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Lehrerinnenseminar, die Handelsschule, die Waisen-
schule ebenda, aus der gewöhnlich die Post= und
Telegraphenbeamten hervorgehen, Handwerker-
und Ackerbauschulen, die Ziviltierarztschule, die
Kunstakademie (beide in Konstatinopel), die Schule
für Beduinen und Kurden (zur Heranbildung der
Stammes= oder Gemeindechefs) und eine Reihe
von Militärschulen. Hochschulen sind die Rechts-
schule, die zivilmedizinische und militärmedizinische
Fakultät, die kaiserliche Fakultät für Theologie,
Literatur, Mathematik und Naturwissenschaften,
alle in der Hauptstadt. Eine eigne Stellung nehmen
die Medressen ein, die sich an den größeren Mo-
scheen befinden und zur Heranbildung der mo-
hammedanischen Kultusdiener und der geistlichen
Richter dienen; das Studium beschränkt sich auf
Lesung und Erklärung des Korans, der Sunna
(mohammedanische Tradition) und der moham-
medanischen Rechtslehre. Die Schüler dieser vom
Staat reichlich unterstützten Schulen heißen Sof-
tas, die Lehrer Ulemas; in allen innerpolitischen
Wirren spielen sie eine große Rolle. Ahnlich diesen
Medressen sind die mohammedanischen Universi-
täten in Bagdad (und Kairo).
Von großer Bedeutung für die Türkei sind die
von den christlichen Religionsgesellschaften
unterhaltenen und geleiteten Schulen; am zahl-
reichsten sind die der Griechen und Armenier.
Musteranstalten sind das griechische Lyuzeum und
das Zapeion in Pera, das griechisch-theologische
Seminar und die Knabenschule auf der Insel
Halki usw.; auf katholischer Seite unterhalten
namentlich die Orden viele Schulen, wie die Je-
suiten (Universität St Joseph in Beirut), die La-
zaristen, Assumptionisten, Kapuziner, Dominikaner,
Franziskaner, Schulbrüder usw. Von fremden
Mächten spenden besonders die Vereinigten Staa-
ten jährlich große Summen für die zahlreichen
Schulen, die sie in ollen wichtigeren Provinzstädten
unterhalten, Osterreich= Ungarn für die Schulen der
Franziskaner in Albanien, Rußland für die Schu-
len der russischen Palästinagesellschaft; Deutsch-
land unterstützt die deutsche und schweizerische
Bürgerschule in Konstantinopel. Die nichtmoham-
medanischen Schulen müssen von der Regierung
konzessioniert werden und stehen unter Aussicht
derselben; neuerdings (Mitte 1910) verlangte die
Regierung vom griechischen Patriarchen, daß alle
nichtottomanischen Lehrer von diesen Schulen ent-
sernt und keine fremden Untertanen mehr als
Lehrer an ihnen angestellt würden.
Nach der Verfassung besteht Preßfreiheit, und
es sind nach der Erneuerung der Verfassung eine
Reihe von Blättern entstanden, die oft nur kurze
Zeit sich halten konnten; die jungtürkische Regie-
rung hat ihr mißliebige Blätter trotz der Preß-
freiheit ebenso zu unterdrücken verstanden wie das
absolute Regiment. Die bedeutendsten Blätter sind
die jungtürkischen der Hauptstadt, wie Tanin,
Saba, Union. Ittihad, serner der Osmanische
Türkei. 580
Osmanische Post, der Moniteur Oriental, alle in
Konstantinopel.
VI. Armee und Marine. Nach den neuen
Wehrgesetzen von 1908 und 1910 besteht allge-
meine Wehrpflicht aller ottomanischen Untertanen,
während früher die Christen gegen Zahlung einer
Wehrsteuer, von den Mohammedanern die Be-
wohner von Konstantinopel, die von Hedschas und
Tripolitanien befreit waren. Die Dienstpflicht be-
trägt in der Landarmee 25 Jahre, davon 3 bei
der Fahne, 6 in der Reserve (Ichtiat), 9 in der
Landwehr (Redif), 7 im Landsturm; in der Ma-
rine 20 Jahre, nämlich 5 aktiv, 10 in der Reserve,
5 in der Landwehr. Die aktive Dienstzeit kann in
Heer und Flotte verkürzt, die in der Reserve ver-
längert werden. Nach 3 Monaten Dienstzeit kann
sich jeder Soldat von dem weiteren Dienst los-
kaufen, ebenso von den Ubungen in der Reserve
und der Landwehr. Die bisherige, meist aus Kur-
den bestehende irreguläre Kavallerie, Hamidije,
wird zurzeit reorganisiert und in eine leichte Ka-
vallerie umgewandelt, die sich nur aus Angehörigen
der nomadischen und halbnomadischen Stämme
rekrutieren soll: ihre Dienstpflicht soll vom 18.
bis 45. Lebensjahr dauern, davon 3 in der vor-
bereitenden Ausbildung, 12 in der aktiven Dienst-
zeit, 12 in der Reserve. Auch die Gendarmerie
wird nach europäischem Muster reformiert.
Nach der Organisation von 1910 ist die Armee
eingeteilt in 14 Armeekorps (7 in Europa) und
5 selbständige Divisionen; diese Einheiten sind
4 Inspektionen unterstellt (das 14. Korps und 2
selbständige Divisionen gehören keiner Inspektion
an). Die Rediftruppen umfassen 58 Divisionen
unter 5 Redifinspektionen. Jedes Armeekorps setzt
sich zusammen aus 3 Divisionen (die Korps der
zweiten Inspektion aus 2), die Division aus 3 In-
fanterieregimentern zu je 2 Bataillonen und 1
Jägerbataillon. Den Divisionen sind in Friedens-
zeiten 1 Regiment Arlillerie und 1—2 Eskadrons
Reiterei (an deren Stelle berittene Infanterie treten
kann) zugeleilt. Die Kavallerie wird in Brigaden
zu 2—3 Regimentern formiert; jedes Armeekorps
erhält 1—8 Brigaden. Von technischen Trup-
pen erhält jede Division 1 Kompagnie Pioniere,
1 Kompagnie Train und eine Sanitätsabteilung.
Die Korps einer Inspektion bilden eine Armee,
deren Kommandant der Inspektor sein wird. Da
diese Organisation zurzeit noch nicht ganz durch-
geführt ist, läßt sich der gegenwärtige Bestand an
Regimentern usw. nicht angeben. — Auch für die
Flotte sind neuere Zahlen nicht erhältlich; 1907
bestand sie (außer älteren Fahrzeugen) aus 42
Schiffen mit 56 784 Tonnen, 122 200 indizierten
Pferdekräften, 318 Geschützen, 77 Lancierrohren.
Seither ist die Flotte durch die reorganisierende
Tätigkeit englischer Offiziere an Wert beträchtlich
gestiegen; auch sind eine Reihe von Schiffen, selbst
solche vom Dreadnoughttypus. im Bau.
VII. Wirtschaftliche Perhällnisse. Der
Lloyd, das Konstantinopeler Handelsblatt, die wichtigste Erwerbszweig der türkischen Bevölkerung