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Deutschland 48 (mit Theologen 57), in Rußland
10, in Frankreich 43, in Italien 51, in Oster-
reich 56, in Norwegen 77, in Belgien 82 (s. Con-
rad, Statistik der deutschen Universitäten, bei Lexis,
Die deutschen Universitäten (/1893)). Über die
Anteilnahme der einzelnen Konfessionsgemein-
schaften an den Universitätsstudien s. R. Brüning
in Kroses Kirchl. Handbuch. 6. Abt. (1911).
VIII. Tehrfreiheit. Während der Staat das
Unterrichtsmonopol an den niederen und mittleren
Schulen so strenge handhabt, daß er nicht einmal
die Wahl der Religionshandbücher den verschiedenen
Religionsdienern überläßt, begibt er sich an den
Hochschulen eines beschränkenden Einflusses auf
die absolute Lehrfreiheit vollständig, weil die
Wissenschaft und ihre Lehre „frei“ sei. Dies führt
dazu, daß erstens nicht selten unreife Theorien und
übereilte Hypothesen als feststehende wissenschaft-
liche Wahrheiten gelehrt werden und daß zweitens
die ungläubige Richtung und die antichristlichen
Doktrinen vieler Dozenten auf dem Gebiet der
(protestantischen) Theologie, der Philosophie und
des Rechts, sogar auf dem der exakten Wissen-
schaften die Oberhand gewinnen. Dadurch fühlt
sich ein großer Teil der christlichen deutschen Be-
völkerung in seinem Gewissen verletzt und in
seiner Freiheit beschränkt. Nach christlicher Über-
zeugung ist nämlich das Ziel des Unterrichts und
der Bildung die Verwirklichung des vollkommenen
Menschen in den einzelnen Individuen. Dieses
Ziel ist nicht auf die Entwicklung der natürlichen
Kräfte und Fähigkeiten des Menschen beschränkt,
sondern es umfaßt auch die übernatürliche Be-
stimmung desselben, sein ewiges Heil. In diesem
Sinn ist daher das Ideal des vollkommenen
Menschen nicht von der menschlichen Phantasie
geschaffen, noch nach Ländern und Zeiten ver-
schieden, sondern von Gott selber gegeben: es ist
der im Zenit der Weltgeschichte stehende Gott-
mensch Jesus Christus. Eine Hinleitung zur Ahn-
lichkeit mit ihm ist überall da ausgeschlossen, wo
der Glaube an den Gottmenschen nicht vorhanden
ist. Das Dogma der Gottheit Jesu Christi wird
aber gerade von den meisten Vertretern der
grenzenlosen Lehrfreiheit nicht anerkannt, und da-
mit ist das Ziel der Bildung im christlichen Sinn
in Frage gestellt. In seiner Untersuchung der
Stellung und Bedeutung der katholisch-theologi-
schen Fakultäten sagt Mausbach: „Was den
Gegenstand und Stoff des Lehrens angeht, so sind
die Vertreter der meisten Wissenschaften genau so
gebunden wie die katholischen Theologen; die Ju-
risten z. B., sofern sie ein äußerlich normiertes,
feststehendes Recht wissenschaftlich zu erklären und
zu entfalten haben. Auch Geschichte, Sprachwissen-
schaft, Naturwissenschaft können sich nicht frei
machen von ihrer Stoffwelt und den Gesetzen, die
sie beherrschen; sie müssen sich damit begnügen,
diese feststehende Welt von Tatsachen oder Er-
scheinungen zu begreifen und zu bewältigen.
So sehen wir, daß je tiefer eine Wissenschaft mit
Universitäten.
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den Grundbedürfnissen des geistigen und sozialen
Lebens verwachsen ist, um so naturgemäßer auch
gewisse Grenzen der Lehrfreiheit vom sittlichen Ge-
wissen gezogen und nötigenfalls vom Gesamtge-
wissen des Volks und seiner verantwortlichen Leiter
gefordert und durchgeführt werden“ (Der Eid
wider den Modernismus und die theologische
Wissenschaft 1911))0. In dieser Erkenntnis streben
die Katholiken aller Länder danach, eigne Univer-
sitäten zu gründen. In Deutschland scheiterte die
Errichtung einer „freien katholischen Universität",
wie sie seit 1846 geplant und auf den Katholiken-
versammlungen gefordert wird, an dem Wider-
stand der Staatsverwaltung, welche Semester und
Grade einer freien Hochschule nicht anerkennen will.
Zunächst war Fulda dafür in Aussicht genommen,
daneben seit 1857 Salzburg. (Gustav Helm (Theo-
dor Palatinus], Die Salzburger Universitätsfrage
118841; P. Magnus Sattler, Kollektaneenblätter
zur Geschichte der ehemaligen Benediktineruni-
versität Salzburg 1/1890); Der katholische Uni-
versitätsverein in Salzburg 1884/1909 (1909).
Zur Aufbringung der nötigen Fonds besteht ein
allgemeiner, weitverzweigter „Universitätsverein“.
In der Schweiz ist der schon im Jahr 1587 auf
dem Sondertag der katholischen Kantone gefaßte
Plan endlich zur Ausführung gekommen und 1886
im Großen Rat des Kantons Freiburg einstimmig
die Gründung einer katholischen Universität in
Freiburg zum Beschluß erhoben worden, deren
feierliche Eröffrung im Okt. 1890 erfolgte. In
Frankreich wurden für die Bedürfnisse der Katho-
liken fünf freie Universitäten gegründet: in Paris
(Institut Catholique de Paris), Angers, Lille,
Lyon und Toulouse.
IX. Studentenwesen. Das den deutschen Uni-
versitäten eigentümliche Studentenwesen fällt zeit-
lich und ursächlich mit der Gründung der ersten
Hochschulen auf deutschem Boden zusammen. Im
15. Jahrh. kam neben der Nationeneinteilung
auch das Bursenwesen auf. Aus dem Namen vieler
Bursen (in Wien z. B. gab es eine schlesische
Burse) läßt sich schließen, daß sie zum Teil auf
landsmannschaftlicher Grundlage beruhten. Im
16. Jahrh. gerieten sie mehr und mehr in Verfall
(s. oben), und die Studenten lebten vielfach allein
in Privathäusern der Universitätsstadt. Da die
Bürger auf solche Mieter wenig oder gar nicht
eingerichtet waren, die Studenten vielmehr ohne
Aufsicht und Zucht lebten, so trat einerseits eine
arge Sittenverwilderung ein, anderseits bildeten
sich neue Kollegien, deren Besucher und Bewohner
meist Landsleute waren. So entstanden die ersten
Landsmannschaften, die in der letzten Hälfte des
17. Jahrh. schon organisiert waren. Sie hatten
Senioren, Fiskale (Schatzmeister) und Bediente
(lkamuli). Da in ihnen die ursprünglich ernsthafte
Förmlichkeit der sog. Deposition mehr und mehr
ausartete und den neuangekommenen Studenten
(Füchsen) unter unzüchtigen und groben Possen
„die Hörner abgelegt“, d. h. sie für die öffent-