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erwachsen, die jedoch in den darauffolgenden
Friedensjahren, dank dem ungeahnten wirtschaft-
lichen Ausschwung, dessen sich die Vereinigten
Staaten zu erfreuen hatten, eine starke Abnahme
erfuhr.
Welche ungeheure Schuldenlast die einzelnen
Großstaaten am Schluß des Jahrs 1908 aufge-
häuft hatten, ergibt sich aus nachstehender Auf-
stellung. Die Staatsschulden betrugen zu dieser
Zeit in Millionen àl:
England 14 555
Frankreich . 24 616
Rußland.. 129440
Deutschland (Reichs= und Staats-
schuldernn 129400
Osterreich-Ungarn 13 277
Italien . .. 7 644
Spanien 5 972
Türiie 2 392
Vereinigte Staaten von Amerika 3 952
Japan. .. 4504
in den vorgenannten 10 Ländern zusammen also
nicht weniger als 115 752 Mill. M.
Verschiedene Staaten haben gleichfalls von
ihrem Kredit, wesentlich durch das Vertrauen
ausländischer Kapitalisten, ausgedehnten Gebrauch
und zum Teil argen Mißbrauch gemacht.
Im Lauf des 19. Jahrh. wurden in den meisten
zivilisierten Staaten Verfassungen eingeführt, welche
den Volksvertretungen weitgehende Rechte
in Bezug auf den Staatshaushalt einräumten.
Zu dem Bereich derselben gehört überall, ähnlich
wie schon früher in England, auch das Staats-
schuldenwesen. Die Dotation für Verzinsung und
Tilgung der Staatsschuld wird gesetzlich geregelt.
Neue Anleihen können nur mit Zustimmung oder
Ermächtigung der Volksvertretung ausgenommen
werden, und die Verwaltung der Staatsschulden
unterliegt ihrer Kontrolle oder ständiger Mit-
wirkung durch Beteiligung von Abgeordneten an
der Geschäftsführung der für diese Verwaltung
bestellten besondern Behörden. Dem Kredit der
Staaten war diese verfassungsmäßige, Vertrauen
erweckende Ordnung förderlich. Daß aber eine
verkehrte Benutzung desselben dadurch ausge-
schlossen worden sei, läßt sich nach den gemachten
Erfahrungen nicht behaupten.
Das Verhältnis des Staats zu seinen Gläu-
bigern beruht seiner Entstehung nach, abgesehen
von den Fällen einer Entstehung durch Staats-
verträge, entweder auf einer Nötigung des Staats,
der die Gläubiger sich unfreiwillig unterwerfen
mußten, oder auf der Benutzung des Staatskredits.
Zu den Schulden der ersteren Art gehören zu-
nächst Ausgaberückstän de, die in widerrecht-
licher Unterlassung rechtzeitiger Befriedigung von
Forderungen an den Staat ihren Grund haben.
Bei zerrüttetem Finanzhaushalt eines Staats sind
sie oft genug vorgekommen. Als Zeichen mo-
mentaner Zahlungsunfähigkeit schädigen sie schwer
den Kredit und das Ansehen des Staats, und die
Beteiligten erleiden eine ungerechte Bedrückung,
Staatsschulden.
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die von den bedenklichsten Folgen sein kann, na-
mentlich wenn die Bezahlung von unentbehrlichen
Diensten im Rückstand bleibt, z. B. die Bezahlung
des Soldes der Armee, wie solche aber heute nur
noch in der Türkei und andern asiatischen Ländern
vorkommt.
Die Staatsgewalt kann ferner dazu übergehen,
von ihrer Macht Gebrauch zu machen, um un-
freiwillige Darlehen zu erzwingen. Solange der
Staatskredit noch wenig entwickelt war, ist dies
vielfach, zum Teil mit großer Willkür und Un-
gerechtigkeit, geschehen. Auch später hat man sich
wohl in Notfällen, wenn eine Regierung nicht im-
stande war, die Mittel für außerordentliche drin-
gende Bedürfnisse durch Kreditgeschäfte zu erträg-
lichen Bedingungen zu erlangen, damit geholfen,
daß die Untertanen durch gesetzlichen Zwang ge-
nötigt wurden, einen Teil ihres Vermögens als
Darlehen unter festgesetzten Bedingungen dem
Staat hinzugeben. Solche Zwangsanleihen fallen
unter den Gesichtspunkt einer außerordentlichen
Besteuerung, bei welcher die damit verbundenen
Härten und ungleichen Wirkungen durch die Ver-
zinsung und etwa auch zugesicherte Rückzahlung
der hingegebenen Summen gemildert werden.
Die Normen für die Umlegung und Erhebung
einer Zwangsanleihe müssen daher, wenn sie nicht
als eine Maßregel willkürlichen Mißbrauchs der
Gewalt erscheinen soll, den Grundsätzen entsprechen,
die auch sonst für hohe außergewöhnliche Steuern
anzuwenden sind, um eine möglichst gerechte Ver-
teilung derselben herbeizuführen und die wirtschaft-
liche Produktion des Volks möglichst wenig zu
schädigen.
Der regelmäßige Weg, auf welchem die Staats-
schulden entstehen, ist die Benutzung des Staats-
kredits, d. i. der Möglichkeit, freiwillige Gläu-
biger zu finden, welche zu ihrer Verfügung stehende
Werte gegen Zusicherung künftiger Gegenleistungen
dem Staat hingeben. Der Staatskredit ist gegen-
wärtig von großer Bedeutung sowohl für die
politische Macht wie für den volkswirtschaftlichen
Fortschritt der Staaten. Leichter und vor allem
rascher und damit wirksamer, als es auf dem
immer schwierigen und bedenklichen Weg außer-
ordentlicher Anspannung der Steuerkraft des
Volks geschehen kann, vermag der Kredit eines
wohlgeordneten Staals ihm die Mittel zu liefern,
deren er bedarf, um im Krieg seine Macht zu be-
haupten oder um kostspielige, aber durch wichtige
Interessen des Staats und Volks geforderte An-
stalten und Einrichtungen zu schaffen. Es kommt
aber für das, was der Staatskredit leisten kann,
wesentlich darauf an, wie schwer die künftig zu
ersüllenden Zusicherungen wiegen, welche der Staat
machen muß, um bereitwillige Darleiher zu finden.
Hierfür ist außer den allgemeinen Bestimmungs-
gründen für die jeweilige Höhe des Zinsfußes
der Grad des Vertrauens entscheidend, welches
die Gläubiger auf die pünktliche Erfüllung der
ihnen gemachten Zusicherungen haben können.