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staaten, bei Ansprüchen der Vereinigten Staaten
auf Grund von Bundesgesetzen und in Fällen, die
Gesandte und andere diplomatische Vertreter des
Auslands betreffen. Die Bundesgerichte können
sofort angerufen werden, wenn die Parteien
Bürger verschiedener Staaten sind, ferner in Pro-
zessen zwischen Bürgern des gleichen Staats wegen
Ansprüchen auf Land auf Grund der Verleihung
seitens verschiedener Staaten, bei Prozessen zwi-
schen einem Staat oder dessen Bürgern und einem
fremden Staat oder dessen Bürgern und Unter-
tanen. In den übrigen Fällen sind die Gerichte
der Einzelstaaten zuständig. Die Bundesgerichte
haben außerdem die Verfassung, Gesetze und Ver-
träge der Vereinigten Staaten auszulegen und zu
prüfen, ob die Gesetze und Verträge der Union
verfassungsgemäß sind und ob die Verfassungen
und Gesetze der einzelnen Staaten dem Unions-
recht widersprechen; die Gerichte haben aber eine
Entscheidung hierüber nicht im allgemeinen zu
treffen, sondern erst dann, wenn die Frage nach
der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm in
einer bestimmten Streitsache unter bestimmten
Parteien aufgeworfen wird.
Die Grundlage, auf der das Recht der Ver-
einigten Staaten beruht, ist das gemeine englische
Recht (The Common Law of England), das im
letzten Viertel des 18. Jahrh. von dem Mutter-
land übernommen, seither aber mannigsach um-
geändert wurde teils durch die Gesetzgebung des
Bundes teils durch die der Einzelstaaten teils
durch die Entscheidungen der Gerichte, die als
Quelle des Gerichtsgebrauchs in Amerika fast einer
positiven Gesetzgebung gleichkommen. Das Recht
des Staats Louisiana beruht zum Teil auf dem
französischen, das des Staats Florida auf dem
spanischen Recht. Das Strafrecht ist jetzt in den
meisten Staaten kodifiziert, weist aber große Unter-
schiede auf (in manchen Staaten bestehen z. B.
strenge Vorschriften gegen die Herstellung und den
Verkauf von alkoholischen Getränken, in andern ist
die Sonntagsheiligung unter schweren Strafen
geboten, in den Südstaaten steht auf Ehen zwi-
schen Weißen und Negern Zuchthaus usw.). Das
Zivilprozeßverfahren ist jetzt in vielen Staaten
ebenfalls kodifiziert, während andere das alte eng-
lische gemeine Recht beibehalten haben. Die Ge-
schworenengerichte sind nicht auf den Strafprozeß
beschränkt, sondern kommen auch sehr oft bei
Zivilsachen zur Anwendung, da bei Prozessen,
in denen das Objiekt einen Wert von mehr als
20 Dollar hat, jede Partei auf der Verhand-
lung vor einer Jury bestehen kann; zu einem
Wahrspruch der Geschworenen ist Stimmenein-
helligkeit notwendig. Die Urteile der einzelstaat-
lichen Gerichte haben keine extraterritoriale Kraft
und können in einem andern Staat nicht auf dem
Weg der Zwangsvollstreckung geltend gemacht
werden; die Verfassung der Union bestimmt je-
doch, daß den gerichtlichen Entscheidungen des
einen Staats in den andern „voller Glanbe und
Vereinigte Staaten.
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Vertrauen“ entgegengebracht wird, so daß in der
Praxis die obsiegende Partei auf Grund der zu
ihren Gunsten ergangenen Entscheidung einen
neuen Prozeß ohne erneute Beweisaufnahme oder
ausführliche Verhandlung anstrengen und bis zum
rechtsgültig vollstreckbaren Urteil durchführen kann.
— Die Richter an den Bundesgerichten werden
vom Unionspräsidenten unter Zustimmung des
Senats auf Lebenszeit angestellt und können nur
durch ein „Impeachment“-Verfahren entsetzt wer-
den; die Richter an den einzelstaatlichen Gerichten
werden meist vom Volk auf eine gewisse Amtszeit
(bei guter Amtsführung faktisch oft auf Lebenszeit)
gewählt, zum Teil auch von den Gouverneuren
(unter Mitwirkung des Staatssenats) ernannt.
Sie rekrutieren sich, da es in den Vereinigten
Staaten keine Richterlaufbahn gibt, aus dem
Rechtsanwaltstand, sind meist selbst aktive Politiker
oder eng mit den Führern der jeweils herrschenden
Partei verbunden. — Große Mängel der ameri-
kanischen Rechtspflege sind das langwierige, schwer-
fällige Prozeßverfahren, ein Erbstück aus der
englischen Vergangenheit der Vereinigten Staaten,
und die Bedeutung, die Formfehlern beigelegt
wird; eine große Nolle spielt der Eid bei den
Verhandlungen, da alle Aussagen der Parteien
und der Zeugen unter Eid stattfinden, und das
Massenschwören zeitigt denn auch zahlreiche Mein-
eide, deren strafrechtliche Verfolgung jedoch ver-
hältnismäßig selten ist.
Die Bundesgerichte zerfallen in Bezirks-, Kreis-
und Kreisberufungsgerichte, das Beschwerdegericht
und das Oberbundesgericht. Der Geschäftskreis
eines Bezirksgerichts umfaßt einen ganzen Staat
oder einen Teil; die Union ist in 68 Bezirke ein-
geteilt und in der Regel amtiert an jedem Be-
zirksgericht ein Richter. Die Bezirksgerichte sind
hauptsächlich zuständig in Streitsachen bis zu
2000 Dollar und in Konkurssachen. Die neun
Kreisgerichte sind zuständig in Streitsachen von
2000 Dollar aufwärts und in den Klagen aus
dem Urheberrecht. Über Berufungen gegen Urteile
der Bezirksgerichte entscheidet das Kreisberufungs-
gericht (neun an der Zahl), in einigen bestimmten
Fällen jedoch das Oberbundesgericht, in Berufungen
gegen das Urteil der Kreisgerichte stets das Ober=
bundesgericht; gegen die Entscheidung der Kreis-
berufungsgerichte ist in gewissen Fällen noch ein
Rechtsmittel an das Oberbundesgericht gegeben.
Letzteres entscheidet ferner in erster und letzter
Instanz in allen Streitsachen, die Botschafter oder
andere diplomatische Beamte oder Konsuln be-
treffen, sowie in denjenigen, in denen ein Staat
Partei ist. Das Beschwerdegericht entscheidet nur
über Forderungen gegen den Bundesfiskus; eine
Berufung dagegen geht an das Oberbundesgericht.
Das Oberbundesgericht (in Washington) besteht
aus einem Präsidenten (Thief Justice) und acht
Oberrichtern (Justices).
Die Gerichtsorganisation der Einzelstaaten ist
verschieden. Die niedersten Gerichte sind die der