Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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berechtigung des Gymnasiums, des Realgymna- 
siums und der Oberrealschule, die 1901 in 
Preußen prinzipiell anerkannt wurde, und um den 
altsprachlichen Unterricht, der 1901 vorläufig in 
seinem alten Umfang wiederhergestellt wurde. Seit 
die neunstufigen Realanstalten dem Gymnasium 
gleichgewertet wurden, ist der Zugang zu ihnen 
stetig gewachsen. 1910 gab es in Deutschland 
509 Gymnasien (in Preußen 326), 159 Real- 
gymnasien (in Preußen 103), 111 Oberreal- 
schulen (in Preußen 61), 85 Progymnasien (in 
Preußen 41). 76 Realprogymnasien (in Preußen 
48) und 354 Realschulen (in Preußen 157). Am 
deutlichsten ist die Bevorzugung der Oberreal- 
schulen in Bayern zu beobachten, wo diese An- 
stalten erst 1908 eingeführt worden sind; schon 
nach einem Jahr war die größte humanistische 
Schule, das Theresien-Gymnasium in München 
(826 Schüler), von der Luitpold-Kreisoberreal- 
schule mit ihren 820 Schülern fast eingeholt wor- 
den. Das Gymnasium aber läßt man mit Reform- 
versuchen nicht zur Ruhe kommen und möchte am 
liebsten eine Allerweltsanstalt aus ihm machen. 
Am aussichtsreichsten sind die Bemühungen, seine 
Oberstufe in zwei Zweige auslaufen zu lassen, 
einen historisch -philologischen und einen mathe- 
matisch-naturwissenschaftlichen, zwischen denen den 
Primanern je nach Neigung und Begabung die 
Wahl gelassen werden soll. 
Radikaler gehen die Reformschulen vor; 
das sind Gymnasien oder Realgymnasien, die 
einen mit den sechsstufigen Realschulen gemein- 
samen dreiklassigen Unterbau ohne Latein haben. 
Man unterscheidet bei ihnen einen doppelten 
Typus, den Altonaer und den Frankfurter. Beide 
lassen das Französische in VI, das Latein in 
IIIB beginnen; dagegen verlegt der Altonaer 
Lehrplan den Anfang des Englischen nach IV, 
der Frankfurter nach II B. Da die Vorteile dieser 
Schulgattung (Aufschub der Entscheidung für die 
künftige Berufswahl; Befriedigung der ver- 
schiedenartigsten Bildungsbedürfnisse mit verhält- 
nismäßig geringen Kosten) augenfällig sind, so 
ist die Reformschulbewegung, zumal bei der regen 
Propaganda des 1889 gegründeten „Vereins für 
Schulreform“, sehr lebhaft. Schon auf der Ber- 
liner Schulkonferenz von 1890 beantragte über ein 
Drittelder Teilnehmer die Einführung eines mit den 
lateinlosen Schulen gemeinsamen Unterbaues auch 
für die Gymnasien. 1910 gab es in Preußen 
106 Reformschulen, in Baden 11, in Bayern 1, 
in Sachsen 6, in Mecklenburg-Schwerin, Braun- 
schweig, Sachsen-Altenburg und Reuß j. L. je 1, 
in den drei Hansestädten 6, in ganz Deutschland 
also 134, von denen die weitaus meisten dem 
Frankfurter System folgen. 
Hinsichtlich der Berechtigungen, derentwegen 
jahrelang zwischen den drei neunstufigen höheren 
Schulen ein erbitterter Streit bestand, ist jetzt eine 
leidliche Einigkeit erzielt worden. Seit 1902 
werden in Preußen, Waldeck, Anhalt und 
Unterrichtswesen. 
  
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Schwarzburg-Sondershausen, seit 1905 in Baden, 
Lübeck und Elsaß-Lothringen, seit 1906 in Ham- 
burg, Hessen und Oldenburg die Abiturienten der 
Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen 
zu sämtlichen akademischen Studienfächern zu- 
gelassen. Die Theologie bleibt dagegen in allen 
Bundesstaaten, mit alleiniger Ausnahme von 
Baden, Monopol des Gymnasiums. Außerdem 
ist in sämtlichen deutschen Landesteilen freigegeben: 
die Medizin, Zahnheilkunde und Tierarzneikunde, 
sowie das höhere Post-, Telegraphen-, Schiffbau- 
und Marinebaufach. Andere Fächer, wie nament- 
lich die Jurisprudenz, sind in verschiedenen Bun- 
desstaaten den Oberrealschul- und Realgymnasial- 
Abiturienten noch verschlossen. — Für die nicht 
neunstufigen höheren Schulen oder deren einzelne 
Klassen gelten folgende Bestimmungen: Das 
Zeugnis der Reife für die oberste Klasse einer 
Realschule oder eines Realprogymnasiums 
oder Progymnasiums oder für die Untersekunda 
einer Vollanstalt berechtigt zur mittleren Post- 
laufbahn, zur Zahlmeisterlaufbahn in der kaiser- 
lichen Marine und zum Besuch einer Lehranstalt 
des königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin. 
Das Zeugnis der Reife für die oberste Klasse 
eines Realprogymnasiums oder eines Progymna= 
siums bzw. die Untersekunda eines Realgymna- 
siums oder Gymnasiums berechtigt insbesondere 
noch zum Eintritt in die Hauptkadettenanstalt zu 
Lichterfelde. Das Reifezeugnis einer Real- 
schule oder eines Realprogymnasiums oder eines 
Progymnasiums bzw. die entsprechenden Zeugnisse 
über die Abschlußprüfung nach dem sechsten Jahr- 
gang einer Vollanstalt berechtigt nach der Kabinetts- 
order vom 1. Dez. 1891 zum Zivilsupernumerariat 
bei den königlichen Provinzial= und Bezirksbehör- 
den, zum Zivilsupernumerariat größerer Städte 
und weiterer Kommunalverbände, zur gerichtlichen 
Subalternlaufbahn, zum Zivilsupernumerariat im 
Staatsbahndienst, zur Zahlmeisterlaufbahn in der 
Armee, zur Anstellung bei der deutschen Reichsbank 
nach vorausgegangener praktischer Ausbildung in 
einem Bankgeschäft, zum Studium der Landwirt- 
schaft an den landwirtschaftlichen Hochschulen, zum 
Besuch der Kunstakademie in Berlin und zur Prü- 
fung als Zeichenlehrer an höheren Schulen, zum 
Besuch der akademischen Hochschule für Musik in 
Berlin, zum Eintritt in die zweite Klasse einer 
jeden mittleren Fachschule, zum Besuch der höheren 
Abteilung der königlichen Gärtnerlehranstalt zu 
Potsdam, wenn gleichzeitig im Latein die Reife 
für Untertertia eines Realgymnasiums nachgewiesen 
wird. Das Reifezeugnis eines Realprogym- 
nasiums oder Progymnasiums berechtigt 
außerdem noch zur Apothekerlaufbahn und zum 
unbeschränkten Eintritt in die königliche Gärtner- 
lehranstalt in Potsdam. Das Reifezeugnis für 
die Unterprima einer Oberrealschule berech- 
tigt zur Laufbahn als Telegrapheninspektor bei 
den königlichen Eisenbahnen, zur Landmesser- 
prüfung und der Anstellung als Katasterbeamter 
 
	        
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