Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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das kanonische Recht übergegangen und bezeichnete 
eine Gemeinschaft, Korporation im Sinn einer 
juristischen Person. Somit war die Universität 
eine Verbandseinheit der Lehrer und Scholaren 
mit den Privilegien einer autonomen, öffentlich- 
rechtlichen Körperschaft, namentlich dem der eignen 
Gerichtsbarkeit, und weil die Mitglieder Kleriker 
waren oder dazu gerechnet wurden, der Steuer- 
freiheit. Die Universität war mit dem General- 
studium verbunden, aber nicht gleichbedeutend mit 
ihm. Daher auch Ausdrücke wie studium ac eins 
universitas. Erst im 13. Jahrh. wurden beide 
Bezeichnungen allmählich einander gleichgesetzt und 
mit universitas derselbe Begriff verbunden wie 
mit studium generale; schließlich verschwand der 
Name Generalstudium ganz aus unserem Sprach- 
gebrauch. 
II. Die Entflehung und Gründung der 
älteren Universitäten bis zum Jahr 1400 
und die auf letztere bezüglichen Begriffe hat zuerst in 
scharfsinniger, umfassender Untersuchung P. Hein- 
rich Denifle festgestellt. Die Universitäten sind 
nicht, wie nach dem Vorgang von v. Savigny viele 
behauptet haben, durch den Ruhm eines Lehrers 
und den dadurch bewirkten Lerneifer der Scholaren 
entstanden. Auch sind sie nicht aus den vorhan- 
denen Dom-, Stifts= und Klosterschulen hervor- 
gegangen; sie haben sich nicht einmal an sie an- 
geschlossen. Nur bei Erfurt und Köln mag ein 
unmittelbarer Zusammenhang mit vorhandenen 
Studienanstalten an verschiedenen Stiftskirchen 
bestehen. Bei einigen Klosterschulen kann wohl die 
Zahl und das Ansehen der an der Universität vor- 
gebildeten und graduierten Professoren den Be- 
weggrund gegeben haben, die betreffenden Fächer 
in einen vollständigen Universitätsplan einzureihen, 
damit die Zöglinge ihre sämtlichen Studien be- 
enden und alle akademischen Grade bis zum höch- 
sten, dem theologischen Doktorgrad, erwerben 
könnten. Anders in Italien. Hier haben in den 
meisten Fällen von den Städten unterhaltene 
Schulen die Stiftung einer Universität angeregt 
und eingeleitet, wozu in den Gemeinden vornehm- 
lich die Rücksicht auf die Notwendigkeit der Pflege 
des römischen Rechts mitwirkte. Desgleichen waren 
in Spanien und Frankreich sowie in Wien blühende 
Stadtschulen die Voraussetzung, daß man eine 
Universität zu gründen suchte. — Für den Ent- 
wicklungsgang der ältesten Universitäten sind fol- 
gende Punkte entscheidend: 1) Ein bestimmter 
Wissenszweig wurde in einer neuen, der Zeit ent- 
sprechenden Methode, der scholastischen, von tüch- 
tigen Professoren gelehrt und damit eine neue Ara- 
der wissenschaftlichen Forschung angebahnt. 2) Es 
wurden außer dem Privileg der Verleihung all- 
gemein gültiger Grade noch andere Privilegien zu- 
gunsten der Lehrer und Scholaren erlassen, um 
deren Gut und Blut beim Reisen und während 
des Aufenthalts an der Universität zu sichern, 
wozu noch die exemte Gerichtsbarkeit und andere 
Freiheiten, wie die von Steuer und Wachtdienst, 
  
Universitäten. 
  
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traten. 3) Durch die Vereinigung der verschiedenen 
Fakultäten bildet die Universität eine korporative 
Einheit. 4) Die vier gesonderten Fakultäten 
(Theologie, Jurisprudenz, Medizin und artes 
liberales, seit dem 16. Jahrh. Philosophie ge- 
nannt) haben sich erst später gebildet. War die 
Universität begründet, so gab sie sich zunächst all- 
gemeine Statuten, danach Fakultätsstatuten. Sie 
wurden jährlich einmal feierlich verkündet; die voll- 
berechtigten Mitglieder waren zu ihrer Beobachtung 
eidlich verpflichtet. 
Bei den mittelalterlichen Universitäten sind vor 
allem zu unterscheiden: a) solche, die gewisser- 
maßen aus sich selbst (ex consuetudine) oder 
durch Auswanderung von Lehrern oder Schülern 
einer bestehenden Universität, und b) solche, die 
auf Grund von päpstlichen, kaiserlichen oder lan- 
desherrlichen Stiftungsbriefen (ex privilegio) 
entstanden sind. — Die ältesten ex consuetudine 
entstandenen Universitäten sind, wenn man von 
der in ihrer Entstehung unaufgeklärten Schule zu 
Salerno, der ältesten aller Universitäten, absieht, 
die von Paris und Bologna. Es ist die Zeit 
großartiger, weltgeschichtlicher Unternehmungen, 
Neugründungen und Gedanken, mit der das Er- 
blühen der Universitäten zusammenfällt: die Kreuz- 
züge, die kraft= und glanzvolle Entwicklung der 
Städte, die Bettelorden, das Rittertum und die 
höfische Dichtkunst kennzeichnen neben dem Empor- 
kommen der Universitäten das Jahrhundert von 
1150 bis 1250. Paris und Bologna werden in 
dieser Periode die Hauptlehranstalten, die Zentral- 
sonnen des geistigen Lebens und das Muster für 
alle übrigen Universitäten im Mittelalter. Die 
Pariser Hochschule ist nicht aus einer Vereinigung 
der daselbst bestehenden Kloster= und Domschulen 
hervorgewachsen, sondern sie wurde gebildet durch 
eine Vereinigung der Professoren von Notre-Dame 
und derjenigen, welche auf der Insel am linken 
Seineufer (dem späteren Quartier latin) in Ab- 
hängigkeit von dem Kanzler von Notre-Dame 
privatim ihr Lehramt ausübten. Notre-Dame ist 
demnach „die Wiege der Universität“. Die Fächer, 
denen Paris während des Mittelalters seinen 
Ruhm verdankt, sind die Theologie und die artes 
liberales. Jene war Hauptlehrgegenstand und 
wurde nach einer neuen Methode vorgetragen, als 
deren erste und bedeutendste Vertreter Wilhelm 
von Champeaux, das Haupt der Realisten, und 
Abälard tätig waren. — Die Universität Bo- 
logna war ursprünglich eine Rechtsschule und 
bewahrte auch in der Folgezeit ihren Ruhm, ge- 
schmückt mit dem Ehrennamen legum nutrix. 
Sie verdankte ihre Entstehung dem Umstand, daß 
schon im frühen Mittelalter das römische Recht, 
das in den Gerichten angewandt worden war, 
seit dem Aufschwung von Handel und Verkehr in 
den lombardischen Städten eine genauere wissen- 
schaftliche wie praktische Pflege erheischte. Der 
erste Lehrer, welcher der Bologneser Schule Be- 
deutung verlieh, war seit 1113 Irnerius (Werner):
	        
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