Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Vorsteher eines Kultusvereins durch den Präfekten 
geregelt (Art. 27). Es ist in Zukunft verboten, 
irgend ein religiöses Abzeichen oder Sinnbild an 
öffentlichen Bauwerken oder an öffentlichem Ort, 
wo auch immer es sei, anzubringen, mit alleiniger 
Ausnahme der dem Kultus dienenden Gebäude, 
der Begräbnisstätten auf den Kirchhöfen, der Grab- 
mäler, der Museen und Ausstellungen (Art. 28). 
Zuwiderhandlungen werden polizeilich bestraft, und 
zwar näherhin bei unerlaubten Kultusversamm- 
lungen an denjenigen, welche die Versammlung ver- 
anstaltet oder dabei als Kultusdiener teilgenommen 
oder das Lokal zur Verfügung gestellt haben (Art. 
29). Gemäß Artikel 2 des Gesetzes vom 28. März 
1882 darf der Religionsunterricht an Kinder, die 
die öffentlichen Schulen besuchen, nur außerhalb 
der Schulstunden erteilt werden (Art. 30). Mit 
Geldbuße von 16 bis 200 Franken und mit Ge- 
fängnis von 6 Tagen bis zu zwei Monaten oder 
mit einer von diesen beiden Strafen allein werden 
diejenigen bestraft, die jemand irgendwie zwingen, 
einen Kultus auszuüben oder nicht auszuüben, in 
einen Kultusverein ein= oder aus einem solchen aus- 
zutreten, zu Kultuskosten beizutragen oder nicht bei- 
zutragen (Art. 31). Mit den gleichen Strafen 
werden diejenigen bestraft, welche Kultushand- 
lungen durch Erregung von Unruhen oder Unord- 
nungen in den hierzu bestimmten Räumen ver- 
hindern, verzögern, unterbrechen (Art. 32). Bei 
schwereren Verfehlungen hingegen erfolgt Bestra- 
fung nach dem Strafgesetzbuch (Art. 33). Jeder 
Kultusdiener, der an Orten, wo der Kultus geübt 
wird, öffentlich durch Reden, Verlesung, Verteilung 
von Schriftsachen oder durch Anschlagzettel einen 
mit einem öffentlichen Amt betrauten Bürger be- 
schimpft oder verleumdet, wird mit einer Geldbuße 
von 500 bis 3000 Franken und mit Gefängnis von 
einem Monat bis zu einem Jahr oder mit einer 
von diesen beiden Strafen allein bestraft (Art. 34). 
Wenn eine an der Kultusstätte gehaltene Rede oder 
ein dort angeschlagenes oder öffentlich verteiltes 
Schriftstück eine unmittelbare Aufforderung zum 
Widerstand gegen die Ausführung der Gesetze oder 
gegen die gesetzlichen Handlungen der öffentlichen 
Behörden enthält, oder wenn sie darauf gerichtet 
sind, einen Teil der Bürger gegen den andern zum 
Aufstand zu veranlassen oder zu bewaffnen, so wird 
der schuldige Kultusdiener mit Gefängnis von 
3 Monaten bis zu 2 Jahren bestraft, unbeschadet 
der Strafen für Mitschuld im Fall, daß die Auf- 
sorderung Aufruhr, Aufstand oder Bürgerkrieg zur 
Folge gehabt hat (Art. 35). Im Fall der Ver- 
urteilung auf Grund der Artikel 25, 26, 34, 35 ist 
der Kultusverein, in dessen Räumen die Gesetzes- 
verletzung begangen wurde, zivilrechtlich haftbar 
(Art. 36).— Den Schlußtitel bilden Bestimmungen 
über die religiösen Orden, die Militärpflicht der 
Theologiestudierenden, die Wählbarkeit bzw. Nicht- 
wählbarkeit der Kultusdiener zu Gemeindeämtern 
am Ort ihrer Wirksamkeit in den nächsten 8 Jahren 
nach Erlaß des Gesetzes, über Verteilung der durch 
Aufhebung des staatlichen Kultusbudgets frei wer- 
denden Summen an die Gemeindeämter und über 
Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Feiertage. 
Vgl. Sägmüller, Die Trennung von Kirche und 
Staat (1907) 6 ff; Rothenbücher a. a. O. 255 ff. 
IV. Grundsätze der Trennung von HKirche 
und Staat. Aus diesen Grundzügen der Tren- 
Trennung von Kirche und Staat. 
  
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nung von Kirche und Staat in den Vereinigten 
Staaten von Amerika und in Frankreich sowie aus 
dem über die Geschichte und den Stand dieser Tren- 
nung in den einzelnen Staaten Bemerkten lassen sich, 
so verschieden auch im einzelnen die tatsächlichen 
Verhältnisse liegen, bestimmte, mehr oder weniger 
durchgreifende rechtliche Grundsätze über die Tren- 
nung von Kirche und Staat formulieren. Daß sie 
auch faktisch durchweg gelten würden, davon be- 
zeugt das französische Trennungsgesetz das Gegen- 
teil. Nach der negativen Seite hin ergibt sich, daß 
es dabei keine Staatskirche oder Staatskirchen 
und keine staatlich rezipierten oder privilegierten 
Religionsgesellschaften im Sinn öffentlich-recht- 
licher Korporationen gibt. Sodann existiert keine 
öffentlich-rechtliche Natur der Kirchenverfassung, 
der kirchlichen Beamtungen und Institutionen. 
Ferner fallen dahin die Privilegien für die Kirche 
und deren Diener, die materielle Hilfe von seiten 
des Staats für die Kirche in finanzieller Hinsicht, 
zur Durchführung von Verwaltungsmaßregeln, 
auf dem Gebiet des Disziplinar-, Straf= und 
Vermögensrechts. Dabei gibt es aber auch keine 
Einmischung mehr seitens des Staats in die kirch- 
liche Gesetzgebung, Verfassung und Verwaltung, 
fein Placetum regium, keine Exklusive bei Be- 
setzung der Kirchenstellen, feinen recursus ab 
abusu, kein dominium eminens, keine Amor= 
tisationsgesetze. Anderseits verliert die Kirche jeden 
Anteil an der Staatsschule: an der Volks-, Mittel- 
und Hochschule. Die theologischen Fakultäten 
müssen als solche aus den Universitäten ausschei- 
den. Positiv aber sind alle Religionen und Kon- 
fessionen ohne jede Privilegierung zugelassen, so- 
weit ihre Lehren und Ubungen den Staatsgesetzen 
nicht widersprechen. Die Bildung von Religions- 
gesellschaften untersteht den allgemeinen Vereins- 
gesetzen. Sie erwerben die juristische Persönlich-- 
keit entweder in ihrer Gesamtheit oder als Einzel- 
gemeinden mit ihrer Begründung dann von selbst, 
wenn nach dem allgemeinen Vereinsrecht jeder 
Privatverein sie ohne weiteres erwirbt, andern- 
falls in der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Ge- 
rade dieses Moment, daß die Kirche juristisch als 
Privatverein bzw. als eine Mehrheit von Privat- 
vereinen auftritt, dürfte den Begriff des Wesens 
der Trennung von Kirche und Staat ausmachen. 
Innerhalb des allgemeinen Rechts haben diese Re- 
ligionsgesellschaften volle Freiheit in Lehre, Schrift, 
Gottesdienst, Aufnahme und Entlassung von Mit- 
gliedern, in Organisation und Verfassung, in Aus- 
bildung und Anstellung ihrer Beamten und Diener, 
in Erwerb, Verwaltung und Veräußerung von 
Vermögen. Rechte, die gemäß Statut aus der 
religiösen Vereinsangehörigkeit kommen, können 
von dem staatlichen Gericht im Rechtsweg ver- 
solgt werden. Soweit staatliche Vereinsaussicht 
besteht, wird sie den kirchlichen Vereinen gegenüber 
ebenso gehandhabt wie gegenüber von andern 
Vereinen. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen 
Rechte des einzelnen sind vollständig unabhängig
	        
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