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wesir nachgeordnet und leiten die Verwaltung der
ihnen zugewiesenen Angelegenheiten unter Aufsicht
des Großwesirs, dessen Vermittlung auch zu ihrem
Verkehr mit dem Herrscher notwendig ist. Es sind
die Ministerien für Justiz und Kultus, dem sämt-
liche weltliche Gerichtsbeamten unterstehen, der
Auswärtigen Angelegenheiten, von dem die diplo-
matischen Vertretungen und die in den Provinzen
die Geschäfte der auswärtigen Verwaltung füh-
renden „Direktoren der auswärtigen Angelegen-
heiten“ (die aber dienstlich der Oberaufsicht des
betreffenden Wali unterstehen) ressortieren, des
Innern, dem die Provinzverwaltungsbehörden
unterstehen, das Ministerium der Epkafs, d. h. die
Verwaltung der den Moscheen und milden Stif-
tungen gehörenden Güter, die Ministerien für
Krieg. Marine, Finanzen, Handel und öffentliche
Arbeiten, öffentlichen Unterricht, Bergwerke und
Forsten. Andere Zentralbehörden sind die Haupt-
verwallung der indirekten Steuern, die Kataster-
verwaltung, die Generaldirektion der Posten und
Telegraphen (deren Umwandlung in ein Mini-
sterium bevorsteht), die Generaldirektion der öffent-
lichen Sicherheit, der obere Rechnungshof, die
Verwaltung der ottomanischen Staatsschuld und
der Gesundheitsrat (in beiden letzteren Verwal-
tungen sitzen Vertreter der fremden Mächte).
Der Staatsrat ist eine Körperschaft, die ledig-
lich über die Gegenstände, die ihm der Großwesir
vorlegt, zu beraten und die Gesetzesvorschläge aus-
zuarbeiten hat; er besteht aus drei Abteilungen,
deren Befugnisse nicht scharf umschrieben sind:
einem Gesetzgebungsdepartement, einer Zivilabtei-
lung und einem Departement für Finanzen. Die
Mitgliederzahl ist auf acht für die Zivilabteilung
und je sechs für die beiden andern festgesetzt, in
Wirklichkeit aber höher, da die Stellung als Mit-
glied des Staatsrats vielsach Sinekure für höhere
zur Disposition gestellte Beamte ist. Zum Staats-
rat wird auch eine Sektion für bestimmte richter-
liche Sachen (strafbare Handlungen der Verwal-
tungsbehörden und Kompetenzkonflikte, die sich
aus den Prozessen zwischen den verschiedenen Be-
hörden ergeben) gerechnet, die sich wieder aus
einem Kassationshof, einem Appellationshof und
einer Justizabteilung erster Instanz zusammensetzt.
In Bezug auf die Provinzialverwaltung
unterscheidet das osmanische Staatsrecht zwischen
kaiserlichen Provinzen (Vilajat-i-shahane), in
denen die Gebietshoheit des Sultans vollständig
ist, und Provinzen im Verhältnis der Halbsouverä-
nität (Ejalat-i-mümtase). Die Zahl der kaiser-
lichen Provinzen, welche die eigentliche Türkei
bilden, beträgt 37, nämlich die Provinz (Emanet)
Konstantinopel, 29 Wilajets und 7 selbständige
Regierungsbezirke, die keinem Wilajet untersteben.
Davon entfallen Konstantinopel, 6 Wilajets
(Adrianopel, Saloniki, Janina, Kossovo, Sku-
tari und Monastir) und der selbständige Regie-
rungebezirk Tschataldscha auf die europäische, 22
Wilajets und 5 selbständige Bezirke auf die asia-
Türkei. 566
tische, je ein Wilajet (Tripolis) und ein Bezirk
(Bengasi) auf die afrikanische Türkei. Halbsou-
veräne Provinzen sind seit der Annexion von Bos-
nien und der Hercegovina durch Österreich-Ungarn
und der Proklamation Bulgariens zum unab-
hängigen Königreich nur noch Kreta, Samos,
Cypern, Thasos und Agypten (vgl. Abschn. VIII).
An der Spitze des Wilajets steht der vom Mini-
sterium des Innern ressortierende Wali (Ober-
präsident), der zugleich die dienstliche Aufsicht über
die von andern Ministerien ressortierenden Be-
amten in seiner Provinz hat. Die Wilgajets zer-
fallen in Sandschaks (Negierungsbezirke, auch
Liwas oder Mutessarifliks genannt), an deren
Spitze der Mutessarif (Regierungspräsident) steht,
der analoge Befugnisse wie der Wali hat. Von
ihm ressortieren die Kaimakams, die Verwaltungs-
beamten der Kasas (Kreise), von diesen die Ge-
meindebeamten (Mudire usw.). Dem Wali steht
als beratendes Organ für alle wichtigeren Ange-
legenheiten ein Verwaltungsbeirat (Medschlis-i-
idare) zur Seite, der aus den drei höchsten Be-
amten der Provinz (nächst dem Wali), nämlich
dem Muavin (Oberpräsidialrat), dem Defterdar
(Dirigent der indirekten Steuern) und dem Mek-
tubdschi (Direktor der Korrespondenzen), den bei-
den höchsten geistlichen Richtern des Wilajets, den
Vorstehern der staatlich anerkannten nichtmoham-
medanischen Religionsgesellschaften und 4 (in den
Wilajets Adrianopel, Saloniki, Monastir und
Kossovo 6) gewählten Laien (2 Mohammedaner,
2 Nichtmohammedaner) besteht; analog gebildet
sind die Bezirksausschüsse in den Sandschaks und
die Kreisausschüsse in den Kasas. Die Provinz-
beamten sind strikte ihrem nächst höheren Vor-
gesetzten unterworfen, der über sie die absolute
Kontrolle ausübt und alle ihre Amtshandlungen
ändern oder annullieren kann; die ganze Provinz-
verwaltung ist so in der Hand des Wali konzen-
triert. Der Wali wird auf Vorschlag des Groß-
wesirs durch eine kaiserliche Irade ernannt, der
Mutessarif und Kaimakam durch eine Irade auf
Vorschlag der Kommission für die Wahl der Zivil-
beamten, die ihrerseits direkt die Mudire ernennt.
Die Gemeindern sind entweder Dorfgemein-
den (Karije) oder Stadtgemeinden (Schehir) oder
Gesamtgemeinden (Nahije, Amtsbezirk); die Ab-
trennung der Nahije und Landgemeinden ist nicht
immer streng durchgeführt. Die Gemeinden sind
wieder eingeteilt in Viertel, größere Städte auch
in Stadtbezirke (in Konstantinopel 20). Die Ge-
meinden und die Nahijes in den Wilajets Wan,
Bitlis, Diarbekr, Mamuret ul-Asis, Erserum und
Siwas verwalten sich selbst. An der Spitze einer
Dorfgemeinde oder auch eines Viertels steht der
Muchtar, an der einer Nahije der Mudir, ihnen
zur Seite der jährlich gewählte Rat der Altesten
bzw. der Amtsausschuß (Bezirksrat). Die Mudire
und Muchtars werden in geheimer Wahl gewählt
und verwalten das Amt ehrenamtlich; wählbar ist
jeder 30 Jahre alte osmanische Untertan, der