Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Mittel des Verkaufs der Schuldverschreibungen 
an der Börse zum Tageskurs benutzen, und für 
verhältnismäßig kleine Beträge kann es wohl mit 
Vorteil angewendet werden. Für die Realisierung 
großer, rasch zu beschaffender Summen eignet es 
sich jedoch nicht, weil die Verkäufe bald den Kurs 
so weit herabdrücken würden, daß sie ohne Scha- 
den nicht fortgesetzt werden könnten. 
Die Lösung der Aufgabe, eine Anleihe möglichst 
vorteilhaft für den Staat zu stande zu bringen, 
ist oft eine keineswegs leichte. Es gehört dazu 
richtiges Erkennen und Beurteilen aller für die 
zweckmäßigste Art der Anleihe und ihrer Begebung 
in Betracht kommenden Verhältnisse und eine ge- 
schickte, jedoch unlautere Mittel verschmähende Be- 
handlung. Unter schwierigen Umständen kann sich 
daran das Talent eines Finanzministers erproben. 
Für die Tilgung einer Staatsschuld sind häufig, 
wie schon bemerkt, in den Anleihebedingungen be- 
stimmte Zusagen erteilt, für deren pünktliche Er- 
füllung dann gesorgt werden muß. Ohne solche 
Verpflichtung kann der Staat immer nach seinem 
freien Ermessen durch Rückkauf seiner Schuld- 
verschreibungen tilgen, außerdem aber auch, sofern 
es nach der Art der Anleihe zulässig ist, durch 
Kündigung von Schuldverschreibungen zur Ein- 
lösung, wobei Verlosung stattfindet, wenn nicht 
eine ganze Anleihe gekündigt wird. Von der 
Kündigung wird man zu freier Tilgung keinen 
Gebrauch machen, solang der Kurs der betreffen- 
den Anleihe unter Pari, d. i. unter dem Betrag 
des bei der Kündigung zu zahlenden Nominal- 
kapitals, steht, da man alsdann vorteilhafter durch 
Rückkauf tilgen kann. Ist der Kurs höher ge- 
stiegen, so liegt es im Interesse des Staats, durch 
Anwendung des Kündigungsrechts zu tilgen. 
Wenn man auch den Gläubigern gegenüber 
keine bestimmte Verbindlichkeit zur Tilgung über- 
nommen hatte, wurde doch in manchen Staaten 
durch gesetzliche Maßregel ein Tilgungsfonds 
gegründet, dem man gewisse Staatseinnahmen 
zuwies, oder den man mit einer festgesetzten jähr- 
lichen, bei neuen Anleihen entsprechend erhöhten 
Summe dotierte, und dem man auch die Zinsen 
oder Renten der durch ihn eingelösten Schuld- 
verschreibungen zuwachsen ließ. Indem dieser 
Fonds hiernach mit immer zunehmenden Mitteln 
operieren konnte, sollte so in nicht zu langer Zeit 
die ganze Schuld getilgt werden. Wenn aber für 
neue außerordentliche Bedürfnisse neue Schulden 
zu ungünstigen Bedingungen gemacht werden 
mußten, gereichten die Operalionen des Tilgungs- 
sonds zum Nachteil des Staats, da die dafür 
verwendeten Summen besser dazu benutzt worden 
wären, den Betrag der neuen Anleihe zu vermin- 
dern. Dies führte dann dazu, daß man die Do- 
tation des Tilgungsfonds beschränkte oder fuspen- 
dierte, oder daß man den erworbenen Schuldtitel 
wieder ausgab oder endlich die Einrichtung ganz 
aufhob und jedesmal bei der Feststellung des 
Staatsbudgets darüber bestimmte, ob und welche 
Staatsschulden. 
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Summen für Tilgungen, die den Gläubigern 
nicht zugesichert waren, zu verwenden seien. So 
ist es z. B. in England, Frankreich und Osterreich 
geschehen. 
Als eine Art der Tilgung, und zwar als eine 
für den Staat sehr vorteilhafte, ist auch die Re- 
duktion des Zinsfußes einer bestehenden 
Schuld anzusehen, da durch sie die Belastung der 
Staatskasse mit dem Zinsenerfordernis ebensowohl 
vermindert wird wie durch Kapitalabtragungen. 
Geschieht sie mit Verletzung der übernommenen 
Verbindlichkeiten gegen die Gläubiger, so gehört 
sie zu den unrechtmäßigen Maßregeln, die einen 
teilweisen Staatsbankrott in sich schließen. Kann 
sie aber ohne solche Verletzung dadurch bewerk- 
stelligt werden, daß den Gläubigern für den Fall 
der Verweigerung der Zinsermäßigung gekündigt 
wird und dieselben es vorziehen, die Ermäßigung 
sich gefallen zu lassen, so ist dies keine ungerechte 
Maßregel, vielmehr eine solche im allgemeinen 
Interesse des Volks, das die Mittel zur Ver- 
zinsung der Staatsschuld ausbringen muß. Das 
Interesse der Gläubiger leidet allerdings dabei, 
und dieses macht sich manchmal stark genug geltend, 
um eine mögliche Zinsreduktion zu verhindern, 
namentlich wenn die betreffenden Schuldforde- 
rungen in weiten Kreisen inländischer Gläubiger 
verbreitet sind, welche durch die Verminderung ge- 
wohnter Einnahmen empfindlich berührt würden. 
Die rechtliche Voraussetzung einer Zinsreduktion. 
besteht hiernach darin, daß die Kündigung zur Ein- 
lösung der Schuld nach den Anleihebedingungen 
zulässig ist. Die faktische Voraussetzung für den 
Erfolg ist aber, daß die Gläubiger keine ihnen 
passende Gelegenheit finden, durch anderweite An- 
legung der eventuell gekündigten Summen höhere 
Zinsen zu beziehen als diejenigen, welche ihnen 
verbleiben, wenn sie auf die Zinsreduktion ein- 
gehen. Dies wird in der Regel dann der Fall 
sein, wenn die vorhandenen, auch nur den niedri- 
geren Zins tragenden Schuldverschreibungen des- 
selben Staats, wie auch anderer, keinen schlech- 
teren Kredit genießenden Staaten, den Parikurs 
bereits überstiegen haben. Da indessen immer zu 
erwarten ist, daß ein Teil der Gläubiger die 
Kapitalheimzahlung vorziehen wird, so muß die 
Regierung bereitliegende Mittel dafür besitzen oder 
sich deren versichern. Oft wird den Gläubigern, 
welche sich der Zinsherabsetzung fügen, noch ein 
Vorteil bewilligt, bald durch eine kleine Bar- 
zahlung, bald durch Fortgewährung der höheren 
Zinsen auf eine kurze Zeit, bald durch eine Zu- 
gabe in Schuldverschreibung, also durch Erhöhung 
des Nominalkapitals. Natürlich wird dadurch die 
sich ergebende Zinsenersparnis vermindert, und 
wenn auch zu einer gegebenen Zeit ein solches 
Opfer (Konvertierungsprämie) notwendig sein 
mag, um die beabsichtigte Umwandlung des Zins- 
sußes mit Erfolg durchzuführen, so gereicht es doch 
nur dann zum Vorteil des Staats, wenn sein 
Wert geringer ist als der Gewinn aus der ver- 
 
	        
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