Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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sammenrottungen bewirkt worden ist (§ 167 des 
Strafgesetzes). 6) Verbrechen gegen § 4 des 
Sprengmittelgesetzes vom 27. Mai 1885, wenn 
durch die Tat der Tod eines Menschen verursacht 
wurde und der Täter diesen Erfolg voraussehen 
konnte. 
Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungs- 
gebiets der Todesstrafe findet statt bei Eintritt des 
Kriegsrechts und des standrechtlichen Verfahrens, 
sowie auch im Militärstrafrecht. Das deutsche 
Militärstrafgesetzbuch droht die Todesstrafe in 10 
Fällen ausschließlich, in 8 Fällen wahlweise neben 
andern Strafen an. 
Die Vollstreckung der Todesstrafe, die 
früher die mannigfachsten Formen annahm und 
oft mit grausamen Schärfungen verbunden war, 
pflegt heute möglichst human gestaltet zu werden. 
Im Deutschen Reich ist allgemein die Enthaup- 
tung vorgeschrieben (§ 13 St. G. B.). Das Nähere 
ist der landesrechtlichen Reglung überlassen: in 
den altpreußischen Provinzen wird die Enthaup- 
tung vollzogen durch das Beil; durch die Guillo- 
tine in der Rheinprovinz, in Hessen-Darmstadt, 
Sachsen, Bayern, Frankfurt, Baden, Weimar, 
Schwarzburg-Sondershausen, Sachsen-Coburg 
und Hannover. In Osterreich-Ungarn, England, 
Rußland und einigen der Vereinigten Staaten er- 
folgt die Hinrichtung durch den Strang, in Spa- 
nien durch die Garrotte. Im Staat Neuyork wurde 
in neuester Zeit die Elektrizität als Tötungsmittel 
angewandt. Nach Kriegs= und Standrecht findet 
der Vollzug der Todesstrafe sehr häufig durch Er- 
schießen statt. Für die deutschen Kolonien kommen 
neben der Enthauptung noch andere, eine Schär- 
fung nicht enthaltende Vollzugsarten (Erschießen, 
Erhängen) in Betracht. Wohl in den meisten 
Staaten ist heute die Intramuranhinrichtung (in 
einem umschlossenen Raum bei beschränkter Offent- 
lichkeit) eingeführt (ugl. für Deutschland § 486 
St. P.O.) 
Die Hauptstaaten Europas: das Deutsche 
Reich, Osterreich, Frankreich, England und Nuß- 
land haben die Todesstrafe zwar beibehalten, ihre 
Vollstreckung aber sehr eingeschränkt. Die Bedenken 
gegen die Todesstrase sind damit entschieden ver- 
mindert; nur in den allerschwersten und zweifel- 
losesten Fällen wird sie vollstreckt. Das Begnadi- 
gungsrecht bietet zudem ein gewisses Sicherheits- 
ventil gegen unbillig oder bedenklich erscheinende 
Hinrichtungen; so darf in Deutschland die Voll- 
streckung immer erst stattfinden, nachdem der 
Souverän ausdrücklich erklärt hat, von jenem Recht 
liinen Gebrauch machen zu wollen (8 485 St.- 
IV. Strafrechtsreform. Auch der Vorentwurf 
zu einem neuen deutschen Strasgesetzbuch (Berlin 
1909, vgl. Begründung 23 ff) behölt die Todes- 
strafe bei, jedoch mit der wichtigen Modifikation, 
daß sie auf gemeinen Mord nicht mehr ausschließ- 
lich angedroht, sondern daneben bei mildernden 
Umständen lebenslängliche Zuchthausstrafe oder 
Togo — Toleranz. 
  
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Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren vorgesehen 
wird (§ 212). Anderseits schlägt der Entwurf die 
absolute Androhung der Todesstrafe auch weiter- 
hin vor im schwersten Fall des Hochverrats, der 
künftig bei jedem Angriff auf das Leben des 
Kaisers, eines andern Bundesfürsten oder des Re- 
genten eines Bundesstaats gegeben sein soll 
(§ 100). Ausgeschlossen wird die Todesstrafe nicht 
nur, wie bisher, bei jugendlichen, sondern auch bei 
vermindert zurechnungsfähigen Verbrechern. Der 
österreichische Vorentwurf (Wien 1909) behält 
gleichfalls die Todesstrafe bei, beschränkt sie jedoch 
auf die schwersten Fälle des Hochverrats und des 
Mords. Der Vorentwurf zu einem Schweizerischen 
Strafgesetzbuch (neueste Fassung von 1908) sieht 
die Todesstrafe nicht mehr vor. In Frankreich 
wurde im Jahr 1906 ein auf ihre Beseitigung ge- 
richteter Gesetzentwurf der Deputiertenkammer vor- 
gelegt, jedoch von dieser am 8. Dez. 1908 ver- 
worfen. 
In der Literatur wurde der Kampf gegen die 
T. eröffnet u. mit besonderer Schärfe geführt durch 
Beccaria, Dei delitti e delle pene (1764) in Italien 
u. Sonnenfels in Osterreich. Als Verteidiger sind 
vornehmlich zu nennen Montesquien, Rousseau, 
Justus Möser, Eichhorn, Kant u. Hegel. Von den 
zahlreichen neueren Schriftstellern, die sich ex pro- 
fesso mit der Frage befaßten, seien erwähnt als 
Gegner der T.: Berner, Abschaffung der T. (1861); 
ders., Lehrbuch des deutschen Strafrechts (6 1898) 
194 ff; Hetzel, Die T. in ihrer kulturgeschichtlichen 
Entwicklung (1870); v. Holtzendorff, Das Ver- 
brechen des Mords u. die T. (1875); als Vertei- 
diger: Pfotenhauer, Die T. (1863); ders., Apho- 
rismen (1869); Beyerle, über die T. (1867); 
Kuntze, über die T. (1869); Katzenstein, Die T. in 
einem neuen Reichsstrafgesetzbuch (1902). Weiteres 
wertvolles Quellen= u. Lileraturmaterial in der 
Anlage 2 zu den Motiven des Entwurfs eines 
Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund (über 
die T. 1869]); im Art. „T.“ in v. Holtzendorffs 
Rechtslexikon (31881); ferner Günther, Die Idee 
der Wiedervergeltung in der Geschichte u. Philo- 
sophie des Strafrechts III, 1 (1895) 327 ff; Finger, 
Lehrbuch des deutschen Strafrechts I (1904) 452; 
Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts 
(1907)241; Meyer, Lehrbuch des deutschen Straf- 
rechts, 6. Aufl. von Allfeld (1907) 281; v. Liszt, 
Lehrbuch des deutschen Strafrechts 561911) 257; 
Goldschmidt in der Vergleichenden Darstellung des 
deutschen u. ausländischen Strofrechts, Allg. Teil, 
Bd lV (1908) bes. S. 318 ff. Aus der jüngsten Li- 
teratur seien noch erwähnt: Für oder wider die T.? 
Eine Umfrage bei den führenden Geistern unserer 
Zeit (1910); Lacassagne, Peine de mort et la cri- 
minalité (Par. 1908). Dazu Schneickert in Groß' 
Archiv XXXVIII 134. Von den deutschen Juristen- 
tagen haben sich der vierte (Maing 1863) und der 
dreißigste (Danzig 1910) mit der Frage der T. 
befaßt. Vgl. endlich Deutsche Juristen-Zeitung 
1911, S. 7 ff 23 3 ff. lo. Overbeck.] 
Togo s. Deutsches Reich (Bd I. Sp. 1267). 
Toleranz im weitesten Verstand bezeichnet 
die geduldige Ertragung eines Ubels, das man 
nicht hindern kann oder will oder darf, auch wenn
	        
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