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ist die Landwirtschaft. In der europäischen
Türkei ist der Ackerbau der Hauptberuf, neben
und mit ihm beschäftigt sich ein großer Teil auch
mit der Viehzucht. Angebaut werden Mais, Reis,
Weizen, von Handels= und Industriepflanzen
Tabak, Hanf, Flachs, Sesam, Raps, Anis, Mohn,
Rosen u. dgl. Ansehnlich ist auch der Weinbau
und die Kultur von Fruchtbäumen. Die Viehzucht
wird in keiner Weise rationell betrieben und der
Viehstand zeigt infolge der schlechten Pflege seit
Jahren eine Abnahme. Am meisten werden ge-
züchtet Schafe, das hauptsächliche Fleisch, Milch
und Wolle liefernde Tier, Ziegen, Rinder und
Büffel als Zugtiere, Pferde (aber nicht genügend),
Schweine, Seidenraupen und Bienen. Die asia-
tische Türkei bringt bei ihrer Ausdehnung über
mehrere Klimagebiete sehr verschiedene Produkte
hervor: Weizen, Gerste, Mais, Reis, Baumwolle,
Tabak, Mohn usw.; von Fruchtbäumen sind ver-
breitet Datteln, Olbäume, Aprikosen, Pfirsiche,
Mandeln, Feigen, Haselnüsse, der Weinstock und
der Kaffeebaum (in Arabien). Die Viehzucht, be-
sonders auf den Hochflächen des Innern, liefert
Ziegen (Bestand an 9½ Mill., davon an 2 bis
3 Mill. Angoraziegen), Rinder, Kamele, Pferde,
Nutzgeflügel, Seidenraupen usw. Im afrikanischen
Teil des Reichs gedeihen im anbaufähigen Land
an der Küste und in den Oasen Dattelpalmen,
Mandeln, Feigen, Oliven, Getreide (Gerste,
Weizen), Gemüse, Baumwolle, Tabak, Indigo
und das Halfagras; ferner wird Pferde-, Schaf-
und Kamelzucht getrieben.
Obwohl die Anbaufläche im ganzen Reich zu-
nimmt, so ist die landwirtschaftliche Produktion
doch sehr gering im Vergleich zu den natürlichen
Reichtümern, die der Boden hervorbringen könnte.
Die Hauptursachen sind einmal die geringe Volks-
dichte, die primitive Methode der Bearbeitung,
die nicht auf der Faulheit, sondern auf der Un-
wissenheit der Bevölkerung beruht, ferner die un-
gerechte Verteilung der Steuern, die hauptsächlich
auf dem kleinen Grundbesitz lasten und ihn dem
wucherischen Kapital ausliefern, der Mangel an
Kapital, infolgedessen für die künstliche Bewässe-
rung in den ausgedehnten Gegenden, in denen
Regenmangel herrscht, keine Mittel verfügbar
sind (große Anlagen für die Bewässerung der
Ebene von Konia sind jetzt von seiten der Ana-
tolischen Bahngesellschaft im Werk, solche für
die Bewässerung von Mesopotamien geplant),
das ausgedehnte Pachtsystem, die Verschuldung
des Besitzes und endlich die Verteilung des Grund
und Bodens. Das türkische Reich unterscheidet
nämlich fünf Arten von Grundbesitz: der Mülk-
besitz ist derjenige Grund und Boden, den der
Besitzer zu freiem und unabhängigem Eigen-
tum besitzt, das er veräußern, vererben, ver-
schenken kann usw. Die andern vier Arten stehen
unter dem Obereigentum des Staats: bei den
Mirijeländereien überträgt der Staat das Besitz-
recht an dem Boden gegen Entrichtung einer der
Türkei.
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Kaussumme entsprechenden Abgabe an Private zu
nutzbarem Eigentum der Nutznießer ist in einigen
Punkten bei der Bestellung an die Erlaubnis des
Staats gebunden, das Land geht nach bestimmten
Regeln auch auf die Erben über. Die Wakuf-
ländereien sind der unbewegliche Besitz der Toten
Hand, das zu mildtätigen Zwecken (für Arme,
Moscheen, Schulen, Bibliotheken, Brunnen u. dgl.)
geschenkte Land; infolge der durch die Sunna auf-
erlegten Pflicht der Mohammedaner, Almosen zu
geben, hat sich der Güterbesitz der Toten Hand
ständig vergrößert, so daß er heute fast zwei Drittel
des Bodens umfaßt. Eigentümer des Wakufgrund-
besitzes ist nach den einen Gott selbst, nach den
andern die Moscheen, nach einer vermittelnden
Ansicht das Evkafministerium, in dessen Händen
die Verwaltung ruht; doch bleibt es den Stiftern
überlassen, einen unter der Aufsicht des zuständigen
Geistlichen stehenden Verwalter zu ernennen. Von
einer intensiven Bewirtschaftung des Wakuflandes
ist kaum die Rede. Die Metrukeländereien sind
solche, die dem allgemeinen Gebrauch freigegeben
sind wie öffentliche Wege, Marktplätze, Gebets-
plätze, Waldungen, Weideplätze, Brunnen usw.
Der Mevatbesitz endlich besteht aus Grundstücken,
die noch unbebaut oder unbenutzt sind; wer solches
Land kulturbar macht, erwirbt, die Zustimmung
der Behörde vorausgesetzt, daran Mirijerecht. —
Ein Gesetzentwurf, der die Grundstückgesetzgebung
dem Geltungsbereich des Scheriatrechts nimmt,
liegt zurzeit der Kammer vor.
Eine Forstwirtschaft im europäischen Sinn gibt
es nicht. Die Wälder sind durch Raubwirtschaft
und Vernachlässigung immer mehr geschwunden,
und die vorherrschende Ziegenzucht läßt keinen
Nachwuchs aufkommen. Der Waldbestand der
europäischen Türkei ist gering; in Kleinasien ist
der Wald auf die Randgebiete beschränkt, dagegen
finden sich noch große Bestände in Armenien, auf
dem kilikischen Taurus, in Syrien auf dem Liba-
non. Der größte Teil aller Wälder gehört dem
Staat.
Für die Küstenbewohner, namentlich die Grie-
chen, bildet eine wichtige Erwerbsquelle die See-
fischerei, besonders auf Sardellen, Thunfische,
Hummern, Austern und andere Krustentiere,
Schwämme usw.
Die Mineralreichtümer der Türkei sind
noch wenig erforscht, doch ist gewiß, daß der Boden
große Schätze birgt: die europäische Türkei Eisen,
Gold und Silbererze, die asiatische Meerschaum,
Pandermit, Schmirgel, Blei, Kupfer, Zink,
Mangan, Antimon, Chrom, Steinkohle, Phos-
phat, Petroleum, Marmor, Steinsalz u. dgl. An
allen Küsten des Mittelmeers wird Seesalz ge-
wonnen.
Die Großindustrie faßt in der Türkei erst
langsam Fuß, besonders in der Baumwollspinnerei
und der Zuckerindustrie; sonst findet sich fast nur
Kleinindustrie und Hausgewerbe: Branntwein-
brennerei, Tabak-, Rosenölfabrikation, Wollver-
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