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fessuren sowie die Erteilung der venia legendi.
Die Uberreste der akademischen Gerichtsbarkeit sind
nach der Neuordnung der deutschen Gerichtsver-
fassung im Jahr 1879 zu einer beschränkten Diszi-
plinarbefugnis der akademischen Behörden zusam-
mengeschrumpst. Die Strafmittel sind Geldbußen
bis zu 20 M Karzer bis zu 14 Tagen, An-
drohung von Verweisung und endliche Verwei-
sung und Ausschluß von der Universität.
3. Um armen Studenten die materiellen Lasten
des Studiums zu erleichtern, werden drei Arten
von Unterstützungen gewährt: 1) Stundung des
Honorars, in Preußen in der Regel auf sechs
Jahre; 2) Gewährung von Freitischen, in einigen
Staaten freie Wohnung und Kost in landesherr-
lichen Konvikten; 3) Stipendien. Die Verleihung
eines solchen Benefiziums ist in der Regel ab-
hängig von einem in jedem Semester abzulegenden
Examen über den Erfolg der in einem Semester
gehörten Vorlesungen. In Bayern besteht dafür
das System des ganzen oder halben Honorar-
erlasses. Der Besuch der Universitäten ist in
Deutschland den Angehörigen aller gesellschaft-
lichen Klassen zugänglich. Vorbedingung der
Immatrikulation ist das Reifezeugnis einer neun-
stufigen höheren Lehranstalt des Deutschen Reichs.
Das Berechtigungswesen ist durch die Einbeziehung
der verschiedensten Anstalten mit voneinander ab-
weichenden Bildungszielen schwankend geworden
und noch in fortwährender Umbildung begriffen.
(Im übrigen vgl. A. Beier, Die Berufsausbildung
nach den Berechtigungen der höheren Lehranstalten
in Preußen. Zusammenstellung der hierauf bezüg-
lichen Gesetze usw. [1903, 21907).) Nach den
statistischen Erhebungen macht sich in der neuesten
Zeit im Verhältnis zum Mittelalter eine Ein-
schränkung der Besucher insofern bemerkbar, als
die sog. Arbeiterklasse auf der Hochschule fast nicht
mehr vertreten ist. Schuld daran ist die lange
Studiendauer und bei den Beamtenberufen die
lange Wartezeit bis zur Anstellung.
Eine weitere Ausdehnung und praktische Be-
deutung für die Gesellschaft hat die Universität
durch das Frauenstudium und das Streben der
Frauen nach der Ausübung gelehrter Berufe ge-
wonnen. Baden öffnete den studierenden Frauen
im Jahr 1892 seine Universitäten; im Jahr 1900
wurde in Heidelberg die erste Studentin zum
Examen zugelassen. Am 12. Okt. 1905 erfolgte
der Beschluß des Bundesrats, wonach studierende
Frauen nach abgelegter Abiturientenprüfung als
Hospitantinnen an den Universitäten zugelassen
werden. Darauf entschlossen sich Baden und
Württemberg zuerst, studierenden Frauen das
Recht der vollen Immatrikulation zu geben; im
Winter 1908/09 folgten Preußen und Elsaß-
Lothringen für die Universitäten, 1909 Preußen
auch für die Technischen Hochschulen. Nach den
Erlassen des preußischen Unterrichtsministers vom
18. Aug. 1908, 3. und 11. April 1909 werden
Frauen, welche sich zur Prüfung für das höhere
Universitäten.
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Lehramt vorbereiten, zur Immatrikulation zuge-
lassen, wenn sie nachweisen, daß sie nach erfolg-
reichem Besuch einer anerkannten höheren Mädchen-
schule und eines anerkannten höheren Lehrerinnen-
seminars die volle Lehrbefähigung für mittlere
und höhere Mädchenschulen erlangt haben, und
ein Zeugnis darüber beibringen, daß sie nach
Erlangung der Lehrbefähigung für mittlere und
höhere Mädchenschulen wenigstens zwei Jahre an
höheren Mädchenschulen voll beschäftigt waren.
Bei Lehrerinnen, welche die Unterrichtstätigkeit
bereits vor Inkrafttreten der Bestimmungen über
die Oberlehrerinnenprüfungen vom 3. April 1909
begonnen haben, genügt es, daß sie mindestens
fünf Jahre nach Erlangung der lehramtlichen Be-
fähigung im Lehrberuf gestanden haben, und daß
sie davon mindestens zwei Jahre an Schulen in
Preußen oder in einem der Bundesstaaten, mit
denen Preußen ein Abkommen wegen Anerkennung
der Prüfungszeugnisse getroffen hat, voll beschäf-
tigt gewesen sind (Zentralblatt für die gesamte
Unterrichtsverwaltung in Preußen (/19081] 691 ff,
[1909] 401 411 ff; Helene Lange und Gertrud
Bäumer, Handbuch der Frauenbewegung LI1901|;
Jos. Mausbach, Frauenbildung und Frauen-
studium im Lichte der Zeitbedürfnisse und Zeit-
gegensätze (1910|). Im Sommer 1909 waren in
Deutschland 1409 Studentinnen immatrikuliert,
davon 900 in Preußen, in Berlin 417. Noch im
Jahr 1905 wandte sich mehr als die Hälfte der
studierenden Frauen der Medizin zu, inzwischen
ist der Anteil derselben auf den vierten Teil zurück-
gegangen. Dagegen entfällt jetzt etwa die Hälfte
der Studentinnen auf Sprachwissenschaft und
Literatur sowie Mathematik. Der Verband der
Vereine studierender Frauen umfaßt 13 Vereine
mit etwa 700 Mitgliedern. Daneben besteht der
Deutsch-Akademische Frauenbund. Im Winter
1910//11 stieg die Zahl der studierenden Frauen
auf 2412 und stellte 4, 4 % der deutschen Stu-
dentenschaft dar. Die Zahl der Ausländerinnen
betrug 320, die etwa zur Hälfte aus Rußland, zu
einem Drittel aus Amerika stammten. 806 Stu-
dentinnen waren an der Universität Berlin ein-
geschrieben, 222 in Bonn, 192 in München.
XI. Gegenwärtige Aniversitätsverfas-
sung, Rechts- und Besoldungsverhältnisse
der Dozenten. Der Lehrkörper der Hochschulen
setzt sich zusammen aus den staatlich angestellten
und besoldeten ordentlichen öffentlichen (o. ö.), den
außerordentlichen (ado.) Professoren und den Pri-
vatdozenten, die ohne amtliche Lehrverpflichtung
die Befugnis haben, zu lehren. Die ordentlichen
Professoren besorgen die regelmäßigen Universi-
täts- und Fakultätsgeschäfte; aus ihnen werden
der Rektor, die Dekane und die Mitglieder des
Senats gewählt. Die außerordentlichen Pro-
fessoren sind teils elatsmäßig und besoldet teils
unbesoldet. Privatdozenten, die längere Zeit mit
Erfolg tätig waren, wird in der Regel, falls keine
besoldete Lehrstelle erledigt ist, der Professorentitel