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gelegt wird. Die Schüler sollen befähigt werden,
nach gegebenen Vorbildern zu skizzieren sowie
Werkzeichnungen zu verstehen, um danach arbeiten
zu können. Nach ihrem Beruf werden die Schüler
beim Zeichenunterricht in zwei Gruppen geteilt.
Die erste umfaßt diejenigen, die vorzugsweise das
freihändige Zeichnen gebrauchen, wie Bildhauer,
Goldschmiede, Graveure, Lithographen, Maler,
die zweite diejenigen, für die besonders das ge-
bundene Zeichnen von Nutzen ist, also Maurer,
Zimmerer, Steinhauer, Schmiede, Mechaniker
u. dgl. Zur Erteilung dieses Zeichenunterrichts
werden, soweit möglich, auch Praktiker, Hand-
werker, Architekten, Ingenieure usw. herangezogen.
Diejenigen Handwerker und sonstigen Gewerbe-
treibenden, die sich eine umfassendere und gründ-
lichere Fachbildung aneignen wollen, besuchen die
Handwerker= und Kunstgewerbeschulen sowie die
für die einzelnen Gewerbe bestehenden Spezial-
fachschulen. Zur Aufnahme in diese Schulen
werden im Gegensatz zu den Fortbildungsschulen
in der Regel ein reiferes Alter und einige durch
mehrjährige Praxis erworbene Kenntnisse und
Fertigkeiten verlangt. Zu ihnen gehören z. B. die
Baugewerkschulen, in denen die Bauhandwerker
die zur erfolgreichen Ausübung des Berufs als
selbständige Meister erforderliche Fachausbildung
erlangen und die mittleren Techniker und techni-
schen Beamten vorbereitet werden sollen. Zur
Aufnahme in die Baugewerkschule ist der Nach-
weis einer guten Volksschulbildung, die Voll-
endung des 16. Lebensjahrs und eine praktische
Tätigkeit von mindestens zwei Bausommern auf
Baustellen oder Werkplätzen nötig. An den Bau-
gewerkschulen sind mündliche und schriftliche Ab-
gangsprüfungen eingeführt. An einzelnen dieser
Schulen sind in neuerer Zeit versuchsweise zwei-
semestrige Polierschulen eingerichtet worden. Sie
sollen Gelegenheit zur Aneignung derjenigen
Kenntnisse geben, die von einem tüchtigen Polier
verlangt werden.
Von technischen Mittelschulen im engeren Wort-
sinn, nämlich von maschinentechnischen Fachschulen
mit einer Unterrichtsdauer von mindestens 1½
Jahren, gab es Anfang 1911 in Deutschland
23 staatliche Anstalten mit rund 4000 Schülern
und 32 nichtstaatliche Schulen mit etwa 6000
Schülern. Von diesen Anstalten gehen jährlich
rund 5000 Schüler als mittlere technische Beamte
in die Industrie über, die also an der Beschaffen-
heit dieser Schulen das größte Interesse nehmen
muß. Das kam zum Ausdruck durch die Grün-
dung des „Deutschen Ausschusses für technisches
Schulwesen“, die 1908 unter Führung des Ver-
eins deutscher Ingenieure und des Vereins deut-
scher Maschinenbauanstalten zustande kam. In
Preußen heißen die technischen Mittelschulen König-
liche Maschinenbauschulen, in Sachsen Technische
Staatslehranstalten und in manchen Bundes-
staaten Technikum. Die klare Abgrenzung dieser
Schulen gegenüber den Technischen Hochschulen
Unterrichtswesen.
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(s. d. Art. Universitäten) und den Technischen
Arbeiterschulen — in diese drei Hauptgruppen
gliedert sich das gesamte Technische Schulwesen —
ist im Werden begriffen.
Wie die technischen Schulen in ihrer Mannig-
faltigkeit durchaus den Bedürfnissen und Anforde-
rungen des praktischen Lebens entsprechen, so muß
sich auch die Zahl und Einrichtung der höheren
Schulen nach der Kultur eines Landes richten.
Normalerweise sollen sie so organisiert sein, daß
ihr Besuch eine genügende Anzahl von Personen
befähigt, an den Kulturaufgaben der Gegenwart
und nächsten Zukunft mitarbeiten zu können. Wie
groß die Zahl der Vertreter der gelehrten Be-
rufe sein darf und muß, hängt in erster Linie
ab von den wirtschaftlichen Verhältnissen. Je
weniger entwickelt diese sind, um so weniger Ver-
treter können herangebildet werden, um so weniger
sind aber auch notwendig. Geistliche sind unter
allen wirtschaftlichen Verhältnissen vorhanden und
notwendig gewesen. Gelehrter Richter bedurfte
man erst, als die Entwicklung der wirtschaftlichen
Verhältnisse so viele und so für die speziellen Ver-
hältnisse eingerichtete Gesetze notwendig machte,
daß nur der Beruferichter alles übersehen konnte.
Je größer das Feld wurde, dessen Bearbeitung
den Verwaltungsbeamten oblag, und je mehr die
Verwaltung des einzelnen Gebiets mit der staat-
lichen Gesamtverwaltung in Verbindung und Ab-
hängigkeit gebracht wurde, um so mehr trat der
Berufsverwaltungsbeamte an die Stelle des Ver-
waltungsbeamten, welcher sein Amt nur als Neben-
amt versah. Baumeister in größerer Zahl brauchte
man erst, als man daran denken konnte, viele
größere und komplizierte Bauten aufzuführen,
und die Anlegung der Verkehrswege und die Her-
stellung der Verkehrsmittel nicht mehr allein Sache
der praktischen Arbeit war. In der Mitte der
1830er Jahre konnte noch ein deutscher Schrift-
steller sagen: vielleicht werde es einmal notwendig
sein, für den Eisenbahnbau besondere Schulen
einzurichten. Die weitere Entwicklung der Kul-
tur, besonders in Handel und Industrie, das dich-
tere Zusammenwohnen der Menschen, vornehmlich
aber das Anwachsen der Städte, verlangt nicht
nur absolut, sondern auch relativ mehr Vertreter
der gelehrten Berufe. Wenn wir im Verhältnis
zur Bevölkerung heute nicht mehr Richter, höhere
Verwaltungsbeamte, Lehrer, Arzte usw. hätten als
vor 50 Jahren, so würde das vorhandene Be-
dürfnis nicht befriedigt werden können. Tatsäch-
lich ist auch im ganzen die Zahl der Vertreter der
genannten Berufe im Verhältnis zur Bevölkerung
um so größer, je dichter diese ist.
Außer der größeren Zahl der Angehörigen ge-
lehrter Berufe ist mit der Zeit auch eine breitere
und tiefere Ausbildung gegen früher nötig ge-
worden. Das verlangen die Berufsaufgaben und
zugleich die führende Stellung im Volksleben,
welche diese Berufe einnehmen sollen. Die stei-
gende Kultur, welche immer mehr Vertreter der
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