Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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bei einem tatsächlichen Angriff oder bei einer 
drohenden Gefahr, die keinen Aufschub zuläßt). 
Für andere Gebiete sind die Einzelstaaten zu- 
ständig, ob sie nun in der Verfassung der Union 
ausdrücklich genannt sind oder nicht. So hat jeder 
Staat das Recht, seine Verfassung nach eignem 
Ermessen festzustellen, wobei er allerdings die Zu- 
ständigkeitsvorschriften der Union zu beachten hat; 
die einzelnen Staaten haben ferner die Gesetz- 
gebung über das bürgerliche, Handels-, Wechsel-, 
Straf= und Prozeßrecht (mit einigen wenigen 
Ausnahmen), über Sozialpolitik (die in der Union 
recht mangelhaft ist), über Fabrik-, Gewerbe= und 
Unterrichtswesen, die Polizeihoheit, die Verkehrs- 
polizei in Bezug auf die einzelnen Häfen und über 
die öffentlichen Wege und Verkehrsanstalten (soweit 
sie nicht über das Gebiet des einzelnen Staats 
hinausreichen) usp. In einigen Füällen ist die 
Zuständigkeit des Kongresses durch die Verfassung 
ausdrücklich ausgeschlossen; so darf der Kongreß 
keine Gesetze erlassen über religiöse Einrichtungen 
oder solche, welche die Rede-, Versammlungs-, 
Preß= und Petitionsfreiheit einschränken (wohl 
aber die Einzelstaaten). Weder der Kongreß noch 
die Einzelstaaten dürfen Gesetze mit rückwirkender 
Kraft oder solche, die eine strafgerichtliche Ver- 
urteilung enthalten, erlassen. Wenn der Kongreß 
innerhalb seiner Zuständigkeit ein Gesetz erlassen 
hat, so geht dieses den Gesetzen der Einzelstaaten 
vor bzw. hebt ein entgegenstehendes Staatengesetz 
ohne weiteres auf; macht die Union von ihren 
Befugnissen keinen Gebrauch, so können die Einzel- 
staaten Gesetze in der betreffenden Materie be- 
schließen. Staatsgesetze, die mit der Verfassung 
der Union in Wlderspruch stehen, sind nichtig; 
darüber, ob ein Staatengesetz gegen die Verfas- 
sung, die Gesetze oder Verträge der Union ver- 
stößt, entscheiden die Bundesgerichte im einzelnen 
Fall, d. h. wenn sie im Lauf eines bestimmten 
Rechtsstreits zwischen den Parteien die Frage nach 
der Gültigkeit eines Gesetzes zu entscheiden haben. 
— Die Union gewährleistet jedem Einzelstaat 
eine republikanische Regierungsform; sie schützt 
jeden von ihnen gegen feindliche Angriffe von 
außen sowie auch gegen Aufruhr im Innern, falls 
die gesetzgebende Versammlung oder, wenn diese 
nicht einderufen werden kann, die oberste Ver- 
waltungsbehörde um Hilfe bei der Union nach- 
sucht. Die Aufnahme neuer Staaten in die Union 
kann nur durch ein Gesetz des Kongresses erfolgen, 
der in diesem Fall zu entscheiden hat, ob die von 
dem neuen Staat angenommene Verfassung repu- 
blikanisch ist, wie sie nach der Verfassung der 
Union sein muß. Voraussetzung für die Auf- 
nahme ist, daß der aufzunehmende Staat min- 
destens so viel Einwohner hat, als nach der Bun- 
desverfassung für die Wahl eines Kongreßmitglieds 
erforderlich sind. Das Aufnahmeverfahren ist 
verschieden: Hat der neue Staat seine Verfassung 
bereits ausgearbeitet, so reicht er sie dem Kongreß 
ein und bittet um seine Aufnahme, oder der Kon- 
Vereinigte Staaten. 
  
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greß fordert selbst die Verfassung zur Prüsung 
ein oder der Kongreß ermächtigt die Bevölkerung 
des um Aufnahme nachsuchenden Gebiets, eine 
Verfassungskonvention einzuberufen. Die erfolgte 
Aufnahme wird durch den Präsidenten der Union 
in einer Proklamation kundgetan. Der Akt der 
Zulassung ist unwiderruflich. 
Verfassung der Einzelstaaten. Ob- 
wohl die Union den einzelnen Staaten in der 
Gestaltung ihrer Verfassungen ziemlich weiten 
Spielraum läßt, so sind diese doch in ihren Grund- 
zügen einander ziemlich gleich, da sie im allge- 
meinen der Bundesverfassung nachgebildet sind. 
In allen Einzelstaaten ist die Trennung der gesetz- 
gebenden, ausführenden und richterlichen Ge- 
walten durchgeführt. Der amtliche Name der 
gewöhnlich The Legislature genannten gesetz- 
gebenden Körperschaft ist meist The General 
Assembly). In allen Staaten besteht sie aus 
zwei Kammern, von denen die zahlreichere Reprä- 
sentantenhaus, auch Assembly, die andere Senat 
heißt. In den meisten Staaten herrscht heute für 
die Wahlen zur Staatslegislatur das allgemeine, 
gleiche und geheime Stimmrecht; in einigen Staa- 
ten, besonders des Südens, ist es an die Kenntnis 
von Lesen und Schreiben geknüpft. In zahlreichen 
Staaten ist das passive Wahlrecht (in einigen auch 
das aktive) an die Erreichung eines höheren Alters 
als 21 Jahre, und an einen längeren Aufenthalt 
(bis zu drei Jahren) in Staat, Wahldistrikt oder 
Gemeinde gebunden; Beamte des Bunds oder des 
betreffenden Staats können meist nicht gewählt 
werden, in einigen Staaten auch keine Geistlichen. 
Während manche Staaten, namentlich im Westen, 
den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu 
allen Wahlen (für die zum Bundeskongreß können 
die Frauen gemäß der Verfassung der Union nur 
das aktive haben) einräumten, haben andere ihnen 
nur das Stimmrecht für die Wahl der Schul- 
behörden gegeben. Infolge des in den Vereinigten 
Staaten sich immer mehr geltend machenden Ver- 
langens nach direkter Gesetzgebung durch das Volk 
hat in einigen Staaten (an 10; namentlich im 
Westen) das Neferendum und die Initiative nach 
schweizerischem Vorbild Eingang gefunden, haupt- 
sächlich um im Kampf gegen die großen Finanz- 
und Monopolgesellschaften, Trusts und politischen 
Ringe, welche die repräsentativen Regierungen in 
manchen Staaten fast ganz beherrschen, bessere 
Waffen zu erlangen. Selbst die Amtsentsetzung 
von Beamten durch das Volk (der sog. Recall) ist 
in den letzten Jahren in einigen Staaten erreicht 
worden (d. h. auf Antrag eines bestimmten Pro- 
zentsatzes von Wählern muß der Beamte sich einer 
neuen Abstimmung unterwerfen). 
Die Mitglieder beider Kammern in den Legis- 
laturen der Einzelstaaten gehen aus direkten 
Wahlen hervor; gelegentlich findet sich eine Mi- 
norilätenvertretung und Mehrstimmenrecht. Die 
Mandatsdauer ist in den einzelnen Staaten ver- 
schieden; die Regel ist für das Repräsentanten- 
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