch der Vorlesungen, nur schwer 
durchführbar, und faktisch wird das Visitations- 
recht gar nicht ausgeübt. Vgl. Rede des Kardinals 
Kopp im preußischen Herrenhaus vom 7. April 
1911. Um so mehr Gewicht ist deshalb auf die 
Erteilung der missio canonica zu legen, damit 
nur solche Männer zum Lehramt berufen werden, 
die das unbedingte Vertrauen der kirchlichen Be- 
hörde besitzen. Eine positive Designation der 
Kandidaten seitens der Bischöfe ist jedoch selbst- 
verständlich ausgeschlossen. Endlich sind 3) die 
Professoren der Theologie in ihrer Eigenschaft 
als Geistliche den kirchlichen Disziplinarvorschrif- 
ten über die vita et honestas clericorum unter- 
worfen. , 
Die staatlichen Gesetze haben den erwähnten 
kanonischen Forderungen nach allen drei Rich— 
tungen hin in den wesentlichsten Punkten Folge 
gegeben. Da jedoch eine erschöpfende Darstellung 
der staatlichen Vorschriften an dieser Stelle un- 
möglich ist, kann ich die These nur durch einige 
exemplifikatorische Belege erhärten. Die Statuten 
der katholisch-theologischen Fakultät zu Bonn vom 
18. Okt. 1834 bestimmen in § 4: 1) Die An- 
stellung eines Professors und die Zulassung eines 
Privatdozenten der katholischen Theologie sollen 
nicht erfolgen ohne vorhergegangene Rückfrage bei 
dem erzbischöflichen Stuhl, der berechtigt ist, wegen 
erheblicher, die Lehre oder den Lebenswandel des 
in Vorschlag Gebrachten betreffenden Bedenken 
die Anstellung oder Zulassung desselben abzu- 
lehnen. 2) Sollte wider Verhoffen ein der katho- 
lisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in 
seinen Vorlesungen oder in Schriften der katho- 
lischen Glaubens= und Sittenlehre zu nahe treten, 
oder auf andere Art in sittlich-religiöser Beziehung 
ein auffallendes Argernis geben, so ist der erz- 
bischöfliche Stuhl befugt, hiervon Anzeige zu 
machen, und das Ministerium wird auf Grund 
einer solchen Anzeige mit Ernst und Nachdruck 
einschreiten und Abhilfe leisten. 3) Uberhaupt steht 
die katholisch-theologische Fakultät, insoweit die 
katholische Kirche an der Wirksamkeit derselben be- 
teiligt ist, unter der geistlichen Aufsicht des Erz- 
bischofs. Dieser hat das Recht, sie, so oft es ihm 
gut scheint, zu visitieren oder visitieren zu lassen; 
die halbjährigen Lektionsverzeichnisse müssen ihm 
vorgelegt werden, und die Fakultät ist gehalten, 
die Bemerkungen desselben über rein theologische 
Gegenstände ehrerbietig aufzunehmen und nach 
Moglichkeit zu beachten. Der bischöflichen Auf- 
sicht unterstehen die Mitglieder der Fakullät auch 
in ihrer Eigenschaft als katholische Geistliche, und 
der Erzbischof ist berechtigt, in den Fällen, wo 
wider diese Eigenschaft verstoßen wird, mit Vor- 
Theologische Fakultäten. 
  
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wissen des Ministeriums die geeignete Zurecht- 
weisung eintreten zu lassen. Ferner muß nach § 26 
der Statuten jeder Dozent vor dem Antritt seines 
Amts die professio Tridentina in die Hand des 
Dekans ablegen. 
Mit den Bonner Fakultätssatzungen stimmen 
die für Breslau vom 13. Sept. 1840 wörtlich 
und die für Münster vom 31. März 1906 dem 
wesentlichen Inhalt nach überein. Bei Errichtung 
der theologischen Fakultät zu Straßburg sind in 
der Konvention mit dem päpstlichen Stuhl vom 
5. Dez. 1902 für das Verhältnis der Fakultät 
zum Bischof von Straßburg die Bestimmungen 
von Bonn und Breslau einfach übernommen wor- 
den. Außerdem enthält die Vereinbarung die beiden 
Sonderbestimmungen, daß 1) die Ernennung der 
Professoren nach vorherigem Einvernehmen mit 
dem Bischof erfolgt (Art. 3) und 2) die Regierung 
verpflichtet ist, für einen wegen mangelnder Recht- 
gläubigkeit oder wegen gröblicher Anstöße gegen 
die Erfordernisse des priesterlichen Lebenswandels 
zur weiteren Ausübung seines Lehramts unfähig 
gewordenen Professor alsbald Ersatz zu schaffen 
und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, 
daß seine Beteiligung an den Geschäften der Fa- 
kultät aufhört (Art. 5). . 
Bei den süddeutschen Fakultäten sind die Rechte 
der Bischöfe nicht mit derselben Genauigkeit gesetz- 
lich festgelegt: jedoch stimmt die Praxis im allge- 
meinen mit der Norm der preußischen Fakultäten 
überein. Am meisten entsprechen die staatlichen 
Vorschriften für die österreichischen Fakultäten dem 
kanonischen Recht, da hier den Bischöfen expressis 
verbis die Erteilung einer jederzeit revokabeln 
missio canonica an die Lehrer der Theologie 
zugestanden ist (ogl. Verordnungen vom 23. April 
1850 und vom 29. März 1858). 
Im Gegensatz zu den konfessionslosen Universi- 
täten haben die katholisch-theologischen Fakultäten, 
wie schon der Name sagt, einen streng konfessio- 
nellen Charakter. Als Professoren der theologischen 
Fakultäten können nach geltendem Recht nur katho- 
lische Geistliche der höheren Weihegrade angestellt 
werden. Ebenso ist aber aus dem konfessionellen 
Charakter der Fakultäten die Schlußfolgerung zu 
ziehen, daß nur Mitglieder der katholischen Kirche 
als Studierende bei der theologischen Fakultät 
immatrikuliert werden dürfen, während selbstver- 
ständlich das Belegen der Vorlesungen allen Stu- 
dierenden der Universität gestattet ist. 
Die konfessionelle Eigenschaft der theologischen 
Fakultäten ist kein Grund, ihr die Existenzberech- 
tigung an den staatlichen Universitäten abzu- 
sprechen. Denn solange an den Volksschulen und 
den Mittelschulen ein staatlich angeordneter Reli- 
gionsunterricht erteilt wird, ebenso lange ist es 
vom Standpunkt des Staatsrechts aus angezeigt, 
daß auch die höchste Form des religiösen Unter- 
richts an den Staatsanstalten erteilt werde. „Die 
theologische Staatsfakultät ist nur der Gipfel- 
punkt des staatlichen Religionsunterrichts, und 
 
	        
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