Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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demische Turn-, Sport= und Gesangvereine, fach- 
wissenschaftliche und sozialpolitische Vereine ent- 
standen, die meist einen loseren Verband darstellen 
als die oben angeführten. Das was die deutschen 
Studentenkorporationen von den studentischen Ver- 
einigungen in nichtdeutschen Ländern unterscheidet, 
ist außer dem engen Kartellverhältnis, das die zu 
derselben Richtung gehörigen Korporationen um- 
schließt, die lebenslängliche Zugehörigkeit der Mit- 
glieder zu der Korporation, der sie sich als Stu- 
denten anschlossen. Die Interessen und Ziele der 
einzelnen Verbände werden in eignen Organen 
vertreten, als deren bedeutendste zu nennen sind: 
„Akademische Monatshefte“ (Korps), „Burschen- 
schaftliche Blätter“ (Burschenschaften), „Academia“ 
(katholische Verbindungen), „Akademische Monats- 
blätter“ (katholische Vereine); „Unitas“ (Verband 
der wissenschaftlich katholischen Studentenvereine 
„Unitas"), „Wingolf“ (Wingolfblätter), „Blätter 
aus dem Schwarzburgbund“. Die Finkenschafts- 
bewegung, später freistudentische Bewegung ge- 
nannt, setzte nach vorübergehenden Versuchen der 
„Unabhängigen“ zu Berlin und der Freien Stu- 
dentenschaft zu Freiburg 1892 zielbewußt und 
erfolgreich in Leipzig 1896 ein, indem sie auf den 
Begriff der einheitlichen und gleichberechtigten ci-, 
vitas academica zurückgriff. Sie erhob den An- 
spruch, eine Vertretungsgemeinde aller nichtinkor- 
porierten Studenten zu sein. Das sog. Vertretungs-- 
prinzip war die demokratische Grundlage sämtlicher 
Freistudentenschaften. Seit 1901 beschränkt sich 
der genannte Anspruch nur noch auf die Inter- 
essen aller Freistudenten. Durch die Einrichtung, 
der Arbeiterbildungskurse suchte die Freistudenten= 
schaft zwischen Arbeiterschaft und Studentenschaft 
einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Solcher Kurse 
gibt es jetzt in mehr als 25 Hochschulstädten. Die 
Durchschnittsteilnahme der Studenten beträgt 
700/800, die der Arbeiter und Arbeiterinnen 
7000/8000. Des weiteren gründete die Frei- 
studentenschaft an mehreren Hochschulen Arbeits- 
ämter und 1903 in Charlottenburg das erste 
Studentenheim (Paul Ssymank, 13 Jahre Frei- 
studententum (1910.|). Auf katholischer Seite fand 
der sozialstudentische Gedanke innerhalb der Kor- 
porationen eine planvolle Pflege, besonders aber 
in dem Sekretariat sozialer Studentenarbeit zu 
M.-Gladbach einen Mittelpunkt, in erster Reihe 
für Nichtinkorporierte. Diese Tätigkeit konzentriert 
sich besonders in Gemeinschaftsarbeit, in Arbeiter- 
unterrichtskursen sowohl während des Semesters, 
wie während der Ferien in Stadt und Land. Zu 
ihrer Förderung wurde der Westdeutsche Verband 
heimatlicher Arbeiterkurse gegründet. Dazu kommt 
Mitarbeit in Vereinen der gewerblichen Jugend, 
Veranstaltung von Bücher= und Kunstausstellungen 
und schließlich die nach englisch-amerikanischem 
Muster eingerichtete Residenzarbeit in Gesellen- 
und Fürsorgehäusern und in Arbeiter= und Ge- 
werkschaftssekretariaten (Karl Sonnenschein, Die 
sozialstudentische Bewegung /1909)]; Soziale Stu- 
  
  
Universitäten. 
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dentenblätter, hrsg. von K. Sonnenschein1909f f#; 
Paul Dienstag, Soziale Tendenzen im deutschen 
Studentenleben (1909)). 
X. Verhältnis zu Kirche, Staat und Ge- 
sellschaft. 1. Das Verhältnis der Universitäten zur 
Kirche war bis zum 16. Jahrh. so gestaltet, daß 
sie als zu ihrem Organismus gehörig überhaupt 
kirchliche Anstalten waren. Zunächst wurde bei der 
Gründung einer solchen die Mitwirkung des päpst- 
lichen Stuhls erbeten. Der Papst erteilte bei den 
alten Universitäten durch besondere Bulle die Er- 
mächtigung, zu lehren, die akademischen Grade zu 
erteilen und dadurch die facultas docendi auf 
andere zu übertragen. Besondere Förderer der 
Universitäten waren Innozenz III., Honorius III., 
Gregor IX., Johann XXII. und Pius II. Die 
Rechte der Kirche überwachte der Kanzler oder in 
seiner Vertretung der Vizekanzler; dieses Amt über- 
nahm oft ein Bischof. Zur Wahrung der Rechte 
und Freiheiten der Universitäten hingegen bestellte 
die Kirche die Konservatoren. Vor allen Dingen 
sorgte sie für das materielle Wohl der Universitäts- 
mitglieder. Zum Teil beruhte das Ansehen und 
die Selbständigkeit der Hochschulen geradezu auf 
ihrem materiellen Besitz, vornehmlich im Ausland. 
Die Professoren wurden von der Kirche mit Ge- 
halt ausgestattet; zugleich mit den Scholaren 
waren sie vielfach Anwärter oder Inhaber kirch- 
licher Präbenden. Um deren Einkommen zu ver- 
mehren, haben die Päpste durch das ganze Mittel- 
alter hindurch bie Einverleibung kirchlicher Pfrün- 
den in das Universitätsvermögen bewilligt, außer- 
dem aber gestattet, daß Geistliche, welche den 
Lehrberuf ausübten, auf Kanonikate anderer Di5- 
zesen präsentiert werden durften. Sie legten in 
besondern Fällen auch dem Klerus einen Zehnten 
aller seiner Einkünfte auf, dessen Ertrag für die 
Universitäten bestimmt war. Einzelne Universi= 
täten hatten sogar das Recht erworben, dem Papst 
von Zeit zu Zeit einen sog. Rotulus, d. h. ein 
Verzeichnis von würdigen Kandidaten aus den 
Professoren und Scholaren zur Erlangung von 
kirchlichen Pfründen vorzulegen, die oft in ver- 
schiedenen Diözesen lagen. An den Dom= und 
Kollegiatkirchen war außerdem häufig eine gewisse 
Zahl von Stellen für solche vorbehalten, die einen 
theologischen Grad an der Universität erworben 
hatten. Später wurde für solche Würden das 
Studium auf der Universität geradezu verlangt 
und dadurch der Besuch derselben wesentlich ge- 
fördert. So versteht man, wenn die Gesamtheit 
der Universitätsmitglieder in den Statuten von 
Wien als clerus universitatis bezeichnet wird. 
Auch äußerlich war ihre Zugehörigkeit zum geist- 
lichen Stand zu erkennen an ihrer Kleidung: die 
Scholaren trugen einen langen Rock mit Gürtel 
und Kapuze, die Magister ein Barett. In der 
ersten Hälfte des Mittelalters waren die Dozenten 
zum Zölibat verpflichtet; am Ende des 15. Jahrh. 
wurden die Lehrer der nichttheologischen Fakultäten 
davon befreit. Noch 1482 konnte in Heidelberg
	        
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