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können heutzutage über ein Land ebensowenig
durch der Zustimmung der verfassungsmäßigen
Vertretungskörper entbehrende vertragliche Ver-
fügung des Souveräns, wie durch ein derartiges
Testament eines solchen Bestimmungen getroffen
werden; wenn dem aber auch gegenwärtig so ist,
so haben doch früher gültig eingegangene Ver-
bindlichkeiten der Art noch immer bindende Kraft.
Zu den Zeiten des Römischen Reichs deutscher
Nation war es nämlich anerkannt, daß betreffs
der allodialen Gebiete die Thronfolge sowohl
durch Erbverträge als durch sog. Erbverbrüde-
rungen, d. h. durch Übereinkünfte, vermittelst deren
sich reichsständische Familien wechselseitig ein
Thronfolgerecht in ihre Länder einräumten, gültig
geordnet werden könne. Bei den zu Lehen ge-
gebenen Gebieten war eine solche Reglung der
Nachfolge indessen nur gültig, wenn auch der
Lehnsherr, also insbesondere der Kaiser, seine Ein-
willigung erteilte. Das Recht, über ein Land der-
art zu verfügen, war anfangs in der Form aus-
geübt worden, daß der letzte Besitzer, mit dem die
Thronfolgeberechtigten erloschen, eine solche An-
ordnung traf. Alsdann kamen auch Erbverträge
und Erbverbrüderungen auf, mittels deren schon
der erste Erwerber eines Gebiets für den Fall des
Aussterbens seiner Nachkommenschaft über das-
selbe Verfügung traf, wie denn derartige Ab-
machungen auch durch die Zustimmung der ge-
samten erbberechtigten Mitglieder des betreffenden
Hauses rechtlich wirksam werden konnten. Solche
Erbverbrüderungen kamen vornehmlich bei den-
jenigen regierenden Familien vor, in welchen der
Weibsstamm kein Thronfolgerecht besaß, weil in
solchen Häusern ein Erlöschen der zur Nachfolge
berufenen Nachkommenschaft eher zu befürchten
stand. Schritt man auch in Herrscherhäusern,
welche das Thronfolgerecht des Weibsstammes
anerkannten, nichtsdestoweniger zur Errichtung
solcher Verträge, so war natürlich auch die Mit-
wirkung der eventuell zur Nachfolge berufenen
Nachkommen erforderlich. Kam ein Erbvertrag
oder eine Erbverbrüderung gültig zustande, so
wurde dadurch für den vertragsmäßig eingesetzten.
Erben wie für das mit Erbrecht ausgestattete
fürstliche Haus ein unentziehbares Thronfolge-
recht begründet. Die Mitwirkung der Landstände
der betreffenden Gebiete war zur Reichszeit bei
der Abfassung derartiger Übereinkünfte nach ge-
meinem Recht nicht notwendig. Die Anwendbar-
keit dieser Grundsätze hat durch das Aufhören des
alten Reichsverbands keine Anderung erfahren.
Nur muß in den Staaten, in welchen für den Fall
des Erlöschens des regierenden Hauses die ver-
fassungsmäßige Bestimmung getroffen ist, daß die
Thronfolge nur mit Zustimmung der Volks-
vertretung geordnet werden könne, selbstverständ-
lich die Mitwirkung dieser letzteren in Anspruch,
genommen werden. Ist in den Verfassungen eine
solche Mitwirkung ausdrücklich als nicht erforderlich
bezeichnet, wie das in Bahern und im Königreich!
Thronfolge.
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Sachsen der Fall ist, so kann davon natürlich Um-
gang genommen werden. Diesistaber in denjenigen
Staaten nicht zulässig, in welchen die Verfassung
über diesen Punkt stillschweigt. In diesen kann
ebensowenig wie durch Testament, durch Erb-
verträge oder Erbverbrüderungen ohne Zustim-
mung der verfassungsmäßigen Volksvertretung ein
Thronfolgerecht begründet werden. Ubrigens
können auch da, wo die regierenden Häuser hin-
sichtlich des Abschlusses derartiger Verträge selb-
ständig vorgehen dürfen, gewisse Beschränkungen
bestehen. So bestimmt z. B. die bayrische Ver-
fassung vom Jahr 1818, daß eine Erbverbrüde-
rung nur miteinem andern fürstlichen Haus aus dem
„Deutschen Bund“ geschlossen werden dürfe. Auch
wurde es zur Zeit des Bestehens dieses Bunds
überhaupt als ausgeschlossen betrachtet, daß ein
demselben nicht angehörendes regierendes Haus
durch einen derartigen Vertrag zur Thronfolge in
einem zu diesem Bund gehörigen Land gelangen
könne, wenn nicht die Zustimmung sämtlicher
Bundeemitglieder in der Bundesversammlung da-
zu erteilt wurde. Das gilt natürlich auch von den
dem neuen Deutschen Reich angehörenden Staaten,
und um so mehr, da das sie zusammenhaltende
Band ein viel stärkeres ist, als es der alte deutsche
Bundesverband war.
Endlich bestand in den früheren Zeiten für den
Fall des Erlöschens eines regierenden Hauses noch
ein anderer Titel des Thronfolgerechts: derjenige,
welcher aus Samtbelehnungen (Belehnungen zur
gesamten Hand), Eventualbelehnungen oder Lehns-
versprechen (einfache Lehnsanwartschaften oder
Lehnsexspektanzen) hergeleitet wurde. Unter Samt-
belehnung versteht man die gewissen Personen zum
Zweck der UÜbertragung eines Thronfolgerechts
gewährte Aufnahme in die Investitur des Haupt-
vassallen und in ihre Erneuerungen, während durch
die Eventualbelehnung ein dingliches Recht auf
die Nachfolge in das betreffende lehnbare Gebiet
erteilt, durch eine einfache Lehnsanwartschaft aber
nur ein persönlicher Rechtsanspruch gegen den den-
selben verleihenden Lehnsherrn und höchstens auch
gegen dessen Erben eingeräumt wird. Was nun
die Eventualbelehnungen und die einfachen Lehns-
anwartschaften anbelangt, so sind die daraus ab-
geleiteten Erbfolgerechte durch die Auflösung des
Lehnsverbands, in dem die betreffenden Staaten
standen, und insonderheit durch das Aufhören des
allen Deutschen Reichs im Jahr 1806 als er-
loschen zu betrachten. Es kann also eine Berech-
tigung der Eventualbelehnten und der Lehns-
anwärter, die nunmehr ihre Länder als Allod
besizenden regierenden Familien in der Verfügung
über die im Fall ihres Erlöschens einzuhaltende
Erbfolge in die Regierungsgewalt zu ihren Gunsten
zu beschränken, nicht mehr als begründet angesehen
werden. Waren doch die Eventualbelehnungen
und Anwartschaften nur für den Fall erteilt
worden, daß das Lehen dem Lehnsherrn anheim-
fiele. Dieser war es, welcher unter der Voraus-