Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Was die Staatstheorie des hl. Thomas 
anlangt, so bildet für sie der Aristotelische Satz, 
daß der Mensch von Natur aus auf die staatliche 
Gemeinschaft hingeordnet sei, einen der Kardinal- 
punkte. Dieser natürlichen Bestimmung entspricht 
im Menschen ein natürlicher Trieb. Da nun aber 
ein Zusammenleben vieler nicht bestehen könnte 
ohne Regierung, so ist ein Oberhaupt notwendig, 
welches das Gemeinwohl im Auge hat. Denn 
viele würden aus sich eine Zersplitterung der In- 
teressen herbeiführen, während sie durch einen auf 
ein Ziel hingelenkt werden. Dem hl. Thomas 
steht dies so fest, daß er eine politische Ordnung 
mit einer Obrigkeit an der Spitze auch für den 
paradiesischen Zustand voraussetzt (a. a. O. 1, 
d. 96, a. 4; 1, 2, q. 94, a. 2 corp.). 
Die beste Regierungsform sieht Thomas im 
Königtum, wie die schlechteste in der Tyrannis. 
Die Monarchie, welche ihm als Ideal vorschwebt, 
schließt aber eine Verbindung der drei von Ari- 
stoteles als gut bezeichneten Regierungsformen, 
nämlich des Königtums, der Aristokratie und 
Politie, in sich. Sie stellt sich dar als eine Art 
konstitutionelle Wahlmonarchie mit dem aus dem 
Volk und von dem Volk nach Maßgabe seiner 
Tüchtigkeit gewählten König an der Spitze, 
welchem sich ein Kreis von nach dem gleichen Ge- 
sichtspunkt kreierten Aristokraten, deren Befugnisse 
Thomas nicht näher bezeichnet, anschließt. Eine 
solche Staatsverfassung gewährt auch der Gesamt- 
heit des Volks dadurch, daß sie ihm aktives und 
passives Wahlrecht einräumt, eine gewisse Teil- 
nahme an der Regierung. Von ihr verspricht er 
sich daher am meisten Garantie für den Frieden 
eines Volks; für sie erwartet er das Interesse und 
den Schutz der Gesamtheit (a. a. O. 1, 2, q. 105, 
1 
a. 1). 
Es ist der Versuch gemacht worden, aus den 
wenigen auf das Staatswesen bezüglichen Auße- 
rungen des hl. Thomas seine bestimmte Ansicht 
über die nächsten und unmittelbaren Ursachen für 
die Bildung des Staats und den Besitz der Staats- 
gewalt festzustellen; namentlich wollte man bei 
ihm bereits die von späteren Scholastikern ver- 
teidigte Lehre der „Vertrags= und Übertragungs- 
theorie“ finden. Allein dazu scheinen die aus- 
reichenden Gründe zu fehlen (vgl. Cathrein, Mo- 
ralphilosophie II11 416). 
Thomas von Agquin. 
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„einem in der sittlichen Weltordnung begründeten 
Zweck“; die Gewalt, sollte sie auch zunächst vom 
Volk auf einzelne übertragen werden, hat ihre 
letzte Quelle in Gott. An sein ewiges Gesetz ist 
und bleibt der Mensch gebunden. Bei Rousseau 
erscheint dagegen das souveräne Volk als völlig 
unabhängiger und freier Schöpfer von Staat, 
Gewalt und Recht. Und wie von den staats- 
theoretischen Prinzipien, so gelingt es auch nicht, 
von irgend welchen Konsequenzen aus eine Brücke 
zu schlagen von Thomas bis zu Nousseau hin. 
Seine Anschauungen über Obrigkeit und Unter- 
tanenpflicht gestatten ihm nicht, ein „Recht der 
Revolution" zu proklamieren, wie ihm z. B. Bau- 
mann und Ritschl bei unkritischer Benutzung seiner 
Schriften imputieren (vl. v. Hertling a#: a. O. 29). 
Mit Hinweis auf Nöm. 13 bezeichnet er den Ge- 
horsam gegen die von Gott stammende Obrigkeit 
als Gewissenspflicht, die nur dann nicht vorhan- 
den ist, wenn von einer rechtmäßigen Herrschaft 
gar nicht die Rede sein kann, oder wenn die recht- 
mäßige Obrigkeit befiehlt, was dem göttlichen 
Gesetz zuwiderläuft, oder wenn sie zwar keine 
Sünde befiehlt, aber verlangt, was nicht in ihrer 
Kompetenz liegt. Indes auch in dem zuletzt ge- 
nannten Fall kann der Gehorsam geradezu zur 
Pflicht werden, wenn durch das Gegenteil das 
Gemeinwohl gefährdet wäre. Diese Pflicht leitet 
sich selbstverständlich „alsdann nicht aus der 
autoritativen Stellung der Obrigkeit, sondern aus 
dem obersten und bleibenden Zweck, der Aufrecht- 
erhaltung der staatlichen Ordnung“, her (S. theol. 
, 2, d. 94, a. 4). Wer seinen Blick über die 
Sonderinteressen hin so unverrückbar auf das all- 
gemeine Wohl und die höchsten Zwecke der staat- 
lichen Gesellschaft gerichtet hält, kann selbstver- 
ständlich eine Empörung des Volks gegen die 
Obrigkeit als Angriff auf die Einigkeit und den 
Frieden eines Gemeinwesens nur zum schweren 
Verbrechen stempeln (a. a. O. 2, 2, q. 42, a. 1. 2). 
Als aufrührerisch erscheint es Thomas aber auch, 
wenn ein Tyrann zur Sicherung seiner Herrschaft 
Zwietracht und Aufstände (seditiones) nährt. 
Wer durch Gewalt die Herrschaft an sich reißt, 
wird in Wahrheit nicht zum Herrscher. Eine der- 
artige Herrschaft kann deshalb zurückgewiesen wer- 
den (Comm. in 2 Sent. d. 44, q. 1, a. 2; 
S. theol. 2, 2, d. 42, a. 2 ad 3). 
Über die Wirtschaftslehre finden sich beim 
— 
  
Was soll aber dazu gesagt werden, daß man 
bei Thomas von Aquin die Keime zu der späteren hl. Thomas nur gelegentliche Außerungen, zu denen 
Theorie der Volkssouveränität entdeckt haben will, ihn seine ethischen und politischen Erörterungen 
daß man behauptet, der Revolutionsphilosoph veranlaßten, wie auch seine Beteiligung am Men- 
Rousseau gehöre einer Reihe von Vertretern der dikantenstreit. Darin besteht nach ihm wirtschaftlich 
Staats= und Rechtslehre an, „an deren Anfang der Unterschied von Mensch und Tier, daß der 
wir Gratian und Thomas von Aquin finden“ Mensch arbeiten muß, um sein Leben zu fristen. 
(Alb. Ritschl, Drei akademische Reden 62)! Nur Eine ausreichende Deckung seines Bedarfs er- 
bei dem Hinwegsehen über diametrale Gegensätze möglicht ihm aber nur die Arbeit vieler, so daß 
können sich solche Kombinationen ergeben. Bei das Prinzip der Arbeitsteilung sich als natürlich 
Thomas ist der Mensch von Natur aus auf den und notwendig erweist und die Berufsarbeit jedes 
Staat hingeordnet; mit Notwendigkeit vereinigen einzelnen sich als dessen gottgewolltes Amt ergibt. 
sich die einzelnen zu staatlicher Gemeinschaft als Hierdurch ist der sittliche Wert jeglicher Arbeit im 
 
	        
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