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bei einem tatsächlichen Angriff oder bei einer
drohenden Gefahr, die keinen Aufschub zuläßt).
Für andere Gebiete sind die Einzelstaaten zu-
ständig, ob sie nun in der Verfassung der Union
ausdrücklich genannt sind oder nicht. So hat jeder
Staat das Recht, seine Verfassung nach eignem
Ermessen festzustellen, wobei er allerdings die Zu-
ständigkeitsvorschriften der Union zu beachten hat;
die einzelnen Staaten haben ferner die Gesetz-
gebung über das bürgerliche, Handels-, Wechsel-,
Straf= und Prozeßrecht (mit einigen wenigen
Ausnahmen), über Sozialpolitik (die in der Union
recht mangelhaft ist), über Fabrik-, Gewerbe= und
Unterrichtswesen, die Polizeihoheit, die Verkehrs-
polizei in Bezug auf die einzelnen Häfen und über
die öffentlichen Wege und Verkehrsanstalten (soweit
sie nicht über das Gebiet des einzelnen Staats
hinausreichen) usp. In einigen Füällen ist die
Zuständigkeit des Kongresses durch die Verfassung
ausdrücklich ausgeschlossen; so darf der Kongreß
keine Gesetze erlassen über religiöse Einrichtungen
oder solche, welche die Rede-, Versammlungs-,
Preß= und Petitionsfreiheit einschränken (wohl
aber die Einzelstaaten). Weder der Kongreß noch
die Einzelstaaten dürfen Gesetze mit rückwirkender
Kraft oder solche, die eine strafgerichtliche Ver-
urteilung enthalten, erlassen. Wenn der Kongreß
innerhalb seiner Zuständigkeit ein Gesetz erlassen
hat, so geht dieses den Gesetzen der Einzelstaaten
vor bzw. hebt ein entgegenstehendes Staatengesetz
ohne weiteres auf; macht die Union von ihren
Befugnissen keinen Gebrauch, so können die Einzel-
staaten Gesetze in der betreffenden Materie be-
schließen. Staatsgesetze, die mit der Verfassung
der Union in Wlderspruch stehen, sind nichtig;
darüber, ob ein Staatengesetz gegen die Verfas-
sung, die Gesetze oder Verträge der Union ver-
stößt, entscheiden die Bundesgerichte im einzelnen
Fall, d. h. wenn sie im Lauf eines bestimmten
Rechtsstreits zwischen den Parteien die Frage nach
der Gültigkeit eines Gesetzes zu entscheiden haben.
— Die Union gewährleistet jedem Einzelstaat
eine republikanische Regierungsform; sie schützt
jeden von ihnen gegen feindliche Angriffe von
außen sowie auch gegen Aufruhr im Innern, falls
die gesetzgebende Versammlung oder, wenn diese
nicht einderufen werden kann, die oberste Ver-
waltungsbehörde um Hilfe bei der Union nach-
sucht. Die Aufnahme neuer Staaten in die Union
kann nur durch ein Gesetz des Kongresses erfolgen,
der in diesem Fall zu entscheiden hat, ob die von
dem neuen Staat angenommene Verfassung repu-
blikanisch ist, wie sie nach der Verfassung der
Union sein muß. Voraussetzung für die Auf-
nahme ist, daß der aufzunehmende Staat min-
destens so viel Einwohner hat, als nach der Bun-
desverfassung für die Wahl eines Kongreßmitglieds
erforderlich sind. Das Aufnahmeverfahren ist
verschieden: Hat der neue Staat seine Verfassung
bereits ausgearbeitet, so reicht er sie dem Kongreß
ein und bittet um seine Aufnahme, oder der Kon-
Vereinigte Staaten.
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greß fordert selbst die Verfassung zur Prüsung
ein oder der Kongreß ermächtigt die Bevölkerung
des um Aufnahme nachsuchenden Gebiets, eine
Verfassungskonvention einzuberufen. Die erfolgte
Aufnahme wird durch den Präsidenten der Union
in einer Proklamation kundgetan. Der Akt der
Zulassung ist unwiderruflich.
Verfassung der Einzelstaaten. Ob-
wohl die Union den einzelnen Staaten in der
Gestaltung ihrer Verfassungen ziemlich weiten
Spielraum läßt, so sind diese doch in ihren Grund-
zügen einander ziemlich gleich, da sie im allge-
meinen der Bundesverfassung nachgebildet sind.
In allen Einzelstaaten ist die Trennung der gesetz-
gebenden, ausführenden und richterlichen Ge-
walten durchgeführt. Der amtliche Name der
gewöhnlich The Legislature genannten gesetz-
gebenden Körperschaft ist meist The General
Assembly). In allen Staaten besteht sie aus
zwei Kammern, von denen die zahlreichere Reprä-
sentantenhaus, auch Assembly, die andere Senat
heißt. In den meisten Staaten herrscht heute für
die Wahlen zur Staatslegislatur das allgemeine,
gleiche und geheime Stimmrecht; in einigen Staa-
ten, besonders des Südens, ist es an die Kenntnis
von Lesen und Schreiben geknüpft. In zahlreichen
Staaten ist das passive Wahlrecht (in einigen auch
das aktive) an die Erreichung eines höheren Alters
als 21 Jahre, und an einen längeren Aufenthalt
(bis zu drei Jahren) in Staat, Wahldistrikt oder
Gemeinde gebunden; Beamte des Bunds oder des
betreffenden Staats können meist nicht gewählt
werden, in einigen Staaten auch keine Geistlichen.
Während manche Staaten, namentlich im Westen,
den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu
allen Wahlen (für die zum Bundeskongreß können
die Frauen gemäß der Verfassung der Union nur
das aktive haben) einräumten, haben andere ihnen
nur das Stimmrecht für die Wahl der Schul-
behörden gegeben. Infolge des in den Vereinigten
Staaten sich immer mehr geltend machenden Ver-
langens nach direkter Gesetzgebung durch das Volk
hat in einigen Staaten (an 10; namentlich im
Westen) das Neferendum und die Initiative nach
schweizerischem Vorbild Eingang gefunden, haupt-
sächlich um im Kampf gegen die großen Finanz-
und Monopolgesellschaften, Trusts und politischen
Ringe, welche die repräsentativen Regierungen in
manchen Staaten fast ganz beherrschen, bessere
Waffen zu erlangen. Selbst die Amtsentsetzung
von Beamten durch das Volk (der sog. Recall) ist
in den letzten Jahren in einigen Staaten erreicht
worden (d. h. auf Antrag eines bestimmten Pro-
zentsatzes von Wählern muß der Beamte sich einer
neuen Abstimmung unterwerfen).
Die Mitglieder beider Kammern in den Legis-
laturen der Einzelstaaten gehen aus direkten
Wahlen hervor; gelegentlich findet sich eine Mi-
norilätenvertretung und Mehrstimmenrecht. Die
Mandatsdauer ist in den einzelnen Staaten ver-
schieden; die Regel ist für das Repräsentanten-
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