Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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196 (Acta S. Sedis XXXIX (19061 3 ff) so- 
wie der vom Bischof unabhängigen Kuliusvereine 
durch die Enzyklika „Gravissimo officie“ vom 
10. Aug. 1906 (edd. 385 ff) und dem demgemäß 
ergangenen Verbot derselben seitens der fran- 
zösischen Bischöfe vom 7. Sept. 1906 mußte 
eine Reihe von Anderungen am Trennungsgesetz 
seitens der Regierung erfolgen. So sah ein Rund- 
schreiben des Kultusministers vom 1. Dez. 1906 
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die Anwendung des gemeinen Versammlungsrechts 
auf die gottesdienstlichen Versammlungen vor. 
Aber die geforderte wenigstens jährliche Anmel- 
dung des Gottesdienstes wurde aus Weisung des 
Papstes am 7. Dez. 1906 vom Kardinal Richard 
von Paris durch Schreiben an den französischen 
Episkopat verboten. Zwei Schreiben vom 10. Dez. 
1906, eines vom Kultusminister an die Präfekten, 
ein zweites vom Justizminister an die Staats- 
anwälte zwecks Verfolgung der nichtangemeldeten 
Gottesdienste, waren wegen der Unmöglichkeit, 
60 000 französische Geistliche wegen des täglichen 
Zelebrierens zu bestrafen, undurchführbar. Daher 
wurde die Anzeigepflicht durch Gesetz vom 28. März 
1907 abgeschafft. Dagegen wurde durch ein neues 
Gesetz vom 2. Jan. 1907 das Kirchengut, das 
hätte den Kultusvereinen zufallen sollen, jetzt schon 
den Gemeinden für gemeinnützige Zwecke über- 
wiesen, das Recht auf zeitweilige kirchliche Be- 
nutzung der im öffentlichen Eigentum stehenden 
bischöflichen Paläste, Seminare, Pfarrhäuser zu- 
rückgenommen, die Pensionen teilweise aufgehoben. 
Immerhin war die Einräumung der Nutznießung 
der Kirchen an Kultvereine oder an Vereine nach 
dem gemeinen Recht oder an die Kultusdiener wie 
Vertragsabschluß darüber vorgesehen. 
Papst verwarf in der Enzyklika „Une fois encore“ 
vom 6. Jan. 1907 (Acta S. Sedis XL (1907) 
3 ff) auch dieses Gesetz vor allem wegen der un- 
gerechten Beraubung der Kirche. Immerhin schien 
die Möglichkeit, daß die Gemeinden die Kirchen- 
gebäude nach dem Gesetz vom 2. Jan. 1907 an 
die Kultusdiener verpachteten, nach dem Willen 
der französischen Bischofsversammlung vom 15. 
bis 19. Jan. 1907 und mit Genehmigung der 
Kurie zu Pachtverträgen führen zu wollen. Aber 
schließlich sind die Verhandlungen über die Kirchen- 
pacht zwischen dem französischen Episkopat, speziell 
dem Kardinal Richard von Paris, und der Re- 
gierung, speziell dem Präfekten des Seinedepar- 
tements, welche einen modus vivendi erhoffen 
ließen, doch gescheitert, einmal weil den pachtenden 
Pfarrern die ganze Unterhaltslast für die kirch- 
lichen Gebäude auferlegt werden sollte, sodann 
weil sich die Diözesanbehörden verpflichten sollten, 
als Pfarrer oder Kaplan keinen Ausländer oder 
Mitglied eines aufgelösten und in Frankreich nicht 
anerkannten Ordens oder einer Kongregation zu 
bestellen. 
1907 ist das Trennungsgesetz auch in Algier ein- 
geführt worden. Zuletzt noch brachte das Gesetz 
vom 13. April 1908 nähere Bestimmungen über 
Trennung von Kirche und Staat. 
Aber der D 
Durch Verordnung vom 27. Sept. 
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die Liquidation und Verwendung der Kirchen- 
güter. 
3. Die belgische Verfassung vom 7. Febr. 
1831 gewährt in Tit. 2, Art. 14 und 15 Bekenntnis- 
und Kultusfreiheit, Art. 16 Freiheit in Anstellung 
der Kultusdiener, Art. 17 Unterrichtsfreiheit, Art. 
19 Versammlungsfreiheit und Art. 23 Vereins- 
freiheit. Anderseits sichert der Staat den Kultus- 
dienern eine staatliche Besoldung zu, wofür die 
erforderlichen Summen in das Budget eingestellt 
werden (Art. 117). (Vgl. d. Art. Belgien.) 
4. Als im Jahr 1848 in Deutschland eine 
allgemeine Freiheitsbewegung eintrat, verlangten 
die Katholiken auch Freiheit für die vom auf- 
geklärten Polizeistaat geknechtete katholische Kirche. 
Ob diese Befreiung bis zur vollen Trennung vom 
Staat gehen sollte, darüber waren die Meinungen 
geteilt. Die zu Würzburg im Herbst dieses Jahrs 
versammelten Bischöfe wollten keine Trennung. 
Auch die katholische Partei in der Frankfurter 
Nationalversammlung nicht. In den am 27. Dez. 
1848 beschlossenen, einen integrierenden Bestand- 
teil der Verfassung des Deutschen Reichs vom 
28. März 1849 (5 144 ff) bildenden Grund- 
rechten des deutschen Volks lautete Art. 5, § 14: 
Jeder Deutsche hat volle Glaubens= und Ge- 
wissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine 
religiöse Uberzeugung zu offenbaren. § 15. Jeder 
Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häus- 
lichen und öffentlichen Ubung seiner Religion.. 
—8 16. Durch das religiöse Bekenntnis wird der 
Genuß der bürgerlichen und siaatsbürgerichen 
Rechte weder bedingt noch beschränkt. 8 1 
Jede Religionsgesellschaft ordnet und #usg 
ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den 
allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine 
Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte 
durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staats- 
kirche. Neue Religionsgesellshaften dürfen sich 
bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses 
durch den Staat bedarf es nicht. 8 18. Niemand 
soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlich- 
keit gezwungen werden. § 19. Die Formel des 
Eids soll künftig lauten: So wahr mir Gott helfe. 
8§20. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur 
von der Vollziehung des Zivilakts abhängig. Die 
kirchliche Trauung kann nur nach Vollziehung des 
Zivilaktes stattfinden. Die Religionsverschieden- 
heit ist kein bürgerliches Ehehindernis. § 21. Die 
Standesbücher werden von den bürgerlichen Ob- 
rigkeiten geführt. Zur Durchführung sind auch 
diese Grundrechte bekanntlich nicht gekommen (ogl. 
Neundörfer, Der ältere deutsche Liberalismus usw., 
in Archiv für kathol. Kirchenrecht LXXXIX 393ff; 
Schnabel, Der Zusammenschluß des politischen 
Katholizismus in Deutschland im Jahr 1848 
(1910) 16 ff 80 ff). 
5. Die Trennung von Kirche und Staat wurde 
eingeführt in Mexiko durch Zusätze zur Ver- 
fassung vom 25. Sept. 1873 und durch Gesetz 
vom 24. Dez. 1874, in Brasilien durch 
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