Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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können heutzutage über ein Land ebensowenig 
durch der Zustimmung der verfassungsmäßigen 
Vertretungskörper entbehrende vertragliche Ver- 
fügung des Souveräns, wie durch ein derartiges 
Testament eines solchen Bestimmungen getroffen 
werden; wenn dem aber auch gegenwärtig so ist, 
so haben doch früher gültig eingegangene Ver- 
bindlichkeiten der Art noch immer bindende Kraft. 
Zu den Zeiten des Römischen Reichs deutscher 
Nation war es nämlich anerkannt, daß betreffs 
der allodialen Gebiete die Thronfolge sowohl 
durch Erbverträge als durch sog. Erbverbrüde- 
rungen, d. h. durch Übereinkünfte, vermittelst deren 
sich reichsständische Familien wechselseitig ein 
Thronfolgerecht in ihre Länder einräumten, gültig 
geordnet werden könne. Bei den zu Lehen ge- 
gebenen Gebieten war eine solche Reglung der 
Nachfolge indessen nur gültig, wenn auch der 
Lehnsherr, also insbesondere der Kaiser, seine Ein- 
willigung erteilte. Das Recht, über ein Land der- 
art zu verfügen, war anfangs in der Form aus- 
geübt worden, daß der letzte Besitzer, mit dem die 
Thronfolgeberechtigten erloschen, eine solche An- 
ordnung traf. Alsdann kamen auch Erbverträge 
und Erbverbrüderungen auf, mittels deren schon 
der erste Erwerber eines Gebiets für den Fall des 
Aussterbens seiner Nachkommenschaft über das- 
selbe Verfügung traf, wie denn derartige Ab- 
machungen auch durch die Zustimmung der ge- 
samten erbberechtigten Mitglieder des betreffenden 
Hauses rechtlich wirksam werden konnten. Solche 
Erbverbrüderungen kamen vornehmlich bei den- 
jenigen regierenden Familien vor, in welchen der 
Weibsstamm kein Thronfolgerecht besaß, weil in 
solchen Häusern ein Erlöschen der zur Nachfolge 
berufenen Nachkommenschaft eher zu befürchten 
stand. Schritt man auch in Herrscherhäusern, 
welche das Thronfolgerecht des Weibsstammes 
anerkannten, nichtsdestoweniger zur Errichtung 
solcher Verträge, so war natürlich auch die Mit- 
wirkung der eventuell zur Nachfolge berufenen 
Nachkommen erforderlich. Kam ein Erbvertrag 
oder eine Erbverbrüderung gültig zustande, so 
wurde dadurch für den vertragsmäßig eingesetzten. 
Erben wie für das mit Erbrecht ausgestattete 
fürstliche Haus ein unentziehbares Thronfolge- 
recht begründet. Die Mitwirkung der Landstände 
der betreffenden Gebiete war zur Reichszeit bei 
der Abfassung derartiger Übereinkünfte nach ge- 
meinem Recht nicht notwendig. Die Anwendbar- 
keit dieser Grundsätze hat durch das Aufhören des 
alten Reichsverbands keine Anderung erfahren. 
Nur muß in den Staaten, in welchen für den Fall 
des Erlöschens des regierenden Hauses die ver- 
fassungsmäßige Bestimmung getroffen ist, daß die 
Thronfolge nur mit Zustimmung der Volks- 
vertretung geordnet werden könne, selbstverständ- 
lich die Mitwirkung dieser letzteren in Anspruch, 
genommen werden. Ist in den Verfassungen eine 
solche Mitwirkung ausdrücklich als nicht erforderlich 
bezeichnet, wie das in Bahern und im Königreich! 
Thronfolge. 
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Sachsen der Fall ist, so kann davon natürlich Um- 
gang genommen werden. Diesistaber in denjenigen 
Staaten nicht zulässig, in welchen die Verfassung 
über diesen Punkt stillschweigt. In diesen kann 
ebensowenig wie durch Testament, durch Erb- 
verträge oder Erbverbrüderungen ohne Zustim- 
mung der verfassungsmäßigen Volksvertretung ein 
Thronfolgerecht begründet werden. Ubrigens 
können auch da, wo die regierenden Häuser hin- 
sichtlich des Abschlusses derartiger Verträge selb- 
ständig vorgehen dürfen, gewisse Beschränkungen 
bestehen. So bestimmt z. B. die bayrische Ver- 
fassung vom Jahr 1818, daß eine Erbverbrüde- 
rung nur miteinem andern fürstlichen Haus aus dem 
„Deutschen Bund“ geschlossen werden dürfe. Auch 
wurde es zur Zeit des Bestehens dieses Bunds 
überhaupt als ausgeschlossen betrachtet, daß ein 
demselben nicht angehörendes regierendes Haus 
durch einen derartigen Vertrag zur Thronfolge in 
einem zu diesem Bund gehörigen Land gelangen 
könne, wenn nicht die Zustimmung sämtlicher 
Bundeemitglieder in der Bundesversammlung da- 
zu erteilt wurde. Das gilt natürlich auch von den 
dem neuen Deutschen Reich angehörenden Staaten, 
und um so mehr, da das sie zusammenhaltende 
Band ein viel stärkeres ist, als es der alte deutsche 
Bundesverband war. 
Endlich bestand in den früheren Zeiten für den 
Fall des Erlöschens eines regierenden Hauses noch 
ein anderer Titel des Thronfolgerechts: derjenige, 
welcher aus Samtbelehnungen (Belehnungen zur 
gesamten Hand), Eventualbelehnungen oder Lehns- 
versprechen (einfache Lehnsanwartschaften oder 
Lehnsexspektanzen) hergeleitet wurde. Unter Samt- 
belehnung versteht man die gewissen Personen zum 
Zweck der UÜbertragung eines Thronfolgerechts 
gewährte Aufnahme in die Investitur des Haupt- 
vassallen und in ihre Erneuerungen, während durch 
die Eventualbelehnung ein dingliches Recht auf 
die Nachfolge in das betreffende lehnbare Gebiet 
erteilt, durch eine einfache Lehnsanwartschaft aber 
nur ein persönlicher Rechtsanspruch gegen den den- 
selben verleihenden Lehnsherrn und höchstens auch 
gegen dessen Erben eingeräumt wird. Was nun 
die Eventualbelehnungen und die einfachen Lehns- 
anwartschaften anbelangt, so sind die daraus ab- 
geleiteten Erbfolgerechte durch die Auflösung des 
Lehnsverbands, in dem die betreffenden Staaten 
standen, und insonderheit durch das Aufhören des 
allen Deutschen Reichs im Jahr 1806 als er- 
loschen zu betrachten. Es kann also eine Berech- 
tigung der Eventualbelehnten und der Lehns- 
anwärter, die nunmehr ihre Länder als Allod 
besizenden regierenden Familien in der Verfügung 
über die im Fall ihres Erlöschens einzuhaltende 
Erbfolge in die Regierungsgewalt zu ihren Gunsten 
zu beschränken, nicht mehr als begründet angesehen 
werden. Waren doch die Eventualbelehnungen 
und Anwartschaften nur für den Fall erteilt 
worden, daß das Lehen dem Lehnsherrn anheim- 
fiele. Dieser war es, welcher unter der Voraus- 
 
	        
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