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Gültigkeit und Anerkennung und wurde auch in
den Gutachten der Fakultäten berücksichtigt. Ge-
ring waren die Fortschritte in der medizinischen
Wissenschaft, wenn auch Botanik und Minera-
logie anerkennenswerte Fortschritte machten. Das
16. Jahrh. ist das Zeitalter des Paracelsus, der
trotz mancher Verdienste auf medizinischem Gebiet
mit seinen Anhängern dem astrologischen und
medizinischen Wahnglauben, der Alchimie und der
Kabbala die Wege ebnete. Die praktische Medizin,
besonders die Chirurgie, galt als Handwerk und
wurde von Barbieren geübt. Dagegen konnten
wirkliche medizinische Forscher, wie Andreas Ve-
salius in Basel, nicht dauernd aufkommen. Ende
des 16. Jahrh. entstanden die ersten anatomischen
Theater und botanischen Gärten. Die größten
Erfolge hatten noch die Mathematik und Astro-
nomie, namentlich durch das bahnbrechende Wirken
Keplers, aufzuweisen; dieser Fächer nahmen sich
auch die Jesuiten eifrig an und bauten zuerst
mehrere Sternwarten. — Die Fakultät der Artisten
oder, nach dem seit dieser Zeit üblichen Sprach-
gebrauch, die philosophische Fakultät blieb stofflich
der früheren Periode treu und behielt das Studium
des Aristoteles bei. Hierzu kam die veränderte
Behandlung der drei gelehrten Sprachen, klassi-
sches Latein, Griechisch und Hebräisch; doch litt
ihr Ansehen durch die unzulängliche Vorbildung
der Studenten in den Sprachen sowie durch das
wenig ehrbare Leben der meisten „Poeten“ und
Oratoren. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde
der Humanismus durch die französische Sprache
und Literatur abgelöst, die infolge ihrer aus-
schließlichen Bevorzugung an den Fürstenhöfen
den Einfluß der Universitäten auf die Gebildeten
beschränkten. Neue Bahnen schlug am Ausgang
des 17. Jahrh. die Universitätswelt ein, als na-
mentlich die sog. exakten Wissenschaften eine andere
Pflege erheischten und anderseits der philosophische,
politische und theologische Rationalismus zum
Durchbruch kam. Die erste moderne Universität
in diesem Sinn ist Halle, für die schon der Erz-
bischof Albrecht von Brandenburg 1531 ein päpst-
liches Stiftungsprivileg erworben hatte, deren
Gründung aber erst 1694 durch kaiserliche Er-
richtungsurkunde erfolgte. 1697 wurde hier durch
den Philologen Chr. Cellarius ein collegium
elegantioris litteraturae gegründet, der erste
Versuch eines philologischen Seminars. In der
juristischen Fakultät wirkte Chr. Thomasius, ein
Schüler Pufendorfs, des Vertreters des Natur-
rechts, das nur aus der Vernunft ein für alle
Zeiten und Volker geltendes ewiges Recht kon-
struieren wollte. Thomasius hielt im 18. Jahrh.
als erster Vorlesungen in deutscher Sprache.
Tieferen Einfluß erlangte Halle aber im 18. Jahrh.,
als es durch die Philosophie von Chr. Wolff
(gest. 1754) die Hochburg des Rationalismus
wurde, bis dieser Hauptvertreter der Aufklärung
durch Preußens ersten König Friedrich Wilhelm I.
aus allen seinen Staaten verwiesen wurde. In
Universitäten.
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Halle blühte auch eine Zeitlang der von dem
Pädagogen August Hermann Francke (1663 bis
1727) am wirksamsten vertretene Pietismus. Bald
ergriff der Neuerungsprozeß auch die andern Hoch-
schulen; sie erhielten neue Lektionsordnungen, wenn
auch einige, wie Leipzig und Wittenberg, sich
widersetzten. — Dem modernisierten rationalisti-
schen Universitätsstudium widerstanden die drei im
18. Jahrh. ins Leben getretenen stiftungsgemäß
katholischen Universitäten Breslau (1702), Fulda,
wo 1732 von Adolf v. Dalberg die bestehenden
Fakultäten des Seminars zu einer Universität zu-
sammengelegt wurden, und zuletzt (1780) Münster
das 142 Jahre nach der Gründungsurkunde von
1631 durch den verdienstvollen Minister und
Domherrn v. Fürstenberg zum Leben erweckt und
von dem Kurfürsten von Köln, Erzbischof Max
Friedrich, mit den Einkünften des Klosters Uber-
wasser ausgestattet wurde. Hingegen waren Göt-
tingen (1734) und Erlangen (1743) von Anfang
an in rationalistischem Sinn geleitet. Jenes war
infolge des Antagonismus zwischen Georg II.
von Hannover und Friedrich Wilhelm I. von
Preußen entstanden und dem Muster von Halle
ziemlich getreu nachgebildet. Durch eine Reihe
bahnbrechender Lehrer und die systematische Vor-
tragsweise in den medizinischen und naturwissen-
schaftlichen wie auch in den philosophischen Fächern
wurde es die vornehmste Lehranstalt für diejenigen,
die eine moderne weltmännische Bildung suchten.
In Göttingen ging von den Philologen Gesner
und Heyne der sog. Neuhumanismus aus, den
Aug. Friedr. Wolf dann nach Halle verpflanzte
und in seinem philologischen Seminar zur höchsten
Entfaltung brachte. Minder besucht war Er-
langen, das, von Markgraf Friedrich für Bay-
reuth gestiftet, sich damals keiner bedeutenden
Frequenz erfreute. Die Universität Wien, die sich
wegen der grimmigen Feindschaft vieler anti-
christlichen Professoren gegen die Jesuiten nicht
mehr hatte erheben können, wurde unter der Re-
gierung Maria Theresias mit den übrigen Uni-
versitäten in Osterreich-Ungarn gänzlich refor-
miert; die Fakultäten wurden nacheinander mit
neuen Lehrstühlen versehen und von allen Studie-
renden die Absolvierung eines zweijährigen Kursus
in der Philosophie gefordert, ehe sie in eine der
oberen Fakultäten eintreten konnten. Dieselbe
Forderung bestand auch in Bayern, dann wurde sie
auf ein Jahr und zuletzt auf einige philosophische
Vorlesungen beschränkt; ferner gilt diese Vor-
schrift für die katholisch-theologische Fakultät (wenn
auchmitverschiedener Semesterzahl) in ganz Deutsch-
land.
Die von Herder als Ziel des Studiums auf-
gestellte „Bildung zur Humanität“ führte zum
Neuhumanismus, der seit dem Ende des 18. Jahrh.
an den meisten Universitälen seinen Einzug hiell.
Am stärksten war er von 1787 bis 1806 in Jena
vertreten, während von Königsberg aus der Kriti-
zismus Kants und seiner Nachfolger sich ausbrei-