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Arbeitsbedingungen handelt — Meliorations-
streik —. und der Arbeiter darf an einem Streik
nicht teilnehmen, solange er Rechte, aber keine un-
veräußerlichen Rechte preisgibt, solange er in seiner
Selbstbescheidung nicht unsittlich wird, mögen
seine „Wünsche“ nach Besserstellung noch so be-
rechtigt sein! Hier ist die Freiheit der Vertrags-
schließung beseitigt. Es widerspricht aber auch diese
Theorie über den Streik der Lehre derjenigen katho-
lischen Moralisten, die zu dieser Frage überhaupt
Stellung genommen haben. „Wenn die bisherige
Moral, wie die Wirtschaftslehre, für die Wertbe-
messung ein freies Spiel der Kräfte zwischen der
oberen und unteren Hälfte des gerechten Preises
gestattete, so ist hier dieses Gesetz umgestoßen,
jeder organisierte Kampf beschränkt auf das Ziel
des Existenzminimums“ (Mausbach). Vgl. des
weiteren d. Art. Streik und Aussperrung.
3. Die Stellung des Staats zum Ver-
einigungsrecht. Die Koalition im engeren
Sinn für Arbeitgeber und Arbeitnehmer war bis
zum Jahr 1861 in Deutschland verboten. Die
Reichszunftordnung von 1731 bedrohte die Koali-
tion mit Gefängnis und Zuchthaus. Auf dem-
selben Standpunkt stand auch noch nach der fran-
zösischen Revolution die Gesetzgebung, insbeson-
dere auch der Code pénal. Erst 1864 wurde das
Koalitionsverbot in Frankreich aufgehoben.
Nicht anders in England. Hier verschärfte das
Gesetz von 1800 noch das Koalitionsverbot, das
Jahr 1824 hob es vorübergehend auf, und erst
durch den Trade Union Act von 1871 und das
Gesetz von 1875 wurde Koalitionsfreiheit ge-
währt. In Deutschland hat erst die Gewerbe-
ordnung durch den § 152 die bisherigen Verbote
und Strafbestimmungen aufgehoben und trotz der
negativen Ausdrucksweise das Koalitionsrecht be-
gründet. § 152, Abs. 1 der G.O. lautet:
„Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Ge-
werbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder
Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Ver-
einigungen zum Behuf der Erlangung günstiger
Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mit-
tels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Ar-
beiter werden ausgehoben."“
Durch § 152 G.O. ist also dem Gewerbe-
treibenden und den gewerblichen Arbeitern
das Recht der Koalition eingeräumt und ihnen
gestattet, beliebige Mittel, wenn sie nicht schon an
und für sich, von der Koalition abgesehen, gegen
ein Strafgesetz verstoßen, oder im folgenden § 153
G.O. unter Strafe gestellt sind, zur Erlangung
günstiger Arbeitsbedingungen zu gebrauchen. Es
ist nicht erforderlich, daß die Erlangung günsti-
gerer Lohn- und Arbeitsbedingungen angestrebt
wird. Auch das Fortbestehen der bisherigen Be-
dingungen kommt in Betracht. Nicht notwendig
ist, daß die günstigeren Lohn= und Arbeitsverhält-
nisse für die Koalition selbst erstrebt werden, auch
sog. Sympathiestreiks gehören hierher. Nach stän-
diger Rechtsprechung findet der §8 152, Abs. 1
Vereinigungsrecht.
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G.O. aber nur dann Anwendung, wenn es sich
um Veränderung der Lohn= und Arbeitsverhält-
nisse an einem bestimmten Ort, in einem be-
stimmten Gewerbe oder in einem bestimmten
Arbeitsverhällnis handelt, nicht aber dann, wenn
eine allgemeine Verbesserung der Lohn= und
Arbeitsverhältnisse erstrebt wird, z. B. durch Ver-
besserung der Gesetzgebung. Sobald die Arbeiter-
koalition den konkreten Arbeitsvertrag verläßt und
eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf
mittelbarem Weg, z. B. durch Einwirkung
auf die Gesetzgebung, durch Eingaben an Behörden,
zu erreichen sucht, entbehrt sie des Schutzes und
unterliegt der landes= bzw. reichsgesetzlichen Be-
schränkung der Vereinsfreiheit und der Versamm-
lungsfreiheit. Tatsächlich aber läßt sich die Er-
örterung der „konkreten Lohn- und Arbeitsbedin-
gungen“ in den meisten Fällen kaum von derjenigen
der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse we-
nigstens in dem gesamten in Betracht kommenden
Industriezweig trennen. Jedenfalls ist die Er-
zielung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen
nur ein Teil der Aufgaben, die die Arbeiterkoali-
tionen sich stellen, und die oben bezeichneten Gren-
zen lassen sich nur in den seltensten Fällen einhalten.
Begriff und Umfang der Vereinsfreiheit war aber
bei den einzelnen Landesgesetzen ein sehr verschie-
dener und wurden diese erst am 19. April 1908
durch das „Reichsvereinsgesetz“ (R.V.G.) ersetzt.
Von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung
der Vereinigungsfreiheit und damit der Gewerk-
schaftsbewegung wird es sein, welche Auslegung die
Rechtsprechung den Begriffen „Verein“, „öffent-
liche“ und „politische“ Angelegenheit, 88 3, 5
NR.V.G., angedeihen löäßt. Nach wie vor ist daran
"estzuhalten, daß Arbeitervereinigungen der frag-
lichen Art (Gewerkschaften) an sich dem Privat-
recht angehören und keine politischen Vereine dar-
stellen. Sie unterliegen daher nicht der Anzeige-
pflicht des § 3 R.V.G. Ebenso sind im § 6
N.V.G. ausdrücklich ihre öffentlichen Versamm-
lungen als nicht anzeigepflichtig bezeichnet
worden. Jedenfalls soll dieses Gesetz nach einer
Erklärung des Staatssekretärs (Kommissionsbe-
richt S. 36) „freier gestaltet sein als die bisher
geltenden Gesetze“". Von dem Umfang der Ver-
einsfreiheit hängt somit die Bedeutung der Koali-
tionsfreiheit und die Existenzfähigkeit der Arbeiter-
vereine wesentlich ab.
4. Das Vereinigungsrecht der ge-
werblichen Arbeiter. Welche Arbeiter dürfen
sich koaliieren? Der § 152 G.O. findet nur An-
wendung auf gewerbliche Arbeiter, das sind nur
solche, die der G. O. unterstehen. Zu den gewerb-
lichen Arbeitern gehören auch die Bergleute
(§ 154. Abs. 1 G.O.). Er gilt auch für das
Apothekergewerbe und für das Handelsgewerbe,
nicht aber für die Gewerbe, auf die die G. O. nach
ausdrücklicher Bestimmung des 8 6 keine Anwen-
dung findet — Bemannung der Seeschiffe —, und
auch nicht für Lehrlinge. Hausgewerbetreibende