Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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eid. Die Insel zerfällt in vier Verwaltungs- 
bezirke mit 29 Ortschaften, deren Bürgermeister 
jährlich gewählt werden. 
Für die Rechtspflege besteht in der Hauptstadt 
Chora ein Gerichtshof mit drei Richtern, ferner 
ein Appellationsgericht und ein Kassationshof 
(Areopag), der aus dem Fürsten oder seinem 
Stellvertreter als Vorsitzendem und den vier Se- 
natoren als Beisitzern besteht; richterliche Funk- 
tionen üben auch die Bürgermeister der Ortschaften 
aus in allen Fällen, in denen der Wert des Streit- 
gegenstands 200 Piaster nicht übersteigt. — Kirch- 
lich untersteht die Insel einem Metropoliten, der 
von dem griechischen Patriarchen in Konstantinopel 
ernannt wird und kraft seines Amts Mitglied des 
Abgeordnetenhauses ist. Für den Unterricht gibt 
es 1 Gymnasium, 4 Mittelschulen und 33 Ele- 
mentarschulen. 
Thasos wurde anfangs des 19. Jahrh. vom 
Sultan dem Vizekönig Mehemed Ali von Agyp- 
ten, der in Kavalla geboren war, geschenkt und 
stand seither unter ägyptischer Verwaltung. 1902 
wurde diese durch eine rein ottomanische ersetzt und 
die Insel als Sandschak dem Wilajet Saloniki ein- 
verleibt; die Steuern gehen jedoch weiter an den 
Khediven ab, die Zölle an die Türkei, auch entfällt 
ein Teil des ägyptischen Tributs auf Thasos. Sitz 
des Mutessarifs ist Panagia oder Limenas an der 
Nordseite der Insel. Haupterwerb der rein grie- 
chischen Bewohner ist die Kultur von Frucht- 
bäumen, Bienenzucht und der Bergbau, besonders 
auf Zinkerze, die von einer deutschen Firma ab- 
gebaut werden. 
Cypern steht seit 1878 unter der Verwaltung 
von Großbritannien (s. Bd II, Sp. 894 unten) 
bei Vorbehalt der türkischen Souveränität; die 
Überschüsse der Einnahmen fallen als Tribut an 
die Türkei (im Budget für 1910/11 auf 102589 
türkische Pfund veranschlagt). 
Kreta. Die Insel Kreta wurde 1669 tür- 
kisch, gehörte 1830/40 zu Agypten, seither wieder 
zur Türkei, gegen deren Herrschaft die nach Ver- 
einigung mit Griechenland strebende Insel sich 
öfters erhob. Das Verhältnis zum Osmanischen 
Reich wurde seitens der Pforte durch einen Fer- 
man von 1868 geregelt, welcher der Insel weit- 
gehende Rechte gewährte. Nach dem griechisch- 
türkischen Krieg 1897 wurde unter stillschweigen- 
der Aufhebung dieses Fermans die Verwaltung 
Kretas 4. Nov. 1898 den vier Großmächten 
Großbritannien, Frankreich, Italien und Ruß- 
land übertragen und die Insel wurde seit Dez. 
1898 unter der Souveränität des Sultans von 
einem Oberkommissar der vier Schutzmächte regiert 
(bis 1906 Prinz Georg von Griechenland, her- 
nach der ehemalige griechische Ministerpräsident 
Zaimis). Die ausführende Gewalt übte der Ober- 
kommissar durch verantwortliche Minister, die ge- 
setzgebende im Verein mit der Abgeordnetenkammer 
(Bule), die aus 64 gewählten und 10 vom Ober- 
kommissar ernannten Mitgliedern bestand. Seit 
Türkei. 
  
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14. Aug. 1906 hat der König von Griechenland 
das Recht, den Schutzmächten den jeweiligen Ober- 
kommissar vorzuschlagen. Bei den Balkanwirren 
1908 proklamierte Kreta am 7. Okt. seine Un- 
abhängigkeit und zugleich seine Vereinigung mit 
Griechenland; zur Verwirklichung dieser Anglie- 
derung bildete sich ein sechsköpfiger Ausschuß als 
provisorische Regierung, der den Eid auf den 
König von Griechenland leistete, worauf Zaimis 
abdankte. Infolge des entschiedenen Widerstands 
der neuen konstitutionellen Türkei nahm Griechen- 
land die Vereinigung nicht an. Auch die Schutz- 
mächte gaben ihre Zustimmung nicht, übertrugen 
aber die Regierung durch eine Erklärung vom 
13. Juli 1909 den „bestehenden Behörden“ bis 
zur endgültigen Reglung der Frage mit der Türkei 
und zogen ihre Besatzungstruppen am 26. Juli 
von der Insel zurück. Die endgültige Reglung 
steht trotz der wiederholten Aufforderungen der 
Pforte an die vier Schutzmächte noch aus; wie 
die früheren provisorischen Regierungen, so hat 
auch die dreigliedrige Regierung, die sich (als die 
sechste seit der Proklamation der Unabhängigkeit) 
im Febr. 1911 konstituierte, den Eid auf den 
Namen des Königs der Hellenen und auf die Ver- 
einigung mit Griechenland geleistet; die aus all- 
gemeinen Wahlen hervorgegangene National- 
versammlung (114 Christen, 16 Mohammedaner) 
wurde im Mai wie im Nov. 1910 im Namen des 
Königs von Griechenland eröffnet und hat Ende 
Nov. 1910 durch einstimmigen Beschluß (die 
Mohammedaner entfernten sich unter Protest von 
der Sitzung) ihr unveränderliches Festhalten an 
der Vereinigung Kretas mit Griechenland erklärt, 
wogegen die Türkei in Noten an die Mächte pro- 
testierte. Ebenso haben die Kreter gegen die von 
der Pforte Mai,Juni 1911 geplante Entsendung 
mohammedanischer Richter nach Kreta energischen 
Widerspruch erhoben. Die Hoheit des Sultans 
über die Insel ist nur durch eine türkische Fahne 
auf einem Inselchen bei Kanea gekennzeichnet. 
Die Insel hatte auf 8618 qkm (samt den 
Nebeninseln) 1900 310 386 Einwohner, davon 
270049 Christen, 38 296 Mohammedaner, 728 
Juden, 6113 Fremde; gegenwärtig an 340 000 
Einwohner. Die Zahl der Mohammedaner geht 
durch Auswanderung seit Jahrzehnten ständig zu- 
rück, ebenso die der Fremden durch Zurückziehung 
der Besatzungstruppen der Schutzmächte. Die Insel 
zählt an 350 griechisch-katholische Kirchen, 56 grie- 
chisch - katbolische Klöster, 5 römisch-katholische 
Kirchen, 2 Klöster, 4 Synagogen, 55 Moscheen. 
Die orthodoxe Kirche untersteht einer Synode von 
acht Bischöfen, die Katholiken (an 800 Ein- 
heimische, 2200 Fremde) dem von Pius IX. 
1874 wieder erneuerten und Smyrna unterstellten 
Bistum Kandia. 1908 bestanden 448christliche, 
18 mohammedanische Volksschulen und 26 christ- 
liche höhere Schulen. Die Rechtspflege wurde durch 
1 obersten Gerichtshof. 1 Appellationshof, 5 Ge- 
richte erster Instanz, 26 Friedensrichter, 3 Straf-
	        
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